Читать книгу Thriller Collection I - Penelope Williamson - Страница 49
Samstag, 13 April 37. Liv / Oliver
ОглавлениеDie Schlange aus müden und müffelnden Passagieren im Gang des Fliegers schob sich Reihe für Reihe träge nach vorne. Zerzauste Haare mit breiter Liegeglatze am Hinterkopf kennzeichneten den erwachten Fluggast. Eine saure Alkoholfahne hingegen kennzeichnete den erwachten Fluggast, der nur mit Alkohol Schlaf gesucht und gefunden hatte.
Am Platz direkt vor Liv zerrte ein Businessmann, der beide Kennzeichen vereinte, im Gepäckfach an seinem verhakten Trolley. Das stoppte den Vorwärtsdrang der Passagiere. Missbilligende Blicke trafen den Mann wie Pfeile. Liv gähnte. Der einzige Rückflug aus Kiew an dem Abend ging über Amsterdam, und sie hatten die halbe Nacht am Flughafen Schiphol Aufenthalt gehabt. Die Aussprache mit Beatrice hatte ihr zwar gutgetan, aber es gab noch so viel, was sie nicht verstand. Wie hing das alles zusammen? Warum gab sich jemand so viel Mühe und zog die Mädchen sogar in einem Heim mit angeschlossener Schule groß? Und wo wurden die Mädchen danach hingebracht? Wusste Isolde Züchner am Ende davon? Oder war es ein dummer Zufall, dass ein junges Mädchen aus ihrer Obhut von Bögershausen vergewaltigt worden war?
Beatrice saß noch auf ihrem Fensterplatz und lauschte ins Telefon. Sie fing Livs Blick auf und reckte nickend einen Daumen nach oben. Eine platt gedrückte Locke wippte im gleichen Takt mit.
„Das Interview klappt. Isolde hat morgen Zeit für dich“, ergänzte sie. „Ich höre sie gerade auf der Mailbox.“ Beatrice schickte Liv die Kontaktdaten. Sie stand auf und reihte sich hinter Liv ein. „So, das wäre erledigt. Ich bin gespannt, wie du sie findest.“
„Beatrice, magst du eigentlich diesen Heroin-Schick um die Augen, wie ihn Kate Moss vor einigen Jahren trug?“
Beatrice schaute irritiert. „Äh ... nein. Wieso?“
„Schau mal in den Spiegel“, grinste Liv. Zurück in Deutschland, zurück zum Humor. War das schön, gleich ein Flugzeug zu verlassen, das auf deutschem Boden stand. Liv fühlte sich trotz der ganzen Situation beschwingt. Das Interview würde spannend werden, und vielleicht fand sie sogar eine neue Verbündete für diese Geschichte. Wir werden diese Fäden schon noch entwirren und hoffentlich auch Oxana damit helfen.
Beatrice musterte sich im Spiegel ihrer goldenen Puderdose. „Ist doch gar nicht so übel. Man muss nur die am oberen Lid hängende Mascara ein bisschen verwischen, und schon sind es perfekte Smokey Eyes.“
Trotz dieser Tatsache befreite Beatrice mit geübten Handgriffen ihre Augen vom schwarzen Trauerrand. Zwischen ihr und Beatrice war ein Knoten geplatzt. Das fühlte sich gut an. Sie verließen den Fahrgasttunnel und nahmen am Gepäckband ihre Koffer entgegen.
„Ich ruf dich an, wenn ich bei ihr war“, sagte Liv beim Verabschieden und nahm Beatrice in den Arm.
„Ich freue mich drauf.“
Liv griff nach ihrem Koffer, fuhr den Griff aus und drehte sich um. Sie rannte direkt in einen Kerl, der wie ein Pfeiler mitten in der Ankunftshalle stand. Vor Schreck ließ sie den Griff los, und der Koffer knallte auf den Boden. Sie bückte sich und schimpfte: „Mann, wo haben Sie denn Ihre Augen?“
„Vorne, zwischen Stirn und Nase.“
Liv zuckte zusammen und richtete sich langsam auf. „Oliver? Äh … Herr Klauenberg Was machen Sie denn hier?“
„Auf Sie warten.“
„Auf mich?“
Was wollte er denn am Flughafen?
„Ja.“
Immerhin antwortete er auch nicht eloquenter als sie. Oliver räusperte sich. „Natürlich auf Sie. Sie haben mich doch angerufen und zum Flughafen bestellt. Ich hab’s nur so schnell nicht bis Kiew geschafft.“
Beatrice hatte sich bisher nicht von der Stelle gerührt und trat nun näher. „Guten Tag, Beatrice Hemme.“ Sie streckte ihre Hand aus und schaute den Neuankömmling wohlwollend an.
„Oliver Klauenberg, Kripo Hannover.“ Er nahm ihre Hand und lächelte.
