Читать книгу Privat- und Prozessrecht - Peter Förschler - Страница 105
5.6 Handelsrechtliche Vertretungsverhältnisse 5.6.1 Prokura und Handlungsvollmacht 5.6.1.1 Besonderheiten der Prokura
ОглавлениеDem Kaufmann steht eine besonders weitreichende Form der Vollmachtserteilung zur Verfügung: die Prokura (§§ 48 ff. HGB). Für die Prokura gelten grundsätzlich die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zur Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB), ergänzt durch die §§ 48 ff. HGB. Wegen der umfassenden Vertretungsbefugnis kommen für die Erteilung der Prokura nur besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter infrage, denen dadurch gegenüber anderen Mitarbeitern im Unternehmen auch eine herausgehobene Position zukommt.
Für die Prokura gelten folgende Besonderheiten:
> Prinzipalgeschäft: Nur ein Kaufmann selbst kann Prokura erteilen (§ 48 Abs. 1 HGB).
> Ausdrückliche Erteilung: Die Prokura-Erteilung muss ausdrücklich, wenn auch nicht zwingend schriftlich geschehen (§ 48 Abs. 1 HGB).
> Deklaratorische Handelsregisteranmeldung: Die Prokura ist zur Eintragung im Handelsregister anzumelden (§ 53 HGB). Diese ist jedoch nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prokura-Erteilung („deklaratorisch“).
Der Geschäftsführer einer GmbH (Organ des Formkaufmanns GmbH) erklärt bei einer Betriebsversammlung den anwesenden Mitarbeitern mündlich, dass Frau P ab sofort mit Prokura ausgestattet sei. Darauf wird das Glas erhoben, und alle feiern Frau P: Wirksame, ausdrückliche Prokura-Erteilung, obwohl zu diesem Zeitpunkt sicher noch keine Handelsregistereintragung vorliegt.
> Allumfassender Umfang: Der Prokurist ist das „andere Ich“ des Kaufmanns. Die Prokura ermächtigt daher zu allen Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes – und nicht nur des konkret infrage stehenden Handelsgewerbes – mit sich bringt. Auch Prozesshandlungen vor Gericht sind mit umfasst.
Der Prokurist des Maschinenbauunternehmens Z bestellt Buchsbäume im Wert von 6.000,- € bei Baumschule B zur Gestaltung der Außenanalagen des Fabrikgebäudes: zulässig, obwohl Z kein Gartenbauunternehmen ist.
> Einschränkungen des Umfangs: Prinzipalgeschäfte, z. B. Erteilung einer Prokura; private und höchstpersönliche Geschäfte des Unternehmers, z. B. Testamentserrichtung, Eheschließung; Geschäfte, die nicht „zum Betrieb“ des Handelsgeschäfts gehören, z. B. Verkauf des Unternehmens; Filialprokura (§ 50 Abs. 2 HGB); Gesamtprokura für mehrere zusammen (§ 48 Abs. 2 HGB); Veräußerung und Belastung von Grundstücken (§ 49 Abs. 2 HGB). Insoweit braucht auch der Prokurist eine eigenständige Vollmacht nach § 164 BGB.
Patzig ist kaufmännischer Leiter der Immofinanz GmbH, die Grundstücke erwirbt, entwickelt und mit Wohnimmobilien (Eigentumswohnungen) bebaut wieder verkauft. Patzig hat Prokura. Der Absatz der Wohnungen läuft schlecht. Als Patzig während des Urlaubs des Geschäftsführers für eine Wohnung einen Interessenten findet, schließt er schnell mit dem Kunden den notariellen Kaufvertrag ab: Unwirksam, da die Prokura die Veräußerung von Grundstücken (Eigentumswohnung hat Miteigentumsanteil am Grundstück, § 1 Abs. 2 WEG) nicht umfasst!
> Unbeschränkbarkeit der Prokura: Der Umfang der durch das Gesetz vorgegebenen Vertretungsmacht des Prokuristen kann nach außen – Dritten gegenüber – nicht beschränkt werden („Ganze Prokura oder keine Prokura“ – § 50 Abs. 1 HGB). Weisungen für die geschäftliche Tätigkeit des Prokuristen sind nur im Innenverhältnis von Bedeutung; dem Chef gegenüber kann er bei Missachtung schadensersatzpflichtig werden (vgl. § 280 Abs. 1 BGB). Soweit die Prokura reicht, kann der Prokurist also niemals „Vertreter ohne Vertretungsmacht“ mit den Folgen des § 179 BGB sein.
Der Chef der Immofinanz weist die Mitarbeiter an, auf keine Sonderwünsche der Kunden bzgl. Ausstattung der Eigentumswohnungen einzugehen. Prokurist Patzig lässt dennoch durch Fliesenlegermeister Platte hochwertige Marmorplatten im Badezimmer des Interessenten I einbauen, wofür die Immofinanz 14.000,-- € bezahlen muss: Der Werkvertrag zwischen Immofinanz und Platte ist wirksam, weil Patzig jegliche Geschäfte vornehmen darf. Im Innenverhältnis hat er jedoch gegen eine arbeitsrechtliche Weisung seines Chefs verstoßen und muss ggf. mit einem Schadensersatzanspruch der Immofinanz rechnen.
> Unterschiftszusatz: Der Prokurist unterzeichnet mit einem Zusatz, der die Prokura erkennbar macht („ppa“ = per procuram).