Читать книгу Thriller Collection I - Penelope Williamson - Страница 56
44. Liv
ОглавлениеNach einem telefonischen Rapport bei Mike, den sie auf den neuesten Stand gebracht hatte, war der Drang zu laufen übermächtig. Liv sprang in die Laufsachen, schnappte sich Frieda und startete wieder in die Eilenriede. Nach einer halben Stunde Jagd über Bänke, Bäume und Spielgeräte brummte der Blackberry an Livs Rücken. Sie angelte keuchend nach dem Gerät. Kein Anruf, sondern eine SMS von Beatrice.
Es hat geklappt! Hans Pahl ist ein Termin ausgefallen und er hat daher heute schon Zeit. 20 Uhr Restaurant Steuerndieb in der Eilenriede? Liv lachte. Sie stand fast direkt neben dem Restaurant im Wald.
Stehe davor und reserviere uns einen Tisch. Okay? Sie setzte noch einen Smiley dahinter und betrat das mit dunklem Holz getäfelte Restaurant. Weder Hund noch Livs verschwitztes Aussehen waren ein Problem bei der Reservierung. Lediglich bei ihrem Vornamen gab es ein paar Irritationen.
„Mief?“, erkundigte sich die in Schwarz und Weiß gekleidete Auszubildende mit gerunzelter Stirn.
„Lieev! Das wird geschrieben L, I, V und mit einem langen I gesprochen. Mika wie der Jungenname.“
Ganz sorgfältig malte die dralle junge Frau mit rausgestreckter Zunge die Buchstaben. Wie man in Hannover sich wohl als Junge fühlt, wenn man Miker geschrieben wird, staunte Liv, als sie den Eintrag begutachtete.
„So ist es prima“, lobte sie die junge Frau dann aber. Die Buchstaben waren auch ausgesprochen gleichmäßig gelungen.
Als Liv ausgehfertig war und Frieda sich über ihr Abendessen hermachte, wurde es Zeit, Oliver anzurufen. Liv hatte das Gefühl, dass es Wochen her war, dass sie mit ihm die Nacht verbracht hatte. Der Tag war so ereignisreich gewesen, dass sie ihn in ein hinteres Regal ihres Kopfes geschoben hatte. Zwar mit einer roten Schleife darum, aber trotzdem außerhalb des permanenten Zugriffs ihrer Gedanken.
„Klauenberg“, bellte er ins Telefon.
„Hey“, erwiderte Liv, nur um dann festzustellen, dass alle weiteren Worte die Kehle wieder runtergeronnen waren. So, als hätte sie beim Klang seiner genervten Stimme auf dem Weg zum Hörer der Mut verlassen.
„Ach, Liv? Hallo. Das ist ja erstaunlich, dass du dich auch mal meldest.“
„Wieso? Du hast doch auch meine Nummer.“ Sie merkte, dass ihre Stimme schnippisch klang. Falsch, Liv. Ganz falsch. Du bist hier diejenige, die es verbockt hat.
„Ich hatte auch dein Zimmer und dein Bett und lag dann morgens trotzdem alleine da. Glaubst du, das verleitet mich zu einem Anruf?“ Oliver klang völlig ruhig. War er wirklich so emotionslos? War gestern alles nur eine Wodkalaune gewesen?
„Was dich verleitet, kannst nur du alleine entscheiden. Ich musste früh zu einem Termin und wollte dich nicht wecken. Sorry, dass ich versucht hatte, nett zu sein.“ Was war nur mit ihr los? Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn gerne wiedersehen wollte, dass es eine tolle Nacht gewesen war, dass er unglaublich gut roch und so vieles mehr. Aber er klang so distanziert wie damals in der Lobby des Hotels bei ihrer ersten Begegnung.
