Читать книгу Die Oslo-Connection - Thriller - Olav Njølstad - Страница 16

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Hartmann saß in einer dicken Qualmwolke, die Beine auf dem Schreibtisch, einen Becher extrastarken Pulverkaffee lässig auf der Stuhllehne platziert, und war in einen acht Seiten langen Geheimbericht über muslimische Selbstmordaktionen vertieft. Eigentlich hatte er seit ein paar Jahren standhaft durchgehalten, so gut wie nicht mehr zu rauchen, aber an diesem Tag bewilligte er sich eine Stunde Tabakamnestie und hatte die gebogene Falcon-Pfeife angezündet, die für alle Fälle in seiner Schreibtischschublade bereitlag. Er dachte am klarsten in Rauchschwaden, behauptete er, und jetzt musste er alles an Konzentration mobilisieren, was es zu mobilisieren gab. Als ein Zugeständnis an das Rauchverbot hatte er das Fenster gekippt.

Der chiffrierte Bericht war im Laufe der Nacht bei der Terrorabwehr eingetickert und kam von einem so genannten »kooperierenden Dienst«. Im PST-Jargon wurden damit die CIA, der britische Spionageabwehrdienst MI-6, der deutsche BND, die schwedische Säpo oder – wie in diesem Fall – der israelische Mossad bezeichnet. Dem Bericht zufolge gab es sichere Hinweise darauf, dass der World Islamic Jihad (WIJ), eine der fundamentalistischsten und antiwestlichsten muslimischen Terrorbewegungen, dabei war, in einem abgelegenen Gebirgspass in Usbekistan ein neues Hauptquartier einzurichten, nachdem die führende Gruppe mit dem berüchtigten Salem al-Salem an der Spitze ein halbes Jahr zuvor aus ihrem Versteck in den Bergen des Nachbarstaates Afghanistan vertrieben worden war. Damit war in den nächsten Monaten mit einem Rückgang der Selbstmordaktionen zu rechnen, da die Führungsspitze Zeit brauchte, sich zu installieren und ihre Tätigkeit in der neuen Umgebung zu organisieren. Aber die Erfahrungen aus früheren Umsiedelungsoperationen legten die reelle Befürchtung nahe, dass im Lauf der nächsten 4 bis 6 Monate mit einer massiven Eskalation der Terroranschläge zu rechnen war. »Nicht zuletzt, um die eigene Stellung und Autorität nach innen zu festigen, lässt die Führungsspitze in solchen Situationen eine Reihe blutiger Anschläge ausführen, die keinem anderen Zweck zu dienen scheinen, als die Organisation noch bekannter und gefürchteter zu machen«, hieß es in dem Bericht, der in der Schlussfolgerung mündete, dass die wahrscheinliche Zielgruppe für die voraussichtlich bevorstehende »Werbekampagne« amerikanische und britische Botschaften und Finanzinstitute in Nord-Afrika, dem Nahen Osten und Zentralasien waren. »Aber«, hieß es zum Schluss, »es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Organisation, um besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, versuchen wird, eine neue Schwelle zu überschreiten – entweder in Form bisher unbekannter Brutalität oder in Form neuer und Aufsehen erregender Terrorziele. Am 11. September 2001 wurde ein neuer Standard gesetzt, den alle Terroristenführer mit Ambition auf Osama bin Ladens Thron versuchen werden zu übertreffen. In diesem Zusammenhang scheint die Erwähnung angebracht, dass uns durch zuverlässige arabische Quellen hartnäckige Gerüchte über einen geplanten Anschlag auf die skandinavischen Länder zugetragen wurden. Schweden und Norwegen sind gefährdet, da sie seit Jahrzehnten eine aktive und in den Augen der Organisation extrem nachteilige Mittlerrolle im Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel spielen. Dänemark war aktiv am Krieg gegen den Irak beteiligt. Daher legen wir unseren skandinavischen Kooperationspartnern ans Herz, in den folgenden vier bis sechs Monaten dieser Bedrohung besonderes Augenmerk zu schenken.«