Natürlich! Der Anruf. Oh nein. Sie hätte nie gedacht, dass er tatsächlich am Flughafen auftauchen könnte. Liv schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Ich Rind! Sie waren mein fingierter Botschaftsmitarbeiter, damit uns der Fahrer nicht entführt. Ich habe völlig verschwitzt, Ihnen zu sagen, dass der Anruf nur Tarnung war!“
Jetzt guckte Klauenberg völlig verwirrt. „Sie wurden entführt?“
„Nein, eben nicht.“
„Aha.“
„Aber immerhin einmal überfallen und einmal ausgeraubt“, schaltete sich Beatrice ein.
„Nicht entführt, aber überfallen?“
„So in etwa“, bestätigte Beatrice.
Oliver schaute beide Frauen an, als hätten sie ihm eröffnet, dass sie beide Elefantenbullen geehelicht hatten.
„Ähm ... das ist eine längere Geschichte. Aber wie haben Sie uns gefunden? Es wusste doch niemand, in welchem Flieger wir sitzen? Oder, Beatrice?“
Beatrice schüttelte den Kopf. Sie sah aus, als könnte sie ein Grinsen nur mühsam unterdrücken. Liv wurde warm im Gesicht.
„Nach Ihrem Anruf hatte ich mir Sorgen gemacht. Wir, also mein Kollege und ich, haben dann einfach alle Airlines gecheckt, die aus Kiew kamen.“
„Die Holländer geben einfach so Auskunft? Wir sind über Amsterdam mit einer holländischen Airline geflogen“, wunderte sich Liv. Noch mehr wunderte sie sich über das Kribbeln in ihrem Bauch.
„Nee, die Holländer nicht. Aber die deutsche Airline, die Sie hierhergebracht hat.“
Wie viele Maschinen und Abflughäfen hatte er denn überprüfen müssen, bis er das rausgefunden hatte? Liv lächelte in sich hinein.
„Und Sie sind hergekommen, weil Sie sich gesorgt haben?“
„Ja, auch. Aber dann wollte ich Ihnen auch noch etwas zurückgeben.“ Er fasste in seine Innentasche, holte eine Art Gefrierbeutel heraus und überreichte ihn Liv. Sie starrte erst ihn und dann den durchsichtigen Beutel an. Dann fiel der Groschen. „Friedas Kauknochen!“
„Ja, die Speichelprobe war negativ. Definitiv war es nicht Ihr Dobermann, der sich an der Leiche von Edgar Szumanski vergangen hat.“
„Leiche?“ Beatrice schaltete sich wieder ein.
„Ja, der Informant, mit dem ich verabredet war und der nicht aufgetaucht ist.“
„Und was ist mit …“
„Beatrice, das klären wir alles später, okay?“ Liv schaute Beatrice eindringlich an. Oliver Klauenberg beobachtete die Szene. Hoffentlich hatte er kein gutes Gespür für Zwischentöne. Liv wandte sich ihm zu. „Herr Klauenberg, ich habe eine Idee. Sie sind mit dem Wagen hier?“
„Ja, natürlich.“
Liv gab ihm die Tüte zurück und hielt dabei seine Hand fest. „Dann geben Sie Frieda ihren Knochen doch am besten selber zurück. Sie ist hier ganz in der Nähe bei ihrer Züchterin und wartet darauf, abgeholt zu werden.“ Liv nahm ihren Koffer und ging los. „Was ist? Sind Sie dabei? Beatrice, bis nachher!“ Sie stapfte weiter. Bloß erst mal weg hier, bevor Beatrice den Staatssekretär doch noch erwähnte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Beatrice ihr verwirrt hinterherschaute.
Oliver kam mit großen Schritten hinterher und baute sich vor ihr auf. „Und was ist hiermit?“ Er hielt Liv sein Telefon vors Gesicht. Zum zweiten Mal in 24 Stunden schaute sie auf das ukrainische Kennzeichen und in das wütende Gesicht des Fahrers.
Oliver verharrte mit dem Telefon in der Hand und beobachtete Liv. Die erste, unmittelbare Reaktion zeigte die Wahrheit. Das hatte er schon in der Ausbildung gelernt und fand es in vielen Verhören bestätigt. Liv schaute erst auf das Telefon und ihm dann ins Gesicht. Diese Augen! Grau, ein ebenmäßiges Betongrau. Er kannte niemanden, der solche Augen hatte. Ihr Blick drang in ihn ein und kribbelte in seinem Bauch. Sie blieben wie eingefroren stehen. Ich muss sie küssen! Dieser Gedanke blitzte wie ein Stromschlag durch seinen Kopf.
Liv räusperte sich und blinzelte. Damit gab sie seine Augen und Gedanken frei. Er hörte wieder quietschende Kofferrollen, lachende Stimmen von Menschen, die ihre Liebsten abholten, und klackende Absätze auf den Fliesen. Der Moment war vorüber, als wäre er mit einem Fingerschnipsen aus einer Hypnose zurück in die Wirklichkeit katapultiert worden.
Sie sah ihn wieder an. „Okay. Das ist keine Kurzgeschichte für eine Autofahrt. Wollen wir heute Abend zusammen essen gehen?“
Oliver klappte der Unterkiefer runter, und sein Herz hämmerte unangemessen. Bat sie ihn um ein Date? Oder hoffte er das nur?
„Ja.“ Das Wort war heraus, bevor er es verhindern konnte.