„Gut. Dann ist das ja geklärt. War noch was? Ich muss arbeiten. Leider war ich heute früh etwas spät dran.“
Und noch eine Spitze, dachte Liv. Sie überlegte, ob sie es noch rumreißen konnte, und wollte ihn nach Isolde Züchner fragen. Die müsste er doch kennen. In ihrem Kopf rangen Stolz, Angst vor Zurückweisung und der Wunsch nach Nähe um die Vorherrschaft. „Nein, sonst war nichts. Einen erfolgreichen Tag wünsche ich dir.“
„Dir auch.“ Oliver legte ohne ein weiteres Wort auf.
Liv fühlte, dass sie rot wurde. Der Polizist hatte sie abgefüllt und verhielt sich nun wie ein typischer Mann am Morgen danach. Wieso passierte das jetzt ihr? Falsche Signale? Liv fühlte sich benutzt. Oder trug sie die Schuld durch ihr schnippisches Verhalten? Warum war es nur immer so kompliziert? Tief im Innern wusste sie, dass ihr morgendliches Verschwinden unangebracht war. Aber sie konnte im Moment einfach nicht denken. Die Sorge um Oxana und das Gefühl, dass da etwas Böses lauerte, spülten alle anderen Gefühle fort.
Liv parkte den gemieteten Mercedes auf dem Waldparkplatz des Restaurants und ließ Frieda noch mal ins Unterholz laufen. Sie betraten die Gaststube und bekamen einen Platz in einer ruhigen Ecke zugewiesen, wo vermutlich der Hund auch niemanden Angst machen konnte. Liv setzte sich so hin, dass sie den Eingang im Blick hatte.
An der Bar saß ein bebrilltes Männchen mit schütterem, aschblondem Haar. Sein Kopf ruckte jedes Mal hoch, wenn jemand das Restaurant betrat. War er das? Falls ja, sah er tatsächlich ein wenig aus wie eine Laborratte. Beatrice kam zur Tür herein, und das Männchen sprang auf.
„Hans! Das ist ja eine Freude. Du hast dich kaum verändert.“ Sie gaben sich die Hand. Küssen wollte Beatrice den Beißer nach ihren Erfahrungen vermutlich nie wieder.
„Welche Überraschung, dass du dich gemeldet hast. Beatrice, ich grüße dich.“ Liv traute ihren Ohren nicht. Es klang wie Überrasssung und Beatriss. Oh je, eine lispelnde Laborratte. Wenn man vier Jahre alt war oder aussah wie ein Model, ging das als süß durch, bei einem Endfünfziger leider nicht.
Sie steuerten den Tisch an. Frieda fixierte die Neuankömmlinge interessiert. Liv griff ihr ins Halsband. Sie würde auch ohne die Geste gehorchen, aber Hans Pahl blieb so abrupt stehen, als er den Hund sah, dass Beatrice gegen ihn lief.
„Keine Sorge. Sie hört aufs Wort. Guten Abend, ich bin Liv Mika.“ Sie streckte die Hand aus. Hans Pahl blieb außer Reichweite von Arm und Hund stehen.
„Angenehm, Ssie kennenssulernen“, erwiderte er und setzte sich, Livs Hand ignorierend, an die andere Seite des Tisches.
Beatrice hielt Frieda zur Begrüßung ihre Finger hin, ließ sie schnuppern und kraulte sie dann hinterm Ohr. Liv ließ das Halsband los und schwor sich, den Pahlschen Sprachfehler zu ignorieren. Sie ließ sich von so was schnell ablenken. Wenn jemand vor jedem Satz ein „Ähm“ stellte, dann zählte sie irgendwann mit und konnte sich nicht mehr auf den Inhalt konzentrieren.
Die Kellnerin brachte die Speisekarten. Liv schaute kurz rein, entschied sich und musterte dann den Wissenschaftler, der die Gerichte so gewissenhaft studierte, als würde der Fortbestand der Menschheit von seiner Entscheidung abhängen.