Hartmann richtete sich langsam im Stuhl auf und tippte ein paar kurze Notizen in den PC ein. Er war ein mittelgroßer, vierschrötiger Mann Anfang fünfzig mit dunklen, kurz geschnittenen Haaren, die an den Schläfen allmählich grau wurden. Er trug ein blaues Jeanshemd und einen Kordanzug mit Lederflicken an den Ellbogen. So gekleidet, sah er den alten Linksradikalen zum Verwechseln ähnlich, auf deren Überwachung er in den 70er Jahren so viel Zeit und Energie investiert hatte. Fehlte nur das Halstuch. Ab und zu ertappte er sich sogar dabei, dass er sich das eine oder andere ihrer Art zu denken angeeignet hatte. Ihre Kritik am Westen war auf weiten Strecken berechtigt, musste er sich im Stillen eingestehen, wenn sie nur mit der Wahl der Alternativen nicht so verdammt danebenlägen. Aber dieses Zugeständnis hielt er sorgsam unter Verschluss und sprach mit niemandem darüber. Wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam, schenkte er sich einen kräftigen Drink ein und versuchte, alle Spuren seiner verspäteten Abweichung nach links aus seinem Hirn zu spülen.

Hartmann legte den Mossad-Bericht beiseite und warf einen Blick auf die Armbanduhr.

Fünf vor neun.

Das reichte, um die kurze Notiz auszudrucken, die er für die Morgensitzung bei der Terrorabwehr zusammengestellt hatte. Sein Vorgesetzter, Polizeihauptkommissar Ragnar Dahlbo, war vor ein paar Tagen in sein Büro gekommen und hatte ihn gebeten, einen Lagebericht für die heutige Sitzung vorzubereiten. Dahlbo, ein distinguiert aussehender Mann Anfang sechzig, war gerade von einer zweiwöchigen Dienstreise aus Washington zurück und wollte ganz offensichtlich kontrollieren, ob seine Mitarbeiter während seiner Abwesenheit nicht auf den Tischen getanzt hatten. Die Mitarbeiter respektierten und mochten ihn, aber er konnte grauenvoll launisch sein. Gerüchten zufolge hatte er Probleme mit der Magensäure und reagierte gereizt und mürrisch, sobald der Betriebsarzt ihm mal wieder vom Morgenkaffee und dem Whiskey Soda vorm Schlafengehen abgeraten hatte.

Als Hartmann wenige Minuten später das kleine Sitzungszimmer in der roten Zone betrat, in dem sie regelmäßig ihre morgendlichen Besprechungen abhielten, saß zu seiner Überraschung nicht Dahlbo am Kopfende des Tisches, sondern der neue Chef der Sicherheitsbehörde der Polizei, Mathias Martinsen, in eigener hoher Person – er maß einssiebenundneunzig ohne Schuhe. Seine Ernennung hatte in einer Nacht- und Nebelaktion nach einem peinlichen Abhörskandal stattgefunden; niemand wusste genau, der wievielte in Reihe. Er war dem erfahrenen Leiter der Abteilung »Liaison«, Polizeihauptkommissar Trym Aslaksen, an die Seite gestellt worden. Ansonsten saßen lauter bekannte Gesichter von der Terrorabwehr um den Tisch herum: ein Referent, drei Polizisten und Hauptkommissar Dahlbo.

Hartmann suchte sich einen freien Platz.

»Da sind Sie ja endlich«, sagte Dahlbo auf seine leicht zurechtweisende Art und trommelte ungeduldig mit dem Stumpf seines Zeigefingers auf die Tischplatte, sein Erkennungszeichen seit einem wilden Axtduell in jungen Jahren. »Sie verschwenden offenbar keine Zeit darauf, zu früh zu Sitzungen zu kommen. Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber selbst Pünktlichkeit kann übertrieben werden. Belassen wir’s dabei.« Er nickte Martinsen zu. »Wie Sie sehen, haben wir Besuch vom Chef. Er wird uns den Grund selbst erläutern. Lassen Sie mich nur noch vorausschicken, dass die vorgesehene Tagesordnung aufgehoben ist. Es ist etwas Dringendes dazwischengekommen.«

Er nahm einen gierigen Schluck Pulverkaffee, was er augenblicklich bereute, und schob den Becher mit einer hastigen Bewegung von sich weg. Stattdessen griff er nach einer Schachtel Link, den säureneutralisierenden Pillen, die er lutschte, wenn sein Magen verrückt spielte.

»Chef?«

Martinsen kam direkt zur Sache.

