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cc) Exkurs: Das „Recht“ des Beschuldigten auf Akteneinsicht
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Diese Ansicht greift zu kurz. Abgesehen von Fällen vollumfänglich geständiger Angeklagter in ausgesprochenen Bagatellsachen[35] ist aus dem Gesichtspunkt der sonst fehlenden Akteneinsicht stets die Notwendigkeit der Verteidigung herzuleiten. Die Führung einer Verteidigung ohne vorherige Akteneinsicht setzt den Verteidiger dem Vorwurf aus, grob fahrlässig agiert zu haben. Nur die Einsicht in die Verfahrensakten kann dem Beschuldigten die Kenntnis von den ihn belastenden Tatsachen und Beweismitteln verschaffen. Sie stellt nicht nur die Waffengleichheit gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht hinsichtlich des Informationsstandes her, sondern ist vor allem die Voraussetzung, dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren.[36] Wenn schon der professionelle Verteidiger der Akteneinsicht bedarf, ist nicht einzusehen, warum sich der nichtverteidigte Angeklagte ohne diese Informationsbasis verteidigen können soll. Das Gesetz gewährte nach altem Recht nur dem Verteidiger ein vollumfängliches Recht auf Akteneinsicht. Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, durften lediglich nach § 147 Abs. 7 StPO Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet wurde und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstanden. Insoweit galt: Die Erteilung von Auskünften ist nicht einmal ansatzweise geeignet, die für eine sachgerechte Verteidigung in der Hauptverhandlung erforderliche Parität des Wissens herzustellen. Auch die Erteilung von Abschriften gibt hierfür keine Gewähr, zudem das Gesetz über deren Umfang schweigt. Lüderssen ist der Ansicht, der Beschuldigte habe nach § 147 Abs. 7 StPO ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Gerichtes über die Erteilung von Auskünften und Abschriften aus den Akten.[37] Zweierlei bleibt hierbei jedoch unbeachtet: Zum einen ermöglicht auch eine noch so ermessensfehlerfreie Ablehnung der Erteilung von Auskünften und Abschriften dem Beschuldigten mangels Information nicht, seine Verteidigung sachgerecht vorzubereiten. Zum anderen kennt dieser mangels einer flankierenden gesetzlichen Belehrungspflicht noch nicht einmal sein „Recht“, die Gewährung von Informationen nach § 147 Abs. 7 StPO zu beantragen. Mangels Belehrung lief dieses „Recht“ also von vornherein leer. Zwar hat der Beschuldigte nunmehr nach § 147 Abs. 4 StPO ein eigenes Recht auf Akteneinsicht. Dies steht jedoch unter dem Vorbehalt der Gefährdung des Untersuchungszwecks und entgegenstehender schutzwürdiger Interessen. Vor allem sieht das Gesetz nach wie vor keine Belehrung des Beschuldigten über sein Recht vor. Daher ist i.d.R. – von den o.g. Ausnahmen einmal abgesehen – die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Nur dies gewährleistet rechtliches Gehör, Waffengleichheit und damit ein faires, rechtsstaatliches Verfahren.