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cc) „Letztes Wort“ des EGMR

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Das BVerfG vertrat zwar die These vom „letzten Wort“ der deutschen Verfassung und damit des Karlsruher Gerichts.[15] Es behauptet einen nationalstaatlichen Souveränitätsvorbehalt, nach dem als Grenze für die völkerrechtsfreundliche Auslegung gelten soll ein drohender Verstoß gegen Grundsätze der Verfassung, vor allem durch eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes des Grundgesetzes.[16] Die Völkerrechtsfreundlichkeit gelte nur „im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems der Grundgesetzes“. Sie dürfe insbesondere „nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt wird.“ Das BVerfG hält sich dadurch die Möglichkeit offen, im Rahmen der postulierten allgemeinen „Berücksichtigungspflicht“ dennoch zu dem Ergebnis zu kommen, dass im Einzelfall eine Entscheidung des EGMR nicht zu beachten ist.

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Soweit es allein darum geht, dass sich Karlsruhe ein „Mehr an Grundrechtsschutz“ vorbehält, ist der Vorbehalt im Prinzip zu rechtfertigen. Eine nennenswerte praktische Bedeutung wird ihm jedoch nicht zukommen. Schließlich besteht weitgehend Übereinstimmung zwischen den Gerichten bei der Interpretation der Grund- und Menschenrechte. Dies gilt vor allem bei der separaten Bestimmung der jeweiligen grundrechtlichen Schutzbereiche. Als konfliktträchtig hat sich hingegen erwiesen die Auflösung von Interessenskollisionen, an denen mehrere Grundrechtsträger beteiligt sind. Paradigmatisch hierfür steht die Auseinandersetzung um die Caroline von Monaco-Entscheidungen deutscher Gerichte, einschließlich des BVerfG, auf der einen und des EGMR[17] auf der anderen Seite. Während die deutschen Gerichte im Konflikt die Pressefreiheit stärker gewichteten, tendierte der EGMR zu einer Bevorzugung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. In solchen mehrpoligen Menschenrechtsverhältnissen kann und sollte der EGMR in der Tat entsprechend der „Mahnung“ des BVerfG Zurückhaltung walten lassen, wie er dies mit der „margin of appreciation“-Doktrin ebenfalls praktiziert.[18]

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Wenn es jedoch bei der Rechtsprechungskonkurrenz von EGMR und BVerfG zu echten Konflikten[19] kommt, dann steht das „letzte Wort“ – entgegen Voßkuhle[20] – eindeutig dem Straßburger Gericht zu.[21] Schließlich ist der EGMR die letzte Instanz und kann er angerufen werden nach einer abschlägigen Entscheidung des BVerfG, dessen Entscheidung der EGMR ebenfalls prüft. Zwar haben die Entscheidungen des EGMR keine die Rechtskraft beseitigende, sondern nur eine feststellende Wirkung[22] und richten sich die Rechtsfolgen nach nationalem Recht. In die Prozessordnungen sind aber entsprechende Tatbestände – wie z.B. § 580 Nr. 8 ZPO – für eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer positiven Entscheidung des EGMR eingefügt worden.[23] Mit einer Wiederaufnahme wird aber auch die Entscheidung des BVerfG „kassiert“. Die Überwindung der Rechtskraft seiner eigenen Entscheidungen hat das BVerfG in der Grundsatzentscheidung zur Sicherungsverwahrung[24] im Leitsatz 1 auch endlich eingeräumt:

„Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, stehen rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können.“

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Die vom BVerfG – noch – gemachten Einschränkungen – wie der erwähnte nationalstaatliche Souveräntitätsvorbehalt oder dass die Entscheidungen des EGMR „neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes“ enthalten – sind letztlich irrelevant angesichts der völkerrechtlichen Verpflichtung Deutschlands zur Beachtung der EMRK und der Entscheidungen des EGMR, welcher in den Wiederaufnahmebestimmungen in den Prozessordnungen Rechnung getragen worden ist. Auch für das BVerfG gilt im Verhältnis zum EGMR das US-amerikanische Diktum: „We are under a Constitution, but the Constitution is, what the judges say it is.“[25]

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Der ganzen Diskussion zum Verhältnis BVerfG/EGMR bzw. Grundgesetz/EMRK würde ohnehin der Boden in erheblichem Umfang entzogen, wenn die EU – wie in Art. I-9 Abs. 2 S. 1 des Verfassungsentwurfs des Europäischen Konvents vorgesehen – der EMRK beitritt. Auf diese Weise wäre auf dem direktesten Weg die Letztinstanzlichkeit des EGMR geschaffen und die bloße Instanzlichkeit des BVerfG als schlichtes „Landesverfassungsgericht eines Mitgliedstaates“ klargestellt.

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