Читать книгу Einführung in die Praxis der Strafverteidigung - Olaf Klemke - Страница 64
b) Kritik
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Wie der BGH in BGHSt 46, 93 zu Recht erkannt hat, ist die Staatsanwaltschaft aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des § 141 Abs. 3 S. 2 StPO bei dem Vorliegen der dortigen Voraussetzungen verpflichtet, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen. Die in BGHSt 47, 172 vorgenommene Einschränkung dieser Pflicht im Hinblick auf ein besonderes Bedürfnis nach anwaltlichem Beistand erfolgte contra legem. In Vernehmungen und vernehmungsähnlichen Situationen liegt das Erfordernis der Verteidigerkonsultation im Gegenteil auf der Hand. Ohne vorherige anwaltliche Beratung wird sich der Beschuldigte regelmäßig „um Kopf und Kragen reden“. Der Beschuldigte hat bei dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 StPO einen Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers bereits im Ermittlungsverfahren und ein eigenes Antragsrecht. Sein Anspruch ergibt sich zum einen aus der entsprechenden Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ohne ein Recht des Beschuldigten ist eine damit denknotwendig korrespondierende Pflicht der Staatsanwaltschaft sinnwidrig.[95] Ein solcher Anspruch ist auch zwingend geboten, um „Waffengleichheit“ zwischen Beschuldigtem und dem Staat herzustellen und so ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu sichern.[96] Der Staatsanwaltschaft steht zwar ein Beurteilungsspielraum zu, entgegen der Ansicht des BGH ist dieser jedoch umfassend überprüfbar.[97] Der Gesetzeswortlaut steht einem eigenen Antragsrecht des Beschuldigten nicht entgegen. Er nimmt zwar die Staatsanwaltschaft in die Pflicht, billigt ihr jedoch kein Antragsmonopol zu.
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Ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten macht jedoch nur dann Sinn, wenn dieser sein Recht kennt. Sonst ist es ineffektiv. Daher muss der Beschuldigte bei Beginn seiner ersten Vernehmung auf sein Antragsrecht hingewiesen werden. Die Belehrung lediglich über das Verteidigerkonsultationsrecht gibt dem mittellosen Beschuldigten Steine statt Brot. Seine finanzielle Lage wird ihn nämlich regelmäßig daran hindern, Kontakt zu einem Strafverteidiger aufzunehmen. Nur wenn ihm durch eine entsprechende Belehrung verdeutlicht wird, dass er den – zunächst kostenlosen – Beistand eines Pflichtverteidigers verlangen kann, wird er von seinem Konsultationsrecht Gebrauch machen. Eine Verletzung dieser Belehrungspflicht der Strafverfolgungsorgane muss ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. Der Anspruch des Beschuldigten auf Belehrung über sein Recht, die Bestellung eines Verteidigers verlangen zu können bzw. auf Beiordnung, betrifft nämlich die Grundlagen seiner verfahrensrechtlichen Stellung. Nur die Gewährleistung einer frühestmöglichen Beratung und Vertretung durch einen Verteidiger kann den irreparablen Verlust von Verteidigungspositionen verhindern und damit die Subjektstellung des Beschuldigten wahren.[98]
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Zu Recht hat Teuter darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 141 Abs. 4 StPO nicht praktikabel ist. In diesem frühen Verfahrensstadium dürfte das für den Fall einer Anklageerhebung zuständige Gericht zumeist noch gar nicht festzustellen sein. Teuter will diesen gesetzgeberischen Missstand bis zu einer erwünschten Novellierung dadurch entschärfen, indem er eine Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane annimmt, den Beschuldigten auf den örtlichen Anwaltsnotdienst zu verweisen.[99]
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Die Problematik ist ab dem 1.1.2010 jedenfalls in den Fällen erledigt, in denen sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet oder er einstweilen untergebracht ist, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Dann ist der Verteidiger nämlich gem. § 141 Abs. 3 S. 4 StPO unverzüglich nach dem Beginn der Vollstreckung zu bestellen.
Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › II. Die Pflichtverteidigung › 7. Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Verteidigerbestellung