Er kam wohl nicht oft an die Sonne. Die Haut war fahl, und er zeigte bereits Anzeichen eines Hühnerhalses unter dem fliehenden Kinn. Mit seinen kurzsichtigen Augen blinzelte er in die Karte und kratzte sich an der Schläfe. Nur um gleich wieder die dünnen Haare darüber glatt zu streichen. Die Kellnerin kam, nahm die Bestellungen auf und eilte in die Küche. Hans Pahl schaute Liv an und blinzelte wieder.
„Nun. Womit kann ich Ihnen helfen?“
Er schien geübt darin zu sein, die S-Wörter zu umschiffen.
„Erst mal vielen Dank, dass Sie so schnell Zeit für uns gefunden haben. Das hätte ich im Traum nicht erwartet.“
„Ein anderer Termin wurde verlegt, und damit war ich heute frei.“
„Hans, das ist wirklich eine glückliche Fügung. Ich freue mich so, dich zu sehen.“ Beatrice strahlte den Mann so an, dass er sie irritiert musterte. Neben ihrer Präsenz ging er völlig unter, und später würde sich niemand Unbeteiligtes an seine Anwesenheit erinnern. Er wirkte, als würde man ihn wie eine Bleistiftskizze jederzeit aus dem Bild radieren können.
„Ich interessiere mich für Ihre Forschungen“, erwiderte Liv ruhig, Beatrice für den Moment ignorierend. Nicht, dass der aufspringt und wegläuft, weil er vor ihr Angst bekommt.
„Welcher Teil genau interessiert Sie?“
War das eine Fangfrage? „Welchen Teil würden Sie als den spannendsten, bahnbrechendsten ansehen?“
Er zögerte. „Nun, das kommt darauf an …“
„Woran arbeiten Sie gerade?“
„Gerade?“, lachte er auf. „Ich arbeite nahezu ununterbrochen an einem Thema: HIV.“
„Gibt es denn schon den einen Wirkstoff, um AIDS zu heilen?“
„Nein, den einen gibt es nicht. Aber es gibt eine Vielzahl von Kombinationen. Heute muss in Europa niemand mehr an den Folgen einer HIV-Infektion sterben. Seit 1996 die HAART-Therapie erfunden wurde, haben wir große Fortschritte gemacht. Ihr Entdecker, David Ho, wurde damals vom Time Magazine als Mann des Jahres gefeiert.“ Seine Bewunderung für diesen Mann war nicht zu überhören.
Sieh mal einer an. Die Augen des Wissenschaftlers leuchteten nicht, wenn eine Frau ihn anstrahlte, sondern wenn er von seiner Arbeit berichten konnte. Liv streifte Beatrice mit einem Blick. Die nickte. Liv fragte weiter: „Wie muss ich mir das genau vorstellen?“
„Die heutigen Medikamente verhindern, dass sich das HI-Virus vermehrt und im menschlichen Organismus weiter ausbreitet. Sie können damit die Erkrankung in einem gewissen Maß zum Stillstand bringen. Eine HIV-Infektion bedeutet damit nicht mehr unbedingt ein Todesurteil.“
„Aber bedeutet das nicht, dass ein Infizierter lebenslang Medikamente einnehmen muss, die doch sicher auch Nebenwirkungen haben?“
„Das ist leider so. Bis heute ist es nicht möglich, das HI-Virus vollständig zu zerstören. Da die Viren laufend ihre Strukturen ändern, sind sie nur schwer angreifbar. Die Betroffenen müssen ihr Leben lang behandelt werden.“
„Sie sprachen von der HAART-Methode. Was heißt das genau?“ Liv notierte sich Stichwörter, die sie später nachschlagen wollte.
