Читать книгу Die Oslo-Connection - Thriller - Olav Njølstad - Страница 13
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ОглавлениеNachdem Katarina und die anderen Besucher gegangen waren, durchlebte Fritz Emil Werner einen langen, quälenden Abend mit mahlenden Schmerzen in der Brust. Es brannte so, dass er schließlich davon überzeugt war, etwas könne nicht stimmen und die Schmerzen seien auf einen medizinischen Fehler zurückzuführen – Adler musste da drinnen irgendetwas vergessen haben, eine Schere oder ein Messer, das jetzt die Operation auf eigene Faust fortführte. Es waren grausame Momente, in denen er fühlte, wie das Gerät an seinem Herzmuskel feilte. Benommen starrte er auf die Klingelschnur, die auf der linken Seite des Bettes von der Decke herabhing, doch aus Angst davor, was die Schere anrichten konnte, wagte er es nicht, sich zu bewegen. Sein Rücken wurde nass, und gleich darauf begann er zu frieren; er spürte ein leichtes Zittern in einem Arm und dann im Oberschenkel auf der anderen Körperseite – mein Gott, kamen die denn nie, um nach so einem armen Teufel zu sehen?
Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten. Vorsichtig hob er den Arm, wickelte die Schnur ein paar Mal um seinen Daumen und zog. Ein Höllenspektakel brach los: Kirchenglocken, Feueralarm, Intifada!
Als die Schwester endlich in der Tür erschien – ja, es war die Brünette mit dem Rehblick –, fühlte sich Werner bereits mürbe von all dem Lärm, außerdem schämte er sich fürchterlich über das, was er in Gang gesetzt hatte. Doch es gelang ihm schließlich, zu erzählen, dass auf dem Operationstisch ein schicksalhafter Fehler begangen worden sein musste. Er komme fast um vor Schmerzen, bestimmt habe er innere Blutungen und müsse sofort wieder operiert werden.
»Ich verblute«, flüsterte er. »Holen Sie Dr. Adler, ehe ich einen Schock bekomme!«
Sie starrte ihn ungläubig an.
»Sie wollen, dass ich Dr. Adler rufe?«, fragte sie und blinzelte. Jetzt wusste er plötzlich, was ihn an ihrem Blick so faszinierte: Sie hatte ein braunes und ein grünes Auge. »Sind Sie sicher, er hat Bereitschaft und schläft gerade ...«
Werner versicherte ihr, dass es absolut nötig sei, schloss die Augen und verrichtete ein stilles Gebet. Die Schmerzen wollten nicht aufhören. Wenn es sich auch jetzt nicht mehr so anfühlte, als würde er zerschnitten und müsste verbluten: es war eher wie eine innere Verbrennung dritten Grades. Vor seinem inneren Auge sah er rot glühende Nervenstränge im verkohlten Muskelgewebe wie Glühwürmchen zusammenschrumpfen. Es fühlte sich an, als hätte jemand den Schneidbrenner voll aufgedreht und als leckten die Flammen an der Innenseite des linken Vorhofes entlang.
»Ihnen geht’s nicht gut, Werner?«
Adler beugte sich über sein Bett und sah ihn mit schläfrigen Augen an. Er gähnte. Erst einmal, dann noch einmal. Mit dem dritten großen Gähnen blies er die Flamme des Schneidbrenners aus.
»Nein, mir geht’s wirklich nicht gut«, jammerte Werner. »Aber vielleicht ist es jetzt schon wieder ein bisschen besser als eben.«
Adler nickte.
»Mein Freund, Sie haben eine kleine Entzündung in der Herzkammer. Das ist ganz normal. Kein Grund zur Sorge.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich sehe, es ist an der Zeit für ein paar Schmerzmittel.«
Er bat die Schwester, die Morphinspritze fertig zu machen, setzte sich breitbeinig auf einen Plastikhocker, der neben dem Bett stand, und schob sich zu ihm vor.
