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1.4 Kommunikationswettbewerb in Werbung und MarketingMarketing

In TV-​Spots und Werbeclips wurden schon immer Geschichten erzählt. Die kommunikativen Ansätze und die Art der Story haben sich freilich in den vergangenen Jahrzehnten evident verändert. Bis Anfang der 1990er-​Jahre dominierte die produkt-, zielgruppen- und wettbewerbsorientierte Werbung als Marketingmaßnahme. Werbefiguren wie Clementine oder der animierte Meister Proper standen schon Ende der 1960er-​Jahre für die personifizierte Qualität eines bestimmten Waschmittels bzw. Reinigungsmittels, während die Jacobs-​Krönung-​Werbung im nächsten Jahrzehnt – frei von jeglicher Emanzipation – Ehefrauen dringend ins Gewissen rief, morgens im emsigen Hausstand ja die richtige Kaffeesorte zu servieren, damit der Gatte nicht zürnend das Heißgetränk im Büro bevorzugt. Ein Klassiker der Wettbewerbskommunikation in den 1980er Jahren ist wiederum die Drei-​Wetter-​Taft-​Werbung, in der die Frisur der Protagonistin morgens im regnerischen Hamburg genauso perfekt sitzt wie beim Zwischenstopp im windigen München und schließlich bei der Flugankunft im heißen Rom – das schaffte, in der fiktionalen Storywelt der Werbung, nur dieses eine Produkt.

Da viele Produkte im Laufe der Zeit immer ähnlicher geworden waren und deren Unique Selling PropositionUnique Selling Proposition (USP), also das spezifische Alleinstellungsmerkmal, dementsprechend schwieriger zu konturieren war, vollzog sich in den 1990er-​Jahren der Wandel zum Kommunikationswettbewerb – und damit zur Unique Communication PropositionUnique Communication Proposition (UCP). In den Wettstreit um die besseren Werbestorys schickte Coca-​Cola damals u. a. einen attraktiven Fensterputzer, dessen Arbeitsauftritt an einem Bürogebäude zum Pflichttermin für Manager:innen wurde, ins (Klischee-)Rennen. Die 2000er-​Jahre werden in der Fachliteratur wiederum der Dialogkommunikation zugeordnet – vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und ihrem Paradigma der Interaktion geht es in Marketing und Werbung seitdem darum, die Kund:innen direkt anzusprechen und zu ihnen eine möglichst enge und wechselseitige Beziehung aufzubauen. Mit der zunehmenden Hinwendung zu Online-​Medien, etwa Videoportalen, Podcasts oder Weblogs, entwickelte und intensivierte sich von 2010 an die Netzwerkkommunikation (Bruhn 2019, S. 15–20).

Seitdem Neurowissenschaftler:innen Erkenntnisse publizieren, wonach weniger Fakten und Zahlen die Menschen umtreiben als vielmehr Gefühle, Geschichten und andere Menschen (Spitzer 2004) oder dass das Gehirn „Informationen in Geschichten verpackt, speichert und wieder abruft“ (Fuchs 2013, S. 19, zit. nach Milling 2020, S. 31), setzen Marketingstrateg:innen noch stärker auf Storytelling. Um neue Kund:innen zu gewinnen, bestehende zu binden oder ehemalige zurückzugewinnen, zielen sie in der Werbung verstärkt auf das limbische System, das Gefühlszentrum im Gehirn. Dazu werden in Werbespots oder -filmen fiktionale, mitunter aber auch faktuale Geschichten mit intendiert hohem affektiven Gehalt oder dramatischen Inhalten erzählt (Heiser 2020). Die Telekom-​Werbegeschichte um den unscheinbar wirkenden Briten Paul Potts, der bei einer Castingshow plötzlich stimmgewaltig eine bekannte Verdi-​Arie schmettert, damit Jury wie Publikum zu Tränen rührt und weltweit bekannt wird, ist ein solches faktuales Storybeispiel. Einige Diskussion hat derweil die fiktionale #Heimkommen-​Geschichte ausgelöst, in der ein alter Mann vorgibt, tot zu sein, um seine Familie zu sich zu locken. Dass in diesem Spot erst spät das werbende Unternehmen, nämlich Edeka, evident wird, ist ein Merkmal einer solchen ausgeprägt emotionalen Werbung über Storytelling. Die starke affektive Wirkung der Geschichte, die ein Stück weit über das zumindest implizite Evozieren eines schlechten Gewissens (wann habe ich zuletzt meinen Vater/Großvater besucht?) generiert wird, soll als UCP das Unternehmen promovieren.

Golden CircleGolden Circle: Das Warum in Werbestorys

In Zeiten der Digitalisierung und des veränderten Mediennutzungsverhaltens, in denen die Aufmerksamkeitsspannen (noch) kürzer werden, Werbeanzeigen zunehmend als lästig empfunden werden, TV-​Blockwerbung häufig Zapping-​Fluchtreflexe auslöst, Direkt-​E-Mails im Spam-​Ordner landen und Werbeanrufe nerven, vollzieht sich im Marketing ein Strategiewechsel: weg vom verkäuferzentrierten Push-​MarketingMarketingPush-, also der ‚klassischen‘ Werbung analog und digital, hin zum kundenzentrierten Pull-​MarketingMarketingPull- bzw. Inbound-​MarketingMarketingInbound-. Auf Webseiten, Blogs, Erklärvideos oder Podcasts werden die Inhalte auf die Interessen der User:innen abgestimmt. Ziel ist es, eine aktive Rezeption der Inhalte sowie ein Bedürfnis bei den Kund:innen zu generieren. Sie sollen einen nutzenstiftenden Mehrwert erhalten – durch attraktiven Content und die Förderung des Dialogs. Der potenzielle oder bestehende Kunde soll also in seinen individuellen Bedürfnissen und Erwartungen abgeholt und kognitiv wie affektiv angesprochen werden sowie die Möglichkeit zur Partizipation erhalten (Schlömer 2017).