„Die hochaktive antiretrovirale Therapie, daher der Name HAART, soll die Zahl der Viren im Blut so weit wie möglich senken – am besten bis unter die Nachweisgrenze. Wird das Virus nur unvollständig unterdrückt, kann es sich selbst so verändern, dass die Medikamente wirkungslos werden. Das Virus ist dann resistent.“
„Gibt es denn keinen wirksamen Schutz gegen HIV, damit es gar nicht erst so weit kommt?“
„Kondome und Aufklärung.“
„Das ist mir klar. Ich dachte eher an eine Impfung oder Ähnliches.“
Das erste echte Lächeln huschte für einen Moment über sein Gesicht. „Daran arbeite ich.“
Liv schaute auf. „Ach, das ist ja spannend. Sie sind gar nicht beim Thema Heilung in ihrer Forschung, sondern setzen weit davor an.“
„Wer eine erfolgreiche Impfung gegen HIV entwickelt, wird nicht nur Mann des Jahres, sondern bekommt einen Nobelpreis verliehen. Nicht zu vergessen, dass dieser Impfstoff eine Lizenz zum Gelddrucken wäre.“
Kaum sprach er konzentriert über seine Arbeit, verschwand sein Sprachfehler immer mehr. Er war praktisch weg. Pahl redete ganz normal, und seine Zunge stolperte über kein einziges Wort mehr.
„Was ist so schwer daran, einen Impfstoff zu entwickeln?“
„Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Man nimmt abgetötete HI-Viren und spritzt sie dem Patienten. Dessen Immunsystem setzt sich mit den Fremdstoffen auseinander, speichert typische Merkmale ab und wappnet sich so für eine Begegnung mit dem echten Virus. So funktioniert es auch bei Hepatitis A, Tollwut oder Kinderlähmung. Aber nicht bei HIV. Dieses Virus ist extrem wandlungsfähig. Wir haben es auch nicht mit einem einzigen Virus zu tun, sondern mit einem Riesenschwarm von Viren, die sich zudem noch ständig verändern. Seine Gestalt wechselt rasant von einer Generation zur nächsten.“
„Und jedes neue Virus würde einen eigenen Impfstoff benötigen?“
„Ja, so ungefähr.“
„Das erscheint mir fast aussichtslos.“
„Nun, es ist eine große Herausforderung, aber irgendwann wird es gelingen.“
„Aber wie soll das gehen? Wie kann man gegen einen Feind in den Krieg ziehen, der ständig seine Uniform wechselt? Der tarnt und täuscht?“
„Es gibt interessante Ansätze. Weltweit forschen Universitäten und Pharmakonsortien zu diesem Thema. Unser Konsortium untersucht unter anderem den Weg mittels eines Gen-Taxis, das ein für den Menschen ungefährliches Virus überträgt. Es enthält gewissermaßen eine Bauanleitung für HIV-Antikörper und eine DNA-Sequenz. Mit dieser Ladung sind Zellen von Mäusen in der Lage, die Bauanleitung immer wieder ablesen und umsetzen zu können.“
„Und wann kann man mit ersten Ergebnissen rechnen? Wurden diese Stoffe bereits an Menschen erprobt?“
Pahl lachte auf. „Wo denken Sie hin? Bevor in unserer westlichen Welt Versuche an Menschen gestattet werden, werden noch Jahre vergehen. Die Auflagen sind extrem streng.“
„Das erscheint mir auch sinnvoll.“
„Sicher. Sie haben recht. Es ist nicht erlaubt, abzuwägen, dass wenige Menschen Millionen anderen Menschen das Leben retten könnten.“
Nanu? Was redete der da? Liv horchte auf. „Sie wissen, dass solche Gedankenspiele gefährlich sind? Vor siebzig Jahren haben uns auch solche Annahmen auf einen falschen Weg geführt.“
„Selbstverständlich. Entschuldigen Sie, dass ich da frustriert klinge. Da geht manchmal der Forscher in mir mit mir durch. Nach so vielen Jahren erfolgloser Suche und Fehlschlägen träumt jeder Beteiligte vom großen Durchbruch und fantasiert, wie das gelingen könnte.“ Pahl lispelte jetzt wieder stärker.
Das anschließend eintretende Schweigen wurde von der Kellnerin durchbrochen, die lächelnd Teller auf den Tisch stellte und allen einen guten Appetit wünschte. Wie konnte man die Unterhaltung jetzt wieder auf ein nicht vermintes Gebiet lenken? Beatrice hielt sich auffallend zurück, also musste Liv ran.