»Ich bleibe hier, bis Sie eingeschlafen sind«, sagte er. »Wenn Sie wollen, können wir reden. Wenn Sie lieber Stille wollen, kann ich aber auch gut schweigen.«
Werner spürte zu seiner Überraschung, dass er nichts mit Dr. Adler zu besprechen hatte. Dabei war dieser Doktor eigentlich ein Mensch, dem man gerne zuhörte. Geradeheraus, energisch, fast brutal in seiner Art, todkranken Menschen zu erzählen, wie schlecht es um sie stand. Aber Werner hatte nicht das Gefühl, dass ihn Adlers Wahrheitsdrang und seine Ermahnungen noch betrafen. Es gab wenig, was er noch nicht gehört hatte, dabei hatte Adler die Gabe, sich immer wieder neu und treffend auszudrücken, und es gab sicherlich viel zu lernen für jemanden, der sich noch immer mit Leib und Seele darauf konzentrieren sollte, zu überleben. Trotzdem langweilte ihn Adler.
»Sie glauben vielleicht, Ihre Probleme wären damit erledigt«, sagte Adler unaufgefordert. Er konnte vermutlich nie länger als ein paar Minuten schweigen. »In diesem Fall irren Sie sich. Ein kaputtes Herz rauszuschneiden, ist eine Sache. Das kann jeder Schlachtergeselle lernen. Aber ein neues Herz zu platzieren und es zum Schlagen zu bringen!« Er lachte sein kurzes, polterndes Lachen, das Werner von all den Besprechungen so vertraut war. »Was ich ihnen klar machen möchte«, fuhr Adler fort und nahm der Schwester die vorbereitete Spritze ab, »ist, dass jetzt die große Unsicherheit beginnt. Bis jetzt konnte die Sache durch menschliches Versagen oder technische Komplikationen schief gehen, doch solche Probleme sind eigentlich ungeheuer selten. Wir haben mit der Zeit reichlich Routine in diesen Operationen bekommen. Alle Apparaturen und alle Körperfunktionen werden fortlaufend überprüft und doppelt gecheckt. Ich pflege immer zu sagen, dass eine Herztransplantation genauso exakt geplant und überwacht wird wie ein Mondflug!«
Er begann eine längere statistische Berechnung über die Zukunftsaussichten von Menschen mit Herztransplantationen. Werner versuchte, nicht hinzuhören. Adler wurde es anscheinend nie leid, seine Patienten daran zu erinnern, wie risikoreich es war, eine Transplantation zu überleben.
»Ich habe inzwischen mehr als hundert solcher Operationen durchgeführt, und nur einmal habe ich einen Patienten auf dem Operationstisch verloren«, dozierte er. »Einmal, Werner! Für die ersten zwei Tage nach der Operation ist die Statistik mit einer Sterblichkeit gleich null noch besser. Aber dann, mit Beginn des dritten Tages, ist es bei einigen Patienten zu Komplikationen gekommen, weil sich das Immunsystem des Körpers schlichtweg geweigert hat, das neue Herz zu akzeptieren. Das nennen wir Abstoßung oder Rejektion. Wie wir schon besprochen haben, können wir heute mit Hilfe von Cyklosporin und anderen blutungshemmenden und immunsuppressiven Präparaten das Risiko einer Rejektion drastisch verringern. Doch selbst bei dieser Behandlungsmethode kommt es vor, dass Menschen einfach zusammenklappen und sterben. Es gibt mit anderen Worten keine Garantie dafür, dass sich Ihr Körper mit dem neuen Herzen abfinden wird.«
»Und für wie groß halten Sie meine Chancen im Moment?«, fragte Werner spitz. »Alles normal?«
»Bis jetzt, ja.«
Adler warf ihm einen unergründlichen Blick zu, hielt die Morphinspritze vor das Licht und drückte einen winzigen Tropfen aus der Spitze. Dann beugte er sich vor und stach zu.
Die Schmerzen im Oberschenkel verrieten Werner, dass Adler die Spritze nicht richtig platziert hatte. Der Doktor kniff die Lippen zusammen, stach erneut zu und lächelte ihn aufmunternd an.
