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33. Liv

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„Ich denke, dass das Mädchen untergetaucht ist und wir sie nie wiedersehen.“

Liv schreckte hoch. Sie konnte ihre Sorge um Oxana nicht ausblenden und ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch, mehr zu erfahren. In Kiew konnten sie nichts mehr ausrichten, das war ihr klar. Auch wenn es sie körperlich quälte, das Mädchen musste sie für den Moment loslassen. Mit diesen Sorgen verlor sie sonst den Blick auf das Ganze. Sie versuchte sich stattdessen ein Bild von Isolde Züchner zu machen. Die Frau blieb nebulös. Gab es einen Zusammenhang mit Bögershausens Tod? Sie musste nachher dringend im Internet recherchieren, ob seine Leiche schon gefunden wurde. Es hatte wirklich keinen Sinn, noch länger in der Ukraine zu bleiben. „Vermutlich hast du recht“, murmelte Liv.

Beatrice bezahlte nach einer hitzigen Verhandlung auf Russisch einen deutlich niedrigeren Preis, als der Fahrer zuerst verlangte, und sie gingen ins Hotel. Liv steuerte die Rezeption an. Sie erkannte den unfreundlichen Kerl sofort wieder. Er schaute hoch, als er die Frauen auf sich zukommen sah. Seine Augen weiteten sich, und sein Blick huschte für einen Sekundenbruchteil zur Uhr.

„Rufen Sie uns ein Taxi für in zwei Stunden?“, fragte Liv auf Englisch.

Er kniff den Mund zusammen, nickte und verschwand hinter einer Tür.

„Sollen wir jetzt warten, ob das klappt?“ Liv wurde das Verhalten des Hotelpersonals immer suspekter. Beatrice zuckte nur mit den Schultern und ging auf die Treppe zu. Liv schaute zur Tür, hinter der der finstere Mitarbeiter verschwunden war, wartete noch ein paar Sekunden unschlüssig und folgte schließlich Beatrice die Treppe hoch. Die war schon am Ende des Ganges angelangt und drehte den Schlüssel im Schloss. Sie stieß die Tür auf.

„Verdammter Mist! Was ist denn hier los?“, rief Beatrice und blieb im Türrahmen stehen.

Liv spurtete den langen, schmalen Gang entlang und schaute an Beatrice vorbei ins Zimmer.

„Himmel! Was soll das denn?“ Der Raum sah aus wie nach einem Wirbelsturm. Die Kommodenschubladen und deren Inhalt lagen wild durcheinander zwischen Kissen und Kleidungsstücken. Der Koffer lag aufgeklappt auf dem Boden, die Bücher waren zerrissen, und hinter der offenen Badtür roch es durchdringend nach Beatrice’ Parfum. Auf den Fliesen lagen die Scherben eines Flakons und zerkrümelter Lidschatten.

„Die Schweine sind hier eingebrochen!“, rief Liv.

Aber wenn die bei Beatrice im Zimmer waren … Liv drehte auf dem Absatz um, lief mit großen Schritten zu ihrer Tür und entriegelte das Schloss. Liv stieß die Tür auf. Alles war verwüstet! Der Inhalt ihres Koffers lag zerrissen auf dem Boden zwischen herausgerissenem Futter und Federn aus dem aufgeschlitzten Bettzeug. Mit einem Satz war Liv beim Schrank. Offen! Der Safe stand offen! Ihr Notebook war verschwunden!

Liv schmiss ihre Tasche auf den Fußboden, richtete den Sessel wieder auf und ließ sich in das aufgeschnittene Polster fallen. Verdammter Mist. Nachdenken, nachdenken. Was hat das zu bedeuten? Wenn jemand hier eingedrungen war und die Bilder geklaut hatte, wusste dieser Jemand nun auch, warum sie hier waren. Waren es dieselben Kerle gewesen, die auch versucht hatten, Oxana zu finden? Hatten sie gehofft, hier etwas über ihren Aufenthaltsort zu erfahren?

„Mir reicht es. Endgültig!“

Liv zuckte zusammen. Sie hatte Beatrice nicht kommen gehört. Die stand in der Tür und bebte vor Zorn.

