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Jeden Tag bekomme ich die Veränderung der Menschen mit, hin zu Egoismus und Rohheit. Hin zu immer mehr Egoismus und Rohheit.

Man muss begreifen und akzeptieren, dass das Leben in dieser Gesellschaft Kampf und immer öfter auch Krampf ist, heißt es. Das beginnt oft schon frühmorgens auf den Straßen und Autobahnen, wo die Menschen regelrecht in ihren Autos gegeneinander antreten, als wären sie moderne Ritter, die mit ihren gepanzerten Schlachtrössern an einem gigantischen Turnier teilnehmen, welches heute Turbokapitalismus heißt.

Kaum noch jemand, der sich dabei an die Verkehrsregeln hält, der vorschriftsmäßig blinkt, die Vorfahrt gewährt oder nachts, beim Entgegenkommen im Dunkeln, rücksichtsvoll auf das Abblendlicht umschaltet.

Die Menschen übertragen den seelenlosen und brutalen Umgang, den sie an ihren Arbeitsplätzen und in den Amtsstuben erleben und über sich ergehen lassen müssen, auf ihren Umgang miteinander, auf den Straßen, beim Einkaufen und in den Wartezimmern der Ärzte.

Wer nicht mit drängelt und mit beißt und mit brüllt, wird rücksichtslos abgedrängt und zieht den Kürzeren.

Jeder hat Angst, in seinem Leben, das ihm nur ein einziges Mal gegeben ist, in irgendeiner Art und Weise zu kurz zu kommen oder zu wenig von den verfügbaren irdischen Ressourcen ab zu bekommen, auch wenn er diese gar nicht mehr selbst verbrauchen kann. Was man hat, dass hat man und hält es fest! Und besser, es verdirbt oder geht im eigenen Keller zugrunde, als dass es ein Anderer erhielte, der es vielleicht wirklich dringend braucht!

Wer als gesellschaftlichen Konsens Menschlichkeit und Chancengleichheit und Vorrang des Gemeinnutzes zugunsten eines hemmungslosen individuellen Egoismus aufgibt, schafft ein monströses Gebilde, das sich weder sozial, noch demokratisch nennen darf!

Die Menschen machen mir Angst und diese monströse und kranke Welt bereitet mir Angst!

Es ist, als ob Irgendeiner den Startschuss zum allgemeinen Rennen um die aller letzten Ressourcen gegeben hätte und jeder sich nun genötigt fühlte, der Erste sein zu müssen.

Mit Angst denke ich immer wieder darüber nach, was ich wohl tue, wenn sie mir alles, was meine Persönlichkeit ausgemacht hat, wegnehmen. Meine Arbeit, mein Einkommen, mein Erspartes und zuletzt meine Menschenwürde!

Immer wieder lese oder höre ich Geschichten von Leuten aus dem sogenannten Mittelstand, die unverschuldet abgerutscht und nie wieder auf die Füße gekommen sind. Im schnöden Neudeutsch heißt so etwas wohl Armutsrisiko. Wenn der Arbeitgeber Insolvenz anmelden muss und man mit Anfang Fünfzig auf die Straße gesetzt wird, sind die Karten, die man dann gegeben bekommt, nicht sehr gut. Da kann man sich bewerben und prostituieren, wie man will. Da bekommt man dann in der Realität zu spüren, dass all das Gefasel vom Fachkräftemangel purer Unsinn ist, um die Leute zu beruhigen oder um ihnen vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen zu bereiten, ihre Gehaltsvorstellungen wären exorbitant hoch.

Grenzenlos flexibel soll der moderne und zeitgemäße Arbeitnehmer sein, räumlich flexibel, was die Konsequenz der vollkommenen Bindungslosigkeit an eine Region und an deren Bewohner nach sich zieht. Heimat- und bindungslos ist der moderner Arbeitnehmer, wie ein deportierter Fremdarbeiter, den der Zwang, zu welchen Bedingungen auch immer arbeiten zu müssen, an fremde Orte verschleppt hat.

Aber auch in Punkto auf den Inhalt seiner Tätigkeit und vor allem in seinen Gehaltsvorstellungen wird eine nahezu grenzenlose Flexibilität vom Arbeitnehmer erwartet.

