Читать книгу Thriller Collection I - Penelope Williamson - Страница 48
36. Oliver
ОглавлениеEr nahm das Telefon vom Ohr, starrte noch ein paar Sekunden auf das Display und steckte das Gerät ein. Fluchend stieß Oliver die Tür zu den Toiletten auf, drehte das kalte Wasser auf und spritzte sich eine Handvoll davon ins Gesicht. Mist, Mist, Mist. Diese Frau ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Dabei kannte er sie doch gar nicht. Null, nada, zero. Und nun rief sie auch noch an! Aber was erzählte sie da? Fotos vom Kennzeichen und wir treffen uns mit jemandem von der Botschaft am Flughafen von Kiew? Sie war in Kiew? Warum das denn? Las sie keine Zeitungen? Diese Stadt war gefährlich. Und wieso dachte sie, dass er auch da war? Das ergab überhaupt keinen Sinn.
Er trocknete sich das Gesicht ab und betrachtete sich im Spiegel. Er hatte nie Probleme gehabt, Frauen von sich zu überzeugen. Mit seinen markanten Gesichtszügen und dem durchtrainierten Körper wurde er oft angeflirtet. Bei Liv fühlte er sich jedoch linkisch und unsicher. Alles, was er zu ihr sagte, hörte sich albern an. Sie nahm ihn nicht ernst und interessierte sich vermutlich null für ihn. Sah sie in ihm nur den hirnlosen Bullen, über den sie eine Story schreiben könnte, wenn er Mist baute? Aber warum dann dieser seltsame Anruf? Sollte er sie zurückrufen und nachfragen? Nein, auf keinen Fall lief er ihr auch noch hinterher. Er stellte sein Telefon aus und ging zurück zum Besprechungsraum.
Als er die Tür öffnete, zog Robert eine Augenbraue hoch und grinste sein Ich-weiß-Bescheid-Lächeln. Der konnte ihn mal. Gar nichts wusste der. Oliver schob sich hinter den Stühlen der anderen vorbei. Die Luft war geschwängert von den Ausdünstungen zu vieler Männer in einem zu kleinen Raum. Die Kollegen hatten sogar noch Stühle aus ihren Büros mitbringen müssen. Wenn der Chef ausnahmsweise die ganze Abteilung sehen wollte, dann hatte garantiert keiner etwas Wichtigeres zu tun. Oliver hatte gleich gewettet, dass es um den Suizid des Politikers gehen würde und recht behalten.
„Herr Klauenberg, wie schön, dass Sie wieder Zeit für uns gefunden haben. Sie finden sicher alleine zu ihrem Platz zurück, und wir können weitermachen.“ Heinz Rachow, der stellvertretende Polizeipräsident, konnte mit Worten Ohrfeigen verteilen. Dabei erhob er nicht mal sonderlich die Stimme. Es war die Art, wie er einem die Sätze vor die Füße warf. Als wäre man ein vorbeisegelndes Blatt, das die Aufmerksamkeit nicht wert war, aber für einen Moment die Sicht auf Wichtigeres versperrte. Oliver bewunderte ihn für diese Arroganz. Wie effektiv man damit Zeugenbefragungen durchführen könnte. Wahnsinn. Der Beinahe-Präsi, wie ihn Oliver in Gedanken nannte, war schon ein cooler Typ.
Es war in den letzten Jahren selten vorgekommen, dass Rachow zur Truppe sprach. Aber wenn ein Staatssekretär starb, musste der Chef ran.
„Wir wollen die Geschichte nicht überbewerten. Wir alle wissen, dass der Tod, vor allem der gewaltsame, wenn auch freiwillige, ein tragisches Erlebnis für die Angehörigen ist“, setzte Rachow erneut an und stoppte damit Olivers Gedankenausflug. „Günther Bögershausen wird seine Gründe für diesen Schritt gehabt haben, und wir haben das, sofern ein Fremdeinwirken ausgeschlossen werden kann, zu respektieren und wollen den Fall somit schnell abschließen, damit sein Leichnam beerdigt werden kann.“
Vermutlich hatte Rachow den Kerl gekannt und wollte nicht, dass die Antidepressiva und die Pornos noch an die Öffentlichkeit gelangten. Oliver überlegte. Fand er das jetzt gut und würde sich so ein Vorgehen auch wünschen, wenn er sich zu einem solchen Schritt entschieden hätte? Er war unsicher.
