Читать книгу Die Oslo-Connection - Thriller - Olav Njølstad - Страница 8

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»Fechten ist ein fantastischer Sport«, erklärte der Außenminister, während der dunkelblaue Quattro aus dem Stadtzentrum in Richtung Bygdøy rauschte. Es war ein schöner Wintertag: Die Sonne strahlte auf dick verschneite Hausdächer, Bäume und Wiesenflächen herab. Mitten auf dem vereisten Frognerkil räumten ein paar Jugendliche eine Eishockeyfläche frei, und über die Promenade zwischen Fjord und Autobahn schob sich ein Strom zufriedener Spaziergänger.

Aber jetzt ging es also ums Fechten!

»Es gibt drei Wettkampfformen beim Fechtsport«, dozierte Fridtjof Bremer in seiner leicht pompösen Art, »Säbel, Degen und Florett. Hier in Norwegen kämpfen wir nur mit dem Degen, leider. Eine Stichwaffe. Ich habe in meiner Jugend ein wenig Florett gefochten, als ich in Paris Wirtschaft studiert habe. Eine anspruchsvolle Waffe. Was für ein Gefühl, wenn man sie zu meistern versteht! Aber auch der Degen ist gut. Fechten Sie, Hartmann?«

Polizeikommissar Jørgen Hartmann vom Polizeilichen Sicherheitsdienst, PST, antwortete höflich, dass er das nicht tat. Abgesehen von einer missglückten Boxkarriere in seiner Jugend und dem obligatorischen beruflichen Selbstverteidigungstraining, hatte er wenig Erfahrung mit Kampfsport. Er ritt im Sommer ein bisschen draußen in der Natur und spielte hin und wieder mit einem seiner Kollegen Tennis, doch dessen Returns waren genauso schwach wie seine. Und er hatte sich einmal im Bogenschießen versucht. Aber Degen, nein. Leider, sollte er vermutlich sagen?

»Sie haben ja keine Ahnung, was Sie verpassen. Die ganze Zeit über volle Konzentration. Erst ein paar kleine, abwartende Bewegungen, während man den Gegner beobachtet und seine Angriffe pariert. Dann ein kleiner Scheinangriff. Und schließlich: Attacke!« Bremer warf sich nach vorne, aber der Gurt katapultierte ihn wieder zurück in den Sitz. »Habt ihr das gesehen, ein echter Siegesstoß!« Er lächelte aufgedreht. »Ein Siegesstoß«, wiederholte er, »setzt perfekte Balance, blitzschnelle Auffassungsgabe und den gnadenlosen Willen zum Angriff voraus. Verstehen Sie das Bild, Hartmann? Das ist Sicherheitspolitik, verkleidet als sportliche Ertüchtigung!«

Hartmann murmelte eine undeutliche Antwort. Er war nicht wirklich am Fechten interessiert, und seine Gedanken kreisten schon seit Minuten um etwas anderes. Er hatte wieder von Rita geträumt. Sie war jetzt seit mehr als neun Jahren tot, doch er kämpfte noch immer darum, sie endlich zu vergessen. Jedes Mal, wenn er zu glauben begann, dass er es geschafft hatte, tauchte sie wieder in seinen Träumen auf. Es konnten helle, muntere Träume sein, reine Erotik, oder wie in dieser Nacht, eine einfache Fabel mit blauen, traurigen, sehnsüchtigen Untertönen. Der Effekt war immer der gleiche. Er wachte zwischen drei und vier Uhr mit klammen Händen auf und konnte nicht wieder einschlafen. Meistens endete es damit, dass er aufstand, sich den gestreiften Morgenmantel überwarf, sich ein Glas Scottish Pride eingoss und sich in den Sessel vor dem Fenster fallen ließ. Dort konnte er stundenlang sitzen, ohne das Licht oder das Radio einzuschalten, während er resigniert in die Winternacht starrte und darauf wartete, dass der Rest der Stadt endlich erwachte.

Bremer redete unverdrossen weiter.

