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Co-​Kreation und Dramaturgie

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Die technologischen Möglichkeiten lösten einen Schub der globalen Vergemeinschaftung aus (Varga/Ehret 2016, S. 32). Dies führt u. a. dazu, dass sowohl in privaten als auch in beruflichen Lebensbereichen vernetzte Teams und Gemeinschaften kollaborieren und miteinander teilen, z. B. Wohnungen, Autos, Werkzeuge, Kleidung – und Geschichten (ebd.). Diese Wir-​Kultur offeriert dem hochindividualisierten Ich neben dem ökonomischen und ökologischen Nutzen des Ressourcensparens und dem relationalen Nutzen des Vernetzens auch eine Art Struktur, einen Beziehungskontext und damit auch eine Sicherheit, vor deren Kulisse sich das Individuum frei entwickeln kann. Daraus entsteht auch eine ‚Schwarm-​Kreativität‘, oder auch Co-​Kreation und Interactive Storytelling, das Rezipient:innen erlaubt, mit den Medieninhalten zu interagieren und Inhalte selbst zu steuern (Fischer/Storksdieck 2018).

So kann in medialen Räumen jede:r Einzelne die Rollen von Produzent:in und Rezipient:in gleichzeitig einnehmen. Geschichten werden gemeinsam erzählt, Events in co-​kreativen Ansätzen gemeinsam gestaltet. Diese Entwicklung zur Co-​Kreation äußert sich beispielsweise in gemeinsamen Fan-​Erzählungen (Fan-​Fiction) als Gegenentwurf zu den historischen Vorbildern der großen Erzähler und der ‚Auserwählten‘, deren Erzählungen ganze Dörfer und Gemeinschaften folg(t)en (Varga/Ehret 2016, S. 34).

In der Konzeption und Umsetzung von Events findet das Bedürfnis nach Übersicht, Orientierung und Struktur seinen Ausdruck in der Eventdramaturgie. Die Gäste und Teilnehmenden haben das Bedürfnis nach einer erlebbaren und erlebten Geschichte, das Event selbst wird im Idealfall daher selbst eine Geschichte.

In der äußeren Dramaturgie eines Events wird der Ablauf und Spannungsbogen des Events festgelegt, um dann in der inneren Dramaturgie mittels Botschafter:innen, Held:innen und Akteur:innen erzählt zu werden (Schäfer-​Mehdi 2012, S. 122–125). Dabei unterschieden wird die offene von der geschlossenen Dramaturgie. Die offene Dramaturgie, auch Nummerndramaturgie genannt, findet bei Events Ausdruck in einer linearen Ablaufplanung von der Begrüßung bis zur Abmoderation, Verabschiedung und anschließender Party, während sich die geschlossene Dramaturgie in einer Aktstruktur erzählt. Meist wird eine Drei-​Akt-​Struktur3-Akt-​Struktur gewählt (Grytzmann 2018; Schäfer-​Mehdi 2012), die in einem oder mehreren Handlungssträngen erlebbar in Szene gesetzt wird (Schäfer-​Mehdi 2012) und in der Literatur dem Storytelling zugerechnet wird (Drengner 2015). In der inneren Dramaturgie und Bauform werden die handelnden Figuren festgelegt (z. B. Mitarbeiter:innen, Kund:innen, Teilnehmer:innen, Vorstandsvorsitzende) und deren Motive und Entwicklung in einer Handlung erzählt.

Den Kern der Erzählung geben ‚die eine Botschaft‘ und das ‚eine Bild‘, die vermittelt werden sollen (Gundlach 2007; Doppler 2016), sowie das Motiv, warum sie erzählt werden (Thinius/Untiedt 2017). So hat z. B. die führende Automobilmesse IAA, die in Frankfurt zuletzt im Jahr 2019 stattfand, die Botschaft „Driving tomorrow“ kommuniziert. Nachdem die IAA im Jahr 2020, bedingt durch die Coronapandemie, abgesagt werden musste, vollzogen die Macher der internationalen Leitmesse der Automobilindustrie im Coronajahr 2021, nach über 120 Jahren IAA, einen konsequenten Wandel der bis 2019 in Frankfurt beheimateten Messe zu einer international führenden Mobilitätsplattform und zum nachhaltigen Stadtprojekt am Standort München. Kommuniziert wird die ‚neue‘ IAA mit der Kernbotschaft IAA Mobility 2021 (Verband der Automobilindustrie o. J.). Die Botschaft der IAA sind zukunftsfähige Mobilitätskonzepte, nicht mehr Automobile. Das Bild einer möglichen Mobilität der Zukunft zieht sich als roter Faden durch die Veranstaltung selbst und konsequenterweise durch die ganze Stadt. München selbst wird zum Veranstaltungsort, rund um die IAA wird ein erlebbares Narrativ für die Marke IAA Mobility, für Anbieter von Mobilitätskonzepten, für die Stadt München und das Thema Mobilität entwickelt.