„Sie kennen doch sicherlich das Unternehmen Neofarmo? Die sind doch auch im Bereich der Impfstoffe unterwegs, wenn ich mich nicht irre.“
Die Gabel von Hans Pahl verharrte in der Luft und fand dann den Weg zurück auf den Teller. „Ja, sicher habe ich von Neofarmo gehört.“
„Und von Isolde Züchner, der Inhaberin?“
Er schien zu überlegen. „Das muss schon Jahre her sein, dass ich sie auf einem Kongress kennengelernt habe. Sehr engagierte Frau. Das ist mir damals gleich aufgefallen.“
Jetzt blieb Livs Gabel auf halbem Weg zum Mund hängen. Vor Jahren? Sie war irritiert. Die Verträge, die sie bei Isolde Züchner gefunden hatte, sahen sehr aktuell aus. Sollte sie ihn danach fragen? Nein, das wäre zu auffällig.
„Warum genau interessieren Sie sich für meine Forschung?“, unterbrach Hans Pahl Livs Gedankengänge. Ja, warum eigentlich? Was war die Verbindung zwischen ihm und Isolde, und was hatte das alles mit den jungen Mädchen aus der Ukraine zu tun? Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie beim Herumschnüffeln seinen Namen bei einer Frau entdeckt hatte, die er angeblich nur flüchtig kannte.
„Ich möchte gerne mehr zu dem Thema erfahren. Ich war gemeinsam mit Beatrice in Kiew. Dort haben wir gesehen, wie groß die Probleme mit AIDS sind und wie schwer sich die Behörden damit tun.“
„Kiew? Das ist bei der politischen Sicherheitslage bestimmt eine interessante Stadt, wenn man Krawall mag. Aber es ist wahr, dass es in diesen Gegenden einen besorgniserregenden Anstieg des Virus gibt. Die osteuropäischen Länder sind für uns Forscher allerdings nicht sonderlich spannend. Durch Ignoranz der Tatsachen ist die Rate der Neuinfektionen sehr hoch, aber das bringt uns in der Forschung nicht weiter.“
„Isolde Züchner engagiert sich dort und holt junge Waisenmädchen von der Straße, gibt jungen infizierten Frauen Arbeit im Heim und versorgt sie mit Medikamenten.“
„Sehr vorbildlich.“
„Ja, das finde ich auch. Ich kenne ihre Projekte. Ist es nicht großartig, dass hier drei Menschen am Tisch sitzen, die sich alle in den Dienst der HIV-Bekämpfung stellen, indem sie forschen, darüber berichten und die Krankheit behandeln?“, schaltete sich Beatrice wieder in die Unterhaltung ein.
Hans Pahl ging nicht weiter auf Beatrice’ Einwand ein. Er schien das Interesse verloren zu haben. Vielleicht hielten sie ihn von wichtigen Forschungsarbeiten ab? Sie schleppten sich noch bis zum Dessert durch ein einseitiges Gespräch, bei dem Hans Pahl nur zögernd was beisteuerte. Vielleicht hatte er nach seiner seltsamen Aussage über die Erprobung von Impfstoffen Angst, etwas Falsches zu sagen. Liv zahlte, und Frieda streckte sich auf ihrer Decke und gab beim Gähnen einen guten Blick auf ihr Gebiss.
„Geht ihr schon mal mit Frieda vor? Dann kann ich noch mal schnell verschwinden.“ Liv steckte ihr Portemonnaie wieder ein und faltete Friedas Decke zusammen.
„Machen wir, aber nur, wenn du mir deine Jacke leihst. Meine liegt noch im Wagen“, antwortete Beatrice.
Liv warf ihr die Jacke über den Tisch. „Das wird noch zur Angewohnheit. Aber Antikleder über Twinset ist auch ein schöner Kontrast.“
„Wir können doch aber auch hier warten“, schlug der Wissenschaftler vor.