Storytelling gilt im Kontext dieser modernen Marketingstrategie als zentrale kommunikative Methode, um InvolvementInvolvement und IdentifizierungIdentifizierung zu generieren. Dabei sind Adaptionen des zyklischen Heldenreisen-​Grundmusters aus dem Filmbereich mitunter recht deutlich zu erkennen (Sammer 2017, S. 49). Nach dem von Simon Sinek entwickelten und gerade im Online-​Marketing inzwischen stark rezipierten Modell des Golden CircleGolden Circle steht das ‚Warum‘ bei der Kaufentscheidung an erster Stelle – sozusagen das Problem oder der Konflikt, den es zu lösen gilt, ähnlich wie bei der Reise des filmischen Helden. Das auf die Kundenperspektive orientierte ‚Warum‘ sollte nach dem Ansatz des britisch-​amerikanischen Unternehmensberaters und Dozenten für strategische Kommunikation für jedes Unternehmen im Zentrum seiner Kommunikation und konkret des Marketings stehen. Danach folgen das ‚Wie‘, also die Lösung des Problems, und schließlich das ‚Was‘ – die Sache, mit der die Lösung möglich geworden ist. Das Produkt steht also, ganz anders als im traditionellen Marketing, am Ende der werbend-​informierenden Geschichte (Sinek 2020, S. 39ff.).

„Wenn von innen nach außen kommuniziert wird, dann liefert die Frage WARUM den Kaufgrund und die Frage WAS dient als konkreter Beweis für diesen Glauben. Die Gegenstände, auf die wir hinweisen, um die Gründe zu rationalisieren oder zu erklären, die uns zu einem Produkt, einer Firma oder einer Idee hinziehen“ (Sinek 2020, S. 43).

Für Sinek ist es notwendig, Herz und Hirn zu gewinnen. Das Herz stehe für den limbischen, fühlenden Bereich des Gehirns und das Hirn sei der rationale Teil, das im Neocortex angesiedelte Sprachzentrum (Sinek 2020, S. 59). Er präferiert die Inspiration deutlich gegenüber dem manipulativen Moment, das er dem ‚klassischen‘ Marketing zuordnet.

„Wenn Firmen es nicht schaffen uns zu vermitteln, WARUM wir etwas kaufen sollen, zwingen sie unsere Entscheidungen ausschließlich auf der Grundlage von Fakten zu treffen. Deshalb erfordern diese Entscheidungen mehr Zeit, fallen uns schwer und machen uns unsicher. Unter diesen Umständen haben manipulative Strategien, die unsere Sehnsüchte, Ängste, Zweifel und Fantasien ausnutzen, großen Erfolg. Wir sind aus einem einzigen Grund gezwungen, uninspirierte Entscheidungen dieser Art zu treffen – die Firmen liefern uns nichts, worauf wir unsere Entscheidung stützen könnten, außer Daten und Fakten, Funktionen und Vorteile. Die Firmen sagen uns nicht WARUM“ (Sinek 2020, S. 58).

In der Umsetzung eines solchen dezidiert kund:innen- oder stakeholder:innenzentrierten Ansatzes ist es für das Storytelling in der Marketingpraxis zunächst wichtig, sich in die Persona hineinzuversetzen, also die Zielgruppenperspektive einzunehmen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sollte die Geschichte zudem einfach oder zumindest allgemeinverständlich sein. Dramaturgisch steht das ‚Warum‘ am Anfang. Zunächst erfahren die Rezipient:innen, was auf sie zukommt. Dann wird der Protagonist mit seinem Konflikt, Problem oder Bedarf eingeführt und vorgestellt. Damit soll Nähe zu den Rezipient:innen bzw. potenziellen Kund:innen aufgebaut werden. In den nachfolgenden Stationen wird durch eine Reihe von Ereignissen Spannung aufgebaut, der Held ist Komplikationen und Herausforderungen ausgesetzt, bis die Story ihren Plot-​PointPlot-​Point erreicht, den (emotionalen) Höhepunkt. Jetzt kommt das Stadium, in dem das Publikum erfährt, wie und mit was das Problem oder der Konflikt gelöst wird – also mit welchem Produkt, welcher Dienstleistung oder welchem Prozess. Im Fazit wird die Story kurz zusammengefasst oder ein positives Ende geschildert. Schließlich wird auf weiterführende Details verwiesen, etwa durch Angabe einer Webadresse (Kleine Wieskamp 2013).

Veit Etzold, Strategieberater sowie Krimiautor, und der Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge empfehlen dem Management von Unternehmen wiederum, im Kontext einer strategischen Analyse erst einmal das ‚Wer‘ zu fokussieren (wer hat das Unternehmen gegründet?), um dann das ‚Warum‘, das Wertversprechen und das Alleinstellungsmerkmal anzuschließen. Entsprechend zum Krimi-​Genre sollte es demnach auch in Corporate Storys nicht nur den strahlenden Hochglanz-​Helden geben, sondern Gegenspieler, Hindernisse, Probleme und überraschende Wendungen (vgl. Veit/Ramge 2014).

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