Die Story dient als roter Faden, bietet Orientierung im Eventgeschehen und bereitet die Marketingbotschaften der einzelnen Stakeholder:innen als Inhalt auf. Im Kontext des Events wird dieser Inhalt in eine Erzählstruktur, die Dramaturgie, gebracht und mittels einzelner Akteur:innen und Darsteller:innen, Bühnenbilder und sonstiger Installationen und Erlebnisfelder erzählt (Storytelling). Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich der Erlebnisrahmen des Events (Drengner 2020, S. 155).

Der Besuch einer Veranstaltung geht für Konsument:innen immer mit Erlebnissen einher, die nach Bruhn und Hadwich (2012) Ausdruck finden in den sechs Dimensionen Sensorik, Emotion/Affektion, Kognition, Verhalten, Lifestyle und Soziales. In Anlehnung an diese sechs Dimensionen identifiziert Drengner (2014) im Kontext von Events die relationale, die atmosphärische, die sensorische, die intellektuelle, die symbolische und die transzendale Erlebnisdimension, die alle sechs auf die emotionale/affektive Dimension einzahlen. Außergewöhnliche Erlebnisse sind mit einer starken Ausprägung der emotionalen Dimension verbunden, die Drenger (2014) als den zuvor genannten sechs Dimensionen übergeordnet kategorisiert und die bei Events mit einer starken Ausprägung der transzendenten und der relationalen Erlebnis-​Komponenten einhergeht. Die transzendente Erlebniskomponente beschreibt dabei eine zeitweise Entkopplung des Selbst vom Alltag durch das Eintauchen in eine Welt. Die relationale Erlebniskomponente beschreibt Erfahrungen, die aus der sozialen Interaktion mit anderen Teilnehmern resultiert (Drengner 2014). Der Soziologe Hartmut Rosa konkretisiert diese relationale Komponente in seiner Soziologie der Weltbeziehung mit dem Konstrukt der ResonanzResonanz als Antwort auf die Hyperindividualisierung, die Abgrenzung voneinander und die Digitalisierung der Gesellschaft (Rosa 2020). Der Begriff drückt aus, dass Menschen in Beziehung treten zur Welt, zu anderen Menschen, zur Arbeit, zu Hobbies, zu Freizeitaktivitäten und zur Natur und in diesem In-​Beziehung-​Treten ein ‚vibrierender Draht‘ zwischen Menschen und der Welt entstehe (ebd., S. 24). Dieser vibrierende Draht wird laut Rosa gebildet durch intrinsische Interessen, wie z. B. Liebe, das Interesse an der Welt und durch intakte Selbstwirksamkeitserwartungen, also menschliche Erwartungen, die jeweilige Sphäre über diesen vibrierenden Draht zu erreichen und in ihr etwas zu bewegen, sie zu berühren und im Gegenzug aus der Sphäre heraus berührt zu werden (Rosa 2020, S. 24f.).

In inszenierten Narrationen entstehen transzendente Erlebnisfelder, in welche die Teilnehmer:innen eintauchen, diese in der Gemeinschaft erleben (relationale Dimension) und in diesem Erlebnis Resonanz erfahren (Doppler et al. 2021). Dabei werden in der Konzeption der inszenierten Narration nach (Fischer/Storksdieck 2018) sechs Dimensionen festgelegt: Das Set-​up für Handlung und Rezeption (z. B. ein Messestand, ein Hotelzimmer), die Tonalität (z. B. persuasiv/‚überredend‘, informativ-​faktenbasiert, dialogisch, moralisch), die Medialität der Erzählung (z. B. mono-, crossmedial, transmedial), der Plot der Erzählung (z. B. Abenteuer-, Rätsel- oder Erlösungsgeschichte), das Thema der Erzählung (z. B. ‚Zukunft der Mobilität‘ am Beispiel der IAA Mobility oder ‚An einem Tag um die Welt‘ im 25hours Hotel The Trip in Frankfurt am Main) und die Modalität der Erzählung (z. B. interaktiv, immersiv).

Im Kontext von Veranstaltungen sind große Erzählungen, wie z. B. die des Festivals Tomorrowland, und kleinere Narrationen, wie z. B. Inszenierungen zu Jubiläen und Festen, etabliert. Es werden fiktionale Narrationen von non-​fiktionalen Narrationen unterschieden, wobei non-​fiktionale Narrationen die Handlung als etwas Vorgefundenes erzählen, also Begebenheiten miteinander verbinden, die sich tatsächlich so ereignet haben und von Fake-​Narrationen unterschieden werden müssen (Köhler 2019). Für virtuelle Welten unterscheiden Drengner/Wiebel (2020) authentische Objekte, die entweder existent, nicht mehr existent oder noch nicht existent sind, von artifiziellen Objekten, die fantastische Welten und dazugehörigen Objekte darstellen, wie z. B. Mittelerde und Hobbits.

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