„Die wollen den Tisch abräumen, Frieda muss sicherlich mal pinkeln, und Beatrice mag die frische Luft. Ich komme gleich nach.“ Liv gab Beatrice die Leine und strich Frieda über den Kopf. „Und los“, gab sie ihr das Kommando, damit sie unbesorgt mitgehen konnte.
„Ja, aber …“, protestierte Hans Pahl erneut. Aber Frieda zog schon nach draußen, als sich Beatrice noch die Jacke umlegte. Lachend ließ sie sich zum Eingang schleifen. Der Wissenschaftler schaute zwischen den beiden Parteien hektisch hin und her und stolperte hinterher.
„Beatriss, warte doch einen Moment!“
Liv schüttelte den Kopf. Der war ja wie ein Hütehund, der die Herde beisammenhalten wollte. Sie ging in Richtung der Toiletten.
Eine Frau schrie! Reifen quietschten. Frieda bellte wie verrückt. Liv drehte sich um und rannte nach draußen. Sie prallte mit einem Paar, das im Eingang stand, zusammen. Die Frau hielt sich die Hände vor den Mund und schrie unaufhörlich.
Was war hier los? Beatrice lag auf dem Rücken. Sie fasste sich an die Brust und hatte die Augen weit aufgerissen. Blut sickerte durch ihr Twinset. Frieda stand am Straßenrand und kläffte aufgeregt. Sie rannte zu Beatrice, winselte und versuchte, ihr über das Gesicht zu lecken. Hans Pahl lehnte käseweiß an einem Holzpfeiler und bewegte den Mund auf und zu wie ein Fisch an Land, der um sein Leben kämpft.
„Aus dem Auto, der Arm aus dem Auto und dann war alles rot …“, stammelte die schreiende Frau und zeigte auf die Straße.
Liv griff ihr Telefon und wählte die 110.
„Notrufzentrale, guten Tag.“
„Hallo. Mein Name ist Liv Mika. Wir brauchen sofort einen Rettungswagen zum Restaurant Steuerndieb, Gehägestraße. Eine Freundin ist vor der Tür des Restaurants niedergeschossen worden.“
„Niedergeschossen? Ist der Täter noch in der Nähe? Sind Sie in Gefahr?“
„Nein, bin ich nicht. Es wurde vermutlich aus einem fahrenden Auto geschossen.“ Mann! Schickt hier jemanden her und fragt mir keine Löcher in den Bauch. Meiner Freundin wurde in die Brust geschossen! Liv zwang sich zur Ruhe. „Schicken Sie bitte sofort einen Krankenwagen!“
„Keine Sorge. Der ist schon unterwegs. Ist die Person noch ansprechbar?“
„Ja, aber sie verliert viel Blut.“ Liv schaute zu Hans Pahl, der immer noch an der Säule stand und wie hypnotisiert auf Beatrice starrte.
„Sind weitere Personen betroffen?“
„Nein.“
„Ihre Telefonnummer sehe ich hier. Versuchen Sie, vorsichtig mit dem Handballen Druck auf die Wunde auszuüben, um die Blutung zu stoppen, und reden Sie mit der Person.“
„Ja, alles klar.“
„Bitten Sie auch alle Zeugen, vor Ort zu warten. Es ist gleich jemand bei Ihnen. Auf Wiederhören.“
Liv legte auf und beugte sich zu Beatrice hinunter.
„Baby, alles wird gut. Der Rettungswagen ist unterwegs. Du bist schneller in guten Händen, als du Piep sagen kannst.“
Endlich kam Leben in Hans Pahl. Er schob Liv zitternd zur Seite und betastete vorsichtig die Wunde. Beatrice’ Lider fingen an zu flattern. Sie wurde ohnmächtig.
„Beatrice! Beatrice, bleib hier!“ Liv wurde eiskalt.
Frieda beobachtete ihr Frauchen und winselte.