»Ich war gestern Abend in der Oper, Hartmann, und habe dem Gekraxel der norwegischen Pantoffeltenöre zum hohen C beigewohnt. Mein lieber Gott! Jede Arie klang wie eine Studie über Höhenangst, ein unabsichtliches Vertigo aus Tönen! Und für diese Amateure bauen wir ein neues Opernhaus für 7 Milliarden Kronen!«

Hartmann teilte Bremers Vorliebe für die Oper ganz und gar nicht (er hatte eher einen Hang zu Fred Astaire, Gene Hackman und den französischen Filmen der sechziger Jahre) und versuchte, sich stattdessen auf die Arbeit dieses Vormittags zu konzentrieren: die Sicherheit des Außenministers zu gewährleisten. In gewisser Weise eine absurde Situation. Hartmann verfolgte Bremers Karriere seit fünfundzwanzig Jahren aus nächster Nähe mit, seit der junge Radikale nach ein paar Steinwürfen vor der amerikanischen Botschaft im Drammensveien zum ersten Mal ins Visier des Sicherheitsdienstes geraten war. Während der christlich motivierte Sozialist Bremer gegen die amerikanische Bombardierung Nord-Vietnams protestierte, lautete der erste Überwachungsauftrag des Sozialdemokraten Hartmann, der gerade zum Kommissar des Überwachungsdienstes ernannt worden war, genau diesen Menschen unter Aufsicht zu halten. Jetzt waren die Rollen in vielerlei Hinsicht vertauscht: Bremer war der Anführer einer sehr amerikafreundlichen Auslandspolitik, während Hartmann mit den Jahren immer kritischer über das eigensinnige Auftreten der Amerikaner bei internationalen Konflikten dachte. Was das Steinewerfen anging, so war die längst in Vergessenheit geratene Episode wieder aufgetaucht, als Bremer zum Außenminister ernannt wurde. Die Zeitung Dagbladet hatte ein Foto des jungen Bremer abgedruckt, mit einem Pflasterstein in der Hand und kriegerischem Gesichtsausdruck. »Ja doch, den habe ich auf dem Bürgersteig gefunden, aber ich habe ihn nicht geworfen!«, sagte Bremer in einem Kommentar, der viele Journalisten an Bill Clintons legendäre Marihuana-Leugnung denken ließ: »Geraucht ja, aber nie inhaliert.«

Oper, Fechten. Bremers Freizeitinteressen waren eigentlich eine Farce, dachte Hartmann. Sie alle hatten ihre Wurzeln in einer vergangenen Zeit, in der sich sowohl die ethischen als auch die ästhetischen Ideale von denen der Jetztzeit unterschieden. Er hatte den alten Berufsdemonstranten unter Verdacht, diese Hobbys adoptiert zu haben, um sich in Kreisen Respekt zu verschaffen, zu denen er sonst nur mit Mühe Zugang gefunden hätte. Die weitsichtige Investierung eines jungen Radikalen für eine in ferner Zukunft liegende Gunst der Konservativen.

Natürlich hatte nichts von alledem zur Folge, dass Hartmann seinen Auftrag auf die leichte Schulter nahm. Sollte eine bedrohliche Situation entstehen, oblag es seiner Verantwortung, den Außenminister in Sicherheit zu bringen oder im schlimmsten Fall gegen einen eventuellen Attentäter zu verteidigen. Nach den Drohungen von Al-Qaida gegen Norwegen und dem Terroranschlag auf den unter norwegischer Flagge fahrenden Supertanker im persischen Golf wollte man kein Risiko eingehen.

