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III. Außerordentlicher Rechtsbehelf
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Ein Anwaltsmandat, das die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde und ggfs. deren Einlegung zum Gegenstand hat, weist zahlreiche Besonderheiten auf.[1]
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Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf.[2] Sie ist kein (weiteres) Rechtsmittel, wie sie in den Fachgerichtsbarkeiten z.B. mit der Berufung oder Revision zur Verfügung stehen. Vielmehr kann sie erst nach Erschöpfung des Rechtswegs und nur gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt in Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte eingelegt werden. Ihr kommt auch kein Suspensiveffekt zu.[3] Sie hemmt den Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft nicht; die mit ihr angegriffene Gerichtsentscheidung bleibt vollstreckbar.[4] – Vor allem aber ist die Verfassungsbeschwerde ein subsidiärer Rechtsbehelf. Die entsprechende Subsidiaritätsregelung des § 90 Abs. 2 BVerfGG findet ihre Rechtfertigung in der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung angesichts der Aufgabenverteilung zwischen dem BVerfG und der Fachgerichtsbarkeit sowie der Grundrechtsverantwortung der Fachgerichte.[5] Aus Gründen der Rechtssicherheit sollen vor allem rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte – sie bilden den Hauptgegenstand von Verfassungsbeschwerden – nur ausnahmsweise in Frage gestellt werden. Ohne die Subsidiariätsregelung wäre zudem die Funktionsfähigkeit des ohnehin völlig überlasteten[6] BVerfG gefährdet.
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Die Verfassungsbeschwerde kommt daher nicht in Betracht, wenn der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist. Die Fachgerichte sind grundsätzlich selbst verpflichtet, Grundrechte zu beachten und Grundrechtsverstöße zu beseitigen.[7] Wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht, die Grundrechtsverletzung auszuräumen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen, dann muss der Beschwerdeführer entsprechend vorgehen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen.[8] Erst wenn keine realistische und zumutbare Alternative mehr besteht, kann als ultima ratio das BVerfG zur Beseitigung oder Verhinderung der Grundrechtsverletzung angerufen werden.[9]
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Die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde wird allerdings dadurch etwas erhöht, dass der Rechtsschutz – insbesondere der Instanzenzug – in den letzten Jahren bei zahlreichen Gerichtsbarkeiten eingeschränkt worden ist; die vom BVerfG[10] zur Selbstentlastung „erzwungene“ Einführung der – meist aber aussichtslosen – Anhörungsrüge ist eine Ausnahme.[11] Aus Kostengründen besteht derzeit die rechtspolitische Tendenz, die Möglichkeiten zur Einlegung von Rechtsmitteln erheblich zu reduzieren. Die Beschneidung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes erhöht zwangsläufig den Druck, Verfassungsbeschwerde einzulegen.