»Gestern Nachmittag habe ich einen Anruf aus dem Außenministerium bekommen. Dabei habe ich erfahren, dass Außenminister Bremer am letzten Wochenende« – Martinsen blinzelte Hartmann unmerklich zu – »ein Treffen mit einem persönlichen Botschafter der palästinensischen Autonomiebehörde hatte. Der Botschafter hat einen Brief übergeben, der unter anderem die Bitte des neu gewählten Präsidenten der Palästinenser, Muhammad Mustafa, enthält, im Laufe des März oder April zu einem offiziellen Besuch eingeladen zu werden.«

»O nein, nicht schon wieder«, seufzte einer der Polizisten. »Warum wollen die alle ums Verrecken nach Norwegen? Arafat, Peres, Sharon, Abbas – und jetzt Mustafa!«

»Wenn wir das wüssten«, sagte Martinsen neutral. »Vielleicht verhält es sich ja eher so, dass jede norwegische Regierung auf derartige Besuche angewiesen ist, um ihre außenpolitische Relevanz unter Beweis zu stellen. Wie auch immer. Nachdem ich die Angelegenheit mit dem Ministerpräsidenten abgeklärt hatte, informierte Bremer den Botschafter, dass Mustafa in nächster Zeit eine Einladung zugehen wird.«

Martinsen machte eine Pause, in der er ein paar Schluck Kaffee runterzwang, um die Mitteilung wirken zu lassen.

»Nach unseren Informationen umfasst das Besuchsprogramm außer den politischen Gesprächen im Regierungsviertel noch eine Audienz im Schloss sowie einen Blitzbesuch im Nobel-Institut und einen festlichen Empfang in den Repräsentationsräumlichkeiten der Regierung im Parkvei. Das Datum steht fest, wird aber erst bekannt gegeben, wenn Mustafa im Flugzeug nach Oslo sitzt. In den Pressemitteilungen, die morgen rausgehen, wird deshalb auch nur stehen, dass der Präsident die Einladung dankend angenommen hat, dass der genaue Zeitpunkt des Besuchs aber erst später festgelegt wird.«

Für die Polizisten am Tisch war der Grund dieser Veranstaltung so offensichtlich, dass Martinsen sich gar nicht erst die Mühe machte, weiter ins Detail zu gehen. Ein Attentat in einem fremden Land erforderte sorgfältige Vorbereitungen. Es gab sicher genügend Menschen, die den palästinensischen Führer aus dem Weg haben wollten, und es gab keinen Grund, ihnen die Aufgabe zu erleichtern, indem man den exakten Zeitpunkt schon Wochen vorher bekannt gab. Oder wie Dahlbo zu sagen pflegte: Wer die Zeit beherrscht, definiert das Geschehen.

Martinsen warf einen gehetzten Blick auf die Uhr, bevor er einen maschinengeschriebenen Brief aus der Innentasche seines Blazers zog. Den Blick auf das Papier geheftet, fuhr er fort.

»Nur eins noch, ehe wir die Fragerunde einläuten. Nach Rücksprache mit den Unterabteilungsleitern habe ich entschieden, in Verbindung mit dem Staatsbesuch eine Arbeitsgruppe mit je einem Repräsentanten aus den betroffenen Abteilungen zusammenzustellen. Die Gruppe ist für den Einsatz zuständig und sorgt dafür, dass die Unterabteilungen Zugang zu allen relevanten Informationen haben. Geleitet wird die Gruppe von Polizeioberkommissar Malm von der Sicherheitsanalyse. Er erstattet mir täglich direkt Bericht. In Absprache mit Dahlbo und Aslaksen habe ich entschieden, dass Jørgen Hartmann die Terrorabwehr vertritt.«