»So, ja. Jetzt werden Sie sich bald besser fühlen.«
Er stand auf, warf die benutzte Spritze in einen gelben Abfalleimer und ging zum Elektrokardiograph. Wenn das neue Herz plötzlich Probleme machte, würde die Maschine das Personal mit einem durchdringenden Ton warnen.
»Bis jetzt sieht alles richtig gut aus«, versicherte ihm Adler, nachdem er ein paar Minuten lang die Herzstromdiagramme betrachtet hatte. »Sie haben ein starkes, williges Herz bekommen. Die inneren Blutungen sind schwach. Heute Abend oder morgen früh werden wir bereits die Brustdrainagen entfernen können. Vielleicht setzen wir dabei direkt den Herzschrittmacher ein. Mal sehen.«
Adler redete wieder drauflos. Das meiste kannte Werner von früheren Terminen bereits auswendig. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass der Kampf gegen die Abstoßung gleichzeitig die Anfälligkeit für andere Infektionen erhöhte. Selbst eine triviale Bakterien- oder Vireninfektion konnte bei einem Herzoperierten lebensbedrohende Konsequenzen haben.
»Was ich Ihnen zu sagen versuche«, fuhr Adler fort, »ist, dass Sie sich in den nächsten Tagen in einer Art existenziellen Grauzone bewegen. Vergleichbar mit einem HIV-Patienten ohne Aids.«
Werner lächelte angestrengt.
»Und wann etwa, glauben Sie, kann man mich wieder als gesund bezeichnen?«
Adler zögerte.
»Nun, das kommt auf Fortuna an und Ihre eigenen genetischen Grundlagen. Der eine Körper akzeptiert das eine Herz, der andere das andere.«
»Natürlich. Ich meinte, wenn alles gut läuft und es keine Komplikationen gibt ...«
Adler senkte seine Stimme.
»Unsere Jungs sind heute Nacht in Ramallah einmarschiert«, sagte er. »Gemäß den Zeitungen handelt es sich um eine begrenzte Reinigungsaktion, die gegen palästinensische Terroristen gerichtet ist. Die Einheiten sollen angeblich bis Ostern wieder abgezogen werden.« Er verzog sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Nun, ich gebe Ihnen mein Wort, dass wir Sie deutlich früher hier herausbringen.«
»Das ist ein seltsames Versprechen«, parierte Werner. »Bis Ostern sind es noch fünf Wochen. Wenn ich bis dahin nicht wieder fit bin, kann das nur bedeuten, dass ich das Zeitliche gesegnet habe.«
»Da haben Sie Recht.«
Werner lachte über den makabren Spaß, so gut es ging.
»Nur noch eine Kleinigkeit zum Schluss«, sagte er. »Sie dürfen mir darauf vielleicht keine Antwort geben, aber trotzdem: Woher kommt mein Herz? Ich fühle mich frisch wie ein Zwanzigjähriger!«
Alder kniff die Augen zusammen, so dass sie schmal wie Gedankenstriche wurden.
»Mein Freund, jetzt verstoßen Sie gegen alle Spielregeln.«
»Ich weiß, aber trotzdem.«
Adler ging zur Tür. Ohne sich umzusehen, sagte er:
»Glauben Sie mir, ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber in der Regel stammen die transplantierten Organe von Menschen, die vor kurzem bei einem Unglück ums Leben gekommen sind. Meistens bei Verkehrsunfällen.«
»Ist das immer so?«
»Nicht immer. Aber meistens.«
»Aber es gibt auch andere Fälle?«
»Ja.«
»Soldaten?«
»Wir verlieren nicht so viele Soldaten, dass wir davon ausgehen sollten.«
Draußen vor den Fenstern ging es wieder los. Ein paar Straßenzüge entfernt schoss jemand mit einem Maschinengewehr.
»Nun«, sagte Werner. »An der Sache wird offensichtlich mit Nachdruck gearbeitet.«