Читать книгу Einführung in die Praxis der Strafverteidigung - Olaf Klemke - Страница 53
dd) Die Auswahl des Pflichtverteidigers bei fehlender Bezeichnung durch den Angeklagten
Оглавление125
Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem zu bestellenden Verteidiger kann naturgemäß dann keine Rolle spielen, wenn der Beschuldigte von seinem Recht, einen Verteidiger zu bezeichnen, keinen Gebrauch macht. Dann kommt als Kriterium für die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers nur dessen Residenz im Gerichtsbezirk in Betracht. Der Beschuldigte muss dann den vom Vorsitzenden bestellten Verteidiger akzeptieren.
Die Bestellung ist jedoch für den Fall aufzuheben, dass der Angeschuldigte nach der Frist gem. § 142 Abs. 1 StPO einen Verteidiger benennt, der Bestellungsbeschluss des Vorsitzenden aber noch keine Außenwirkung erlangt hat.[63]
In den Fällen, in denen bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht des Beschuldigten bzw. sein Recht, innerhalb einer angemessenen Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, nicht beachtet worden ist, kann auf Antrag des Beschuldigten der bestellte Pflichtverteidiger gegen den von dem Beschuldigten nunmehr benannten Verteidiger seines Vertrauens ausgewechselt werden, ohne dass es auf eine Störung der Vertrauensbeziehung zu dem bestellten Pflichtverteidiger ankommt.[64] Im Fall des § 141 Abs. 3 S. 5 StPO ist das Gebot der „Unverzüglichkeit“ nicht gleichbedeutend mit „zeitgleich“ mit dem Erlass des Haftbefehls, sondern bedeutet – wie auch sonst im Recht (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) –“ohne schuldhaftes Zögern“.[65] Das Gebot der unverzüglichen Verteidigerbestellung darf den Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl und seines Vertrauens nicht leerlaufen lassen. Deshalb ist auch insoweit von einer Bedenkzeit von zwei Wochen auszugehen.[66]
126
Durch den Beschluss des BVerfG vom 3.8.2004[67] wurde die Frage aufgeworfen, nach welchen Kriterien der Gerichtsvorsitzende in den Fällen, in denen der Angeklagte keinen Verteidiger bezeichnet, die Auswahl des zu bestellenden Verteidigers vorzunehmen hat. In der Praxis ist es allzu oft so, dass das Gericht die „üblichen Verdächtigen“ bestellt, nämlich Anwälte, mit denen das Gericht in der Vergangenheit „gut zusammenarbeiten“ konnte. Dies sind oft Verteidiger, die um weiterer von Amts wegen vorzunehmender Beiordnungen willen notwendige Verteidigungsaktivitäten nicht entfalten (Phänomen der sog. „Beiordnungsprostitution“).
127
Der Beschluss des BVerfG betraf die Vorauswahl von als Insolvenzverwalter in Frage kommenden Anwälten durch das Insolvenzgericht. Der Insolvenzrichter habe zwar ein weites Auswahlermessen. Er sei hierbei dennoch an das Grundrecht der in Frage kommenden Berufsangehörigen aus Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Bei der Bestellung des Insolvenzverwalters gehe es nicht mehr um die Inpflichtnahme Privater, sondern um die Eröffnung des Zuganges zu einem Wirtschaftssektor. Die Chance auf eine Einbeziehung in ein konkretes Auswahlverfahren und damit auf Ausübung des Berufs habe ein potentieller Insolvenzverwalter nur bei willkürfreier Einbeziehung in das Vorauswahlverfahren. Die Wahrung der Chancengleichheit der Bewerber sei gerichtlich überprüfbar.
128
Die Entscheidung des BVerfG lässt sich ohne weiteres auf die o.g. Fälle der Verteidigerbestellung übertragen, da sich die Problemlagen frappierend ähneln.[68] Bei allen Gerichten sollte deshalb ein „Pflichtverteidigerpool“ geschaffen werden. Dies könnte dergestalt geschehen, dass sämtliche im Gerichtsbezirk residierende Anwälte, die Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigermandaten haben, dies dem Gericht anzeigen können und damit in den Pool aufgenommen werden müssen. Die konkrete Auswahl der zu bestellenden Verteidiger könnte dann bspw. ähnlich wie bei der Hinzuziehung von Hilfsschöffen bei dem Ausfall eines Hauptschöffen nach der Reihenfolge des Eingangs der Anforderung eines Pflichtverteidigers erfolgen. Dies wäre nicht zuletzt ein erfolgversprechendes Mittel, dem Phänomen der „Beiordnungsprostitution“ beizukommen.
129
Der Beschluss des BVerfG kann als dezenter Hinweis an den Gesetzgeber verstanden werden, auch das Auswahlverfahren bei der Bestellung der Pflichtverteidiger in den o.g. Fällen durch die Einfügung entsprechender Regelungen in die StPO oder das GVG willkürfrei zu gestalten. Dies würde mittelbar die Qualität der Pflichtverteidigung und damit die tatsächliche Lage des Beschuldigten ohne Wahlverteidiger verbessern.