Hartmann spürte zwölf Augenpaare auf sich gerichtet und bekam einen trockenen Mund. Wieso ausgerechnet er? Sollte der Abschnitt nicht besser von einem höheren Tier vertreten werden, um zu vermeiden, dass die anderen Abteilungen einen nicht überfuhren? Polizeioberkommissar Gustav Cornelius Malm aus der Abteilung Sicherheitsanalyse, zum Beispiel, war allgemein bekannt als paranoid und herrschsüchtig; eine extrem unangenehme pathologische Mischung. Wäre es nicht schlauer, wenn Dahlbo sich an ihm die Zähne ausbiss? Hartmann warf Dahlbo einen fragenden Blick zu, der ihm aufmunternd zunickte. Von seiner Seite war keine Hilfe zu erwarten. Nachdem sich der erste Schrecken gelegt hatte, ging ihm durch den Kopf, dass die Wahl im Grunde genommen gar nicht so unerwartet war. Bei der Terrorabwehr war er derjenige, der sich am besten im Nahen Osten auskannte – obwohl er ursprünglich Russland-Experte gewesen war und sich hauptsächlich damit beschäftigt hatte, sowjetische und später russische Spionage in Norwegen auszumachen. Aber nach dem Lund-Untersuchungsausschuss, dem Viksveen-Fall und dem 11. September war entschieden worden, dass seine Kompetenz auf diesem Feld nicht länger von Nutzen war. Vor einiger Zeit war Dahlbo unerwartet in seinem Büro aufgetaucht und hatte gesagt, dass er ihn gern für neue Aufgaben einsetzen würde. »Die Zeiten ändern sich, Hartmann«, sagte er. »Der Kalte Krieg ist vorbei. Unsere Ressourcen für die Jagd auf die Spione von gestern sind begrenzt. Es sind die islamischen Terrorgruppen, auf die wir uns jetzt konzentrieren müssen.« Natürlich hatte er nicht widersprechen können, und nachdem er einige Tage über die drei Alternativen nachgedacht hatte, die ihm angeboten worden waren – Umschulung zu anderen Aufgabenbereichen innerhalb der Abteilung Terrorabwehr, Versetzung zu einem Innen-Dienst in der Organisationsabteilung oder Versetzung an eine andere Polizeidienststelle außerhalb des PST –, entschied er sich zögernd für Ersteres. Wenig später wurde entschieden, dass er seine Arbeitszeit zwischen islamischem Terrorismus im Nahen Osten und dessen mögliche Verzweigungen nach Russland aufteilen sollte.

»Kommentare? – Wie steht es mit Ihnen, Hartmann?«

Martinsen sah ihn auffordernd an. Jetzt hieß es, sich nicht überfahren zu lassen. Hartmann räusperte sich.

»Der Besuch ist natürlich eine Traumchance für den World Islamic Jihad und Salem al-Salem«, sagte er. »Ein moderater palästinensischer Präsident ist ihnen ein Dorn im Auge. Genau wie Norwegen. Nicht nur aufgrund des Oslo-Prozesses, für den sie nur Verachtung übrig haben, sondern mindestens ebenso sehr wegen der Unterstützung des norwegischen Militärs im amerikanischen Kreuzzug gegen Afghanistan und wegen der Wiederbelebung eines prowestlichen Iraks. Wenn sie herausbekommen, wann der Besuch stattfindet, wäre das für sie die passende Gelegenheit, der Welt zu zeigen, dass wieder mit ihnen gerechnet werden muss.« Er gab eine kurze Zusammenfassung des geheimen Mossad-Berichts, wobei er besonders hervorhob, dass von israelischer Seite vor einem möglichen Anschlag auf Skandinavien gewarnt wurde.

Martinsen nickte anerkennend.

»Ausgezeichnet. Bleiben Sie dran an der Sache. Das scheint mir eine Warnung zu sein, die wir sehr ernst nehmen sollten. Sonst noch was?«

»Nur noch eins«, sagte Hartmann. »Ich möchte mich in dieser Angelegenheit persönlich um unsere Kontakte in Tel Aviv kümmern. Wir sind hundertprozentig abhängig von den Informationen, die wir von dort bekommen. Ich bin nicht bereit, die Verantwortung für eine derart wichtige Operation zu übernehmen, wenn ich mir nicht vollkommen sicher sein kann, die besten Verbindungen zu den Israelis zu haben.«

Alle Blicke wanderten zu Aslaksen, dem Chef der Abteilung »Liaison«, der normalerweise für sämtliche Verbindungen der operativen Aufklärung zum Mossad verantwortlich war. Es war allgemein bekannt, dass er nur äußerst widerwillig anderen Zutritt zu seinem Revier gewährte. Aber Aslaksen nickte zustimmend, als wäre das das Mindeste, und so beeilten sich Martinsen und Dahlbo, sich ihm anzuschließen. Die drei Männer in ihren Anzügen boten einen komischen Anblick, wie sie so um die Wette nickten.

»Natürlich sind Sie in diesem Fall Ihr eigener Verbindungs-Offizier«, sagte Dahlbo.

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