Dabei war es in diesem Augenblick eigentlich Hartmann selbst, der Unterstützung gebraucht hätte – gegen den Schlaf. Er unterdrückte ein Gähnen und ärgerte sich, dass er sich vor Jahren hatte überreden lassen, an einem Grundkurs für Personenschutz teilzunehmen. Normalerweise arbeitete er in der Abteilung für Terrorabwehr des Sicherheitsdienstes, wo er die Verantwortung für die Abwehr von Terrordrohungen islamischer Extremisten hatte. Doch er musste ein wenig hinzuverdienen, um die Raten für sein Auto zu bezahlen – es war nicht gerade billig, in einem nagelneuen Range Rover herumzufahren –, und die Überstunden im Personenschutz hatten sich als eine Abkürzung zu schnell verdientem Geld erwiesen. Als Teil einer größeren Umstrukturierung des Sicherheitsdienstes im Jahr 2002 wurde der Personenschutz an die jeweiligen Polizeidienststellen übergeben. Hartmann hatte damals gefürchtet, dies würde das Ende seiner angenehmen Extraeinnahmen bedeuten, doch glücklicherweise wurde nach einer Weile beschlossen, dass Regierungschef und Außenminister weiterhin das Recht haben sollten, sich zusätzlich von den besonders ausgebildeten Spezialisten des PST schützen zu lassen. Seit dieses Spezialarrangement eingeführt worden war, hatte Bremer immer häufiger darum gebeten, dass der PST ihm dafür einen ganz bestimmten Beamten abstellte. Dieser Beamte war, paradoxerweise, sein früherer Schatten Jørgen Hartmann.

Sie hatten das Wikingschiffmuseum passiert und bogen vor dem Bygdøyhaus ein, einem großen, etwas verblichenen Steinhaus in der Huk Aveny 45, in dem der Bygdøy Fechtclub beheimatet war. Obwohl sie früh dran waren, standen bereits zahlreiche Autos vor dem Zaun der benachbarten Tennisanlage. Ein paar Mercedes, ein BMW, zwei teure Geländewagen amerikanischen Fabrikats. Fechten war vielleicht ein altmodischer, einfacher Sport, doch diejenigen, die ihn ausübten, schienen noch immer dem Geldadel der Gesellschaft anzugehören. Es war sicher kein Zufall, dass der wichtigste Fechtclub des Landes gerade hier auf Bygdøy lag. Ohne Zweifel der Postbezirk des ganzen Landes mit den meisten registrierten Millionären.

Hartmann war nicht wohl in seiner Haut. Seine Vorstellung von Sport war untrennbar mit den einfachen Trainingsverhältnissen der fünfziger Jahre im Boxclub der Arbeiterjugend verbunden, und er war der Ansicht, dass sich der Außenminister des Landes in einer Umgebung wie dieser nicht wohl fühlen sollte.

Aber was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Bremer war kein Snob und bestand darauf, seine Tasche mit den Sportsachen selber zu tragen. Der Degen war nicht dabei. Der wurde im Clubhaus aufbewahrt, erklärte er, eingeschlossen in einem Schrank mit einem speziellen Schlüssel. Hartmann folgte ihm zögernd in die Garderobe. Es missfiel ihm aufs Äußerste, wenn sein Personenschutzauftrag es notwendig machte, in die Privatsphäre anderer Menschen einzudringen. Manchmal hatte er seine »Objekte« sogar bis auf die Toilette begleiten müssen. Er erinnerte sich noch, wie peinlich es gewesen war, als er einen finnischen Staatsminister begleitet hatte, der extreme Schwierigkeiten beim Wasserlassen hatte. Minuten waren vergangen, ohne dass er das geringste Geräusch vernommen hatte, und schließlich hatte Hartmann all seinen Mut zusammengenommen und gefragt, ob alles in Ordnung sei. »Was glauben denn Sie, Sie Idiot?«, hatte der Staatsminister gedonnert. »Ich würde wohl kaum hier im Scheißhaus stehen und Luft pissen, wenn ich nicht ein Scheißproblem hätte!«

Sie waren in den Männerumkleideraum gekommen.

Einen Augenblick lang dachte Hartmann, Bremer geniere sich, weil er mit dabei war. Statt sich Mantel und Jacke auszuziehen, blieb er nämlich vor einem Garderobenschrank stehen und wartete. Die Sekunden vergingen. Nach einem Blick auf die Uhr sagte er erklärend:

»Wir sind ein bisschen früh.«

Im gleichen Moment hörten sie draußen ein Auto halten, dann das Klacken einer ins Schloss fallenden Tür.

»Da haben wir ihn«, sagte Bremer, begann aber noch immer nicht, sich umzuziehen.

