Читать книгу Die Oslo-Connection - Thriller - Olav Njølstad - Страница 6
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ОглавлениеWeiß, weiß, alles ist weiß: die Decke, die Wände, das Bettzeug, die Lilien auf dem Nachttischchen – weiß, alles weiß, wie Leinen, wie Schnee, wie die unberührte Brust unter der Bluse einer Pfarrerstochter. Ein mildes, fernes Weiß, das alles umfängt und in allem ist: Im Raum (welchem Raum?), auf den Möbeln (nicht meinen!), im Duft der Lilien (welche umsichtigen Hände mögen sie dort platziert haben?). Es liegt etwas Schläfriges in all dieser Farblosigkeit: Der Blick findet nichts, an dem er haften bleiben könnte, die Gedanken verblassen, ehe sie zu Ende gedacht sind. Plötzlich weiß ich: In solchen Räumen besiegen die Mumien die Zeit.
Ein Schrei! Zehntausend Meilen entfernt schreit jemand. Ein geprügelter Hund. Oder ein Mensch. Eine kurze Sekunde lang wünsche ich mir, es wäre Katarina. Aber Katarina schreit nie. Jedenfalls nicht in meiner Nähe. Selbst die Orgasmen sind ohne jeden Laut. Deshalb nenne ich sie im Stillen Wandjina, nach den australischen Höhlenmalereien von der Göttin ohne Mund. Aber was habe ich dann gehört? Mein eigenes Todesröcheln?
Die Frau am Fuß des Bettes steht reglos da, ehe sie sich langsam nach vorne beugt und mir mit ihrer schmächtigen Glashand über die Wange streicht. In der nächsten Sekunde ist sie verschwunden, um eine Minute, eine Stunde, ein Lichtjahr später, wieder auf der entgegengesetzten Seite des Bettes aufzutauchen. Auch dieses Mal nicht, um etwas zu sagen. Ihr Blick sucht nie den meinen. Ihre Hände sind immer irgendwo anders. Als sie sich umdreht, spüre ich einen stechenden Schmerz im Schenkel – oder ist das der Oberarm? Mein Gott, ich weiß nicht einmal mehr, was bei meinem Körper oben oder unten ist! Und nach dem Schmerz das wohlige Prickeln. Warme Winde in der Seele – warme Winde, weiße Segel.
Stille. Nirgendwo die vertrauten Laute geliebter Stimmen. Doch irgendwo in der Lautlosigkeit – und jetzt erlaube ich mir eine gewisse Feierlichkeit – harrt auch die Wahrheit über Katarina und mich selbst, die Ballade über die tausend verpassten Möglichkeiten für ein Leben ohne Lügen. Wie ich es begrüßen würde, wenn mir nur einfiele, wann Katarina und ich das letzte Mal ehrlich zueinander waren; wie sich das angefühlt hat? Was auf dem Spiel stand? Aber ich komme nicht darauf. Stattdessen versinke ich wieder in meinem eigenen Atem, meinen eigenen tiefen Atemzügen, die den Gezeiten folgen und alles an sich saugen, das mich umgibt: die Stille, die Schmerzen, den Sternenstaub. Halb betäubt sehe ich nackte, langbeinige Menschen durch den Raum tanzen, erst in der nächsten Umgebung – dicht über dem Bett –, dann im fernen, unendlichen Raum zwischen Fixsternen und Kometen. Matisse, denke ich träge, schon wieder Matisse. Es fehlen bloß eine Vase mit gelbem Geißblatt und ein roter Holzstuhl ...
Wer sind die alle? Was wollen sie? Die hagere, hoch gewachsene Gestalt, die sich über das Bett beugt und mich mit nervöser Neugier anstarrt, als sei ich ein bislang unbekanntes Milzbrandbakterium: Was will er? Was sagt er zu seinem murmelnden Gefolge? Ich höre Stimmen, aber keine Worte. Nur ein fernes, unverständliches Summen; Gesang in einer ausgestorbenen Tonart, Hieroglyphen aus einer verlorenen Zeit oder ... Dann, ja: Gelächter! Dann sind es definitiv lebende Menschen. Weiß gekleidet. Äther und Bandagen. Pfleger, vermutlich! Ärzte!