„Ich will hier weg, und zwar sofort. Ich will in Ruhe und Frieden meine Patienten behandeln. Ich will von diesem ganzen abgefahrenen Mist nichts mehr wissen. Ich packe!“ Beatrice stapfte in ihr Zimmer zurück. Die Tür knallte ins Schloss. Und ging wieder auf. Beatrice trat über den Gang wieder in Livs Zimmer. „Sag mal, wo hattest du dein Notebook?“ Sie schaute Liv an und folgte ihrem Blick zu dem mit rotem Filz ausgeschlagenen leeren Safe.

„Alles weg?“

„Alles weg“, bestätigte Liv.

„Dein Rechner?“

„Lag darin. Mein iPad hatte ich zum Glück in der Tasche.“

„Und jetzt?“

„Fliegen wir nach Hause. Das Spiel ist aus.“ Liv drückte sich aus dem Sessel hoch und fischte die wenigen heilen Klamotten aus dem Chaos.

Woher wussten die Einbrecher, dass niemand in den Zimmern war? Liv schluckte. Es war besser, wenn sie so schnell wie möglich zum Flughafen kamen. Sie wählte die Nummer der Rezeption, obwohl sich ihr die Nackenhaare aufstellten, wenn sie nur an diese Leute dachte. Was hatten die zu verbergen? War irgendjemand in diesem Land der, der er zu sein vorgab?

„Liv Mika, guten Abend. Bei meiner Freundin und mir ist im Zimmer eingebrochen worden.“

„Eingebrochen? Was soll das heißen?“, fragte der Rezeptionist in holprigem Englisch.

„Jemand ist ins Zimmer eingedrungen, hat alles durchwühlt, meine Sachen verwüstet, meinen Rechner aus dem Safe geklaut und ist wieder raus.“

„Sie haben keinen Anspruch auf Ersatz.“

Was war das denn für eine merkwürdige Antwort? So langsam reichte es Liv.

„Sie aber auch nicht.“

„Bitte?“, fragte er irritiert.

„Ihre Einrichtung ist ebenfalls beschädigt worden.“

„Ich schicke jemanden rauf. Möchten Sie Anzeige erstatten?“

„Macht das Sinn?“

„Das ist Ihre Entscheidung.“

„Ich weiß.“ Sie legte auf und gab dem kleinen Tisch einen Tritt. Das war jetzt auch egal. Liv ging rüber und klopfte an Beatrice’ Tür.

„Ja?“, klang es dumpf durch die Tür

„Ich bin’s, Liv.“

Beatrice öffnete die Tür. Sie hielt ein halb volles Wasserglas in der Hand. Auf dem Tisch stand eine angebrochene Flasche Wodka. Beatrice nahm einen Schluck, schüttelte sich und hielt Liv das Glas hin.

„Danke, nein. Es kommt jemand vom Hotel und schaut sich das hier an. Wenn der durch ist, würde ich gerne sofort zum Flughafen fahren. Was meinst du?“

„Ich habe hier nichts mehr zu erledigen.“ Beatrice setzte das Glas an und trank es aus. „Ich bin in zehn Minuten fertig.“

Liv drehte sich um und stolperte in den Mitarbeiter der Rezeption.

„Mensch! Was schleichen Sie sich denn so an?“, empörte sich Liv. Er schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Vor Schreck hatte sie deutsch gesprochen. Beatrice sagte etwas auf Russisch, und er trat ein. Er sah sich schweigend in beiden Zimmern um, kam zurück und redete wild auf Beatrice ein. Die sog die Luft scharf ein und schoss zurück. Es klang, als würde sie den Mann mit Sätzen ohrfeigen. Er antwortete, drehte sich um und ging.

„Was war denn das?“ Liv hatte wie bei einem Tennismatch immer nur von einem zum anderen geschaut und nichts mehr gesagt.

„Er hat doch ernsthaft gefragt, ob wir auf der Straße mit teuren Sachen geprotzt hätten. Dann sollten wir uns nicht wundern, wenn wir beraubt würden. Er hätte nun den Schaden, und wir sollten uns freuen, dass er uns nicht anzeigt.“

„Bitte?“ Liv blieb der Mund offen stehen. „Spinnt der?“

„Ich glaube, dass er schlicht ein paar Drohungen loswerden wollte. Warum auch immer. Vielleicht macht er mit den Dieben halbe-halbe?“

„Los, weg hier. Ich bin auch gleich fertig.“ Liv ging zurück in ihr Zimmer und rief die Rezeption an. Sie war erleichtert, als eine junge Frau abnahm, bestellte ein Taxi und sammelte ihre unversehrten Habseligkeiten ein.

Thriller Collection I

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