„Zum Ende noch eine sehr persönliche Bitte. Gerade weil es sich hier um eine prominente Persönlichkeit der Stadt handelt, erwarte ich von allen an dem Fall Beteiligten absolute Diskretion über die Umstände und den Abschiedsbrief des Verstorbenen.“ Rachow blickte nach und nach jedem Ermittler in die Augen, als würde er die Angesprochenen einer telepathischen Reihenimpfung unterziehen. Am Ende schaute er lächelnd in die Runde und sagte: „Danke, meine Herren, ich weiß, was ich hier für eine fabelhafte Ermittlertruppe habe, und auch, dass ich mich auf Sie alle verlassen kann.“ Er nickte, wie um sich selbst zur Ansprache zu beglückwünschen, und steuerte die Tür an. Die Kollegen klopften zustimmend auf die Tische und sahen ihm hinterher.
Was für eine coole Sau, dachte Oliver. Etwas klatschte auf seinen Rücken. Oliver fuhr herum. Robert schaute tadelnd seine rechte Hand an, als hätte sie seinem Kollegen ohne Absprache einen Klaps gegeben. „Ups … wer ist denn da so schreckhaft? Hat das Zuckerschnäuzchen angerufen? Reales Treffen statt immer nur die gleichen Bilder aus dem Internet?“
„Warst du schon wieder an meinem Rechner?“, fragte Oliver. Robert grinste. Oliver wünschte sich auf der Stelle die Coolness von Rachow. Stattdessen stieg ihm die Röte, wie bei einer keuschen Jungfrau, ins Gesicht. „Sie war am Telefon, nicht wahr?“, fragte Robert schon deutlich versöhnlicher. Olivers Blick huschte zwischen den Kollegen hin und her, die mit Stühlerücken, Fensteraufreißen und anderen Dingen beschäftigt waren.
„Sie hat mich völlig wirr angerufen und irgendwas von Kiew, Flughafen und deutscher Botschaft gefaselt. Dabei klang sie wie eine überdrehte Teleshopping-Verkäuferin beim Anpreisen von Miederwaren.“ Oliver schüttelte wieder den Kopf, als er an die Stimme von Liv dachte.
„Wie bist du, wenn du blitzeblau bist?“
„Hä? Was soll das denn jetzt?“
„Nun sag schon.“
„Meinst du, sie war betrunken?“
„Könnte doch sein.“
„Aber ihre Stimme klang nicht verwaschen, und gelallt hat sie schon gar nicht.“
„Das tust du auch nicht, erzählst aber nach zehn Weizen die ungeheuerlichsten Sachen.“
Oliver überlegte und schaltete sein Telefon wieder ein. Konnte das sein? Saß sie mit einer Freundin beim Prosecco und machte Telefonstreiche? Wer am besten rüberkam, schmiss die nächste Flasche? Oliver sah ihr ovales Gesicht genau vor sich. Sie war die erste Frau, bei der er betongraue Augen gesehen hatte, und er war davon begeistert. Er mochte auch, wenn sie über den kleinen Höcker auf ihrer Nase strich, wenn sie nervös war. War die Nase mal gebrochen worden? Wie das wohl passiert war? Vielleicht war sie so ruppig, damit sie niemand mehr verletzte? Oder wie sie eine Haarsträhne ungeduldig hinters Ohr strich, als hätte diese gegen eine Abmachung verstoßen.
Er hatte sie mit kurzen dunklen Haaren und sehr abweisend in Erinnerung gehabt, und dann stand da eine trainierte, blonde Frau mit Haaren knapp übers Kinn und diesen forschenden Augen. Er hätte sie auf der Straße niemals wiedererkannt.
„Einsatzzentrale an alle. Uns ist ein Polizist in den Weiten der Sternzeit Liv Mika verloren gegangen.“
Oliver schreckte hoch. „Oh, sorry. Ich … ähm … ich bin das Gespräch noch mal durchgegangen. Sie klang definitiv nicht betrunken.“
„Okay. Ich weiß, wie wir deinen Zugvogel orten können.“
„Und wie machen wird das?“
„Wir gehen rüber zu Paolo. Du spendierst mir ein feines italienisches Bier, und ich erkläre es dir dann.“
Olivers Telefon brummte und zeigte eine Nachricht auf der Mailbox und den Eingang eines Fotos an.