Ein paar Sekunden später flog die Tür auf, und herein stürmte ein Mann, den Hartmann sofort erkannte. Das war Bremer! Oder etwas genauer: ein Mann, der Bremer beim ersten Hinsehen zum Verwechseln ähnlich sah, der aber trotzdem nicht Bremer war. Die Haare waren dunkler und die Nase kräftiger. Der Gang eine Spur geschmeidiger. Die Kerbe im Kinn nicht ganz so tief. Aber ansonsten war das meiste wie bei Bremer: die buschigen Augenbrauen, die klaren blauen Augen, das spitze Kinn und die vollen, fast femininen Lippen.

»Mein kleiner Bruder Christopher«, sagte Bremer mit einem Lächeln. Ganz offensichtlich genoss er den überraschten Gesichtsausdruck des erfahrenen Polizisten. Doch Hartmanns Überraschung war einstudiert: Es musste mehr als zwanzig Jahre her sein, dass er unfreiwillig Bekanntschaft mit dem Zwillingsbruder gemacht hatte, nachdem er einen ganzen langen Abend im Club 7 damit vergeudet hatte, die falsche Person zu observieren. »Chris war so liebenswürdig, mir anzubieten, heute Vormittag für mich den Degen zu führen.«

Der Bruder nickte und nahm Bremers Sporttasche. Ohne ein Wort zog er sich aus und streifte sich den Fechtanzug seines Bruders über. Als er fertig war, waren die beiden Männer beinahe identisch, und das bisschen, was es noch an Unterschieden gab, würde garantiert verschwinden, sobald erst die Netzmaske aufgesetzt worden war.

Bremer nickte seinem Bruder anerkennend zu.

»Eigentlich schade, dass du nicht ich bist! Wenn du ein bisschen gebildeter wärst, könnte ich dich als Stand-in für meinen nächsten Staatsbesuch in Libyen nutzen!«

»Du hast ihn doch eingeweiht?«, fragte der Bruder. »Schließlich ist es nicht er, den du mit diesem Possenspiel in die Irre führen willst.«

»Nicht in erster Linie, nein.« Bremer zwinkerte ihm zu. »Aber wer kann schon der Verlockung widerstehen, Isachsen einen Streich zu spielen?«

Der Bruder zuckte resignierend mit den Schultern und murmelte, dass das mal wieder typisch sei. Dann zog er sich die Netzmaske halb vor das Gesicht und ging zur Tür.

»Ich mache nur Witze«, rief ihm Bremer nach. »Natürlich weiß Isachsen, dass du nicht ich bist. Aber er weiß auch, dass er das nicht zeigen darf. Du solltest es ihm so leicht wie möglich machen!«

Der Bruder streckte den Daumen siegessicher nach oben und verschwand in den Trainingsraum, in dem Isachsen, ein früherer NATO-Botschafter mit reichlich Erfahrung, Staatsgeheimnisse zu bewahren, ungeduldig darauf wartete, die unerwartete Ehre zu haben, seinen Degen gegen den Doppelgänger des Außenministers zu erheben.

»Und somit wären wir wieder allein«, sagte Bremer und wandte sich Hartmann zu. »Kommen Sie, ich habe eine wichtige Verabredung hier im Haus. Im Sitzungszimmer im Obergeschoss. Unsere ausländischen Freunde warten schon seit Stunden; sie sind gestern Abend in Arlanda gelandet und haben die ganze Nacht im Auto gesessen.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir haben das Gebäude für eine knappe Stunde für uns, es gilt also, keine Zeit zu verlieren. Sie müssen heute Vormittag noch nach Jerusalem zurück. Über Stockholm, Wien und Zypern. Aber in Oslo waren sie an diesem Wochenende nicht, nur, damit Sie mich richtig verstehen.«

Hartmann zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Wie Sie wünschen«, sagte er. »Und egal, was die Zeitungen schreiben, Sie haben an diesem schönen Vormittag nichts anderes getan, als mit Ihrem alten Freund Guttorm Isachsen im Bygdøyer Fechtclub zu trainieren!«

Die Oslo-Connection - Thriller

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