Dies sind meine normalen morgendlichen Gedanken und Überlegungen, die ich anstelle, wenn ich im Auto sitze und zur Arbeit fahre, die Nachrichten dabei im Radio höre, mit ihren emphatisch vorgetragenen News, bei denen auch ein Erdbeben mit zehntausenden von Toten so positiv klingt, als wäre es ein bedeutungsvolles Event.

Dies sind meine normalen morgendlichen Gedanken und Überlegungen, während ich zur Arbeit fahre und mich frage, wie lange ich sie wohl noch haben werde, wie lange ich noch ein regelmäßiges Einkommen beziehen und in die Rentenkasse einzahlen darf, wie lange ich mir Wohnung, Auto und normale Kleidung, die nicht aus der Kleiderspende des DRK kommt, wohl noch leisten kann?

Die Kanzlerin sagt, die Menschen in Deutschland haben die letzten Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt und müssen nun deshalb den Gürtel enger schnallen. Sie hat die Traute, dies vor allem denjenigen Leuten zu sagen, die weder Freizeit, noch Urlaub kennen und die in zwei oder in drei prekären Beschäftigungsverhältnissen gleichzeitig ausgebeutet werden, vielleicht mit noch vier Stunden Schlaf pro Nacht und ohne Wochenende oder Feiertage, die auf ein warmes Essen verzichten, damit sie ihren Kindern Markenklamotten kaufen können, damit diese in den Schulen nicht ausgegrenzt oder gemobbt werden. Sie hat geschworen, dass sie Deutschland dienen will, mit leisem Lispeln und theatralischer Geste; unter Deutschland versteht sie wohl allerdings bewußt nur die Handvoll superreicher Familien, die hierzulande das Sagen haben. Die Chinesen nannten so etwas „Herrschaft hinter dem Vorhang“. Das ist nicht neu, schon ihr Vorgänger, ein gewisser Gerhard Schröder, der sich immer noch dreist Sozialdemokrat nennt, hat denselben Amtseid geschworen und darunter wohl bereits Dasselbe verstanden, wie seine Nachfolgerin im Amt!

Auf was sollen die Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen darben oder Hartz IV beziehen, denn noch verzichten, damit die Zinserwartungen der Großanleger erfüllt und übererfüllt werden können? Auf alles Essen? Auf die letzten Zuwendungen von den städtischen Tafeln? Auf die getragene und löchrige Winterjacke aus der Kleiderspende mit dem fettigen und schwarzrandigen Kragen? Ich weiß nicht, ich hätte mich geschämt, wäre ich Kanzler, so einer schamlosen Forderung öffentlich Ausdruck zu verleihen! Aber Schamgefühl ist ja bekanntlich ein Luxus, den sich weder der Reiche, noch der Politiker leisten kann und will. Ebenso wenig, wie Ehrlichkeit!

Dieses Verhalten überträgt sich auf die ganz einfachen Menschen. Jedem wird suggeriert, er könne Millionär werden, wenn er nur hart genug dafür arbeiten würde. Diese Behauptung enthält gleich zwei Lügen und jene Menschen, die sie in die Welt gesetzt haben, müssten es eigentlich besser wissen und sich über den Unsinn, den sie mit dieser Behauptung verbreiten, schief lachen, was sie vielleicht längst auch insgeheim tun.

Im Jahre 2014 bezifferte die Deutsche Bundesbank die sogenannte Geldmenge M3, also die Summe der Ersparnisse bei Banken und bei Nicht-Banken und den Geldumlauf in der Bundesrepublik auf 122,9 Billionen Euro. In Deutschland leben gegenwärtig etwa 81 Millionen Menschen, würde jeder von diesen 1 Millionen Euro besitzen wollen, müssten noch einmal weitere 83 Billionen Euro zu dieser bereits existierenden Geldmenge M3 hinzu kommen und das Ergebnis wäre dann natürlich eine gigantische und nie da gewesene Inflation!

Die zweite Lüge ist die Behauptung, dass jeder Millionär überaus hart arbeitet. In der Regel arbeitet dieser Personenkreis allerdings gar nicht, sondern lässt sich seine Guthaben und Anlagen gut verzinsen und genießt derweil sein Leben in St. Moritz oder in Monaco, wie es die hart arbeitende Familie Geissen gern öffentlich im Fernsehen demonstriert!

Aber jeder glaubt es, dass er Millionär werden kann und die bedauerliche Tatsache, dass er es noch nicht ist, führt er einfach auf die Annahme zurück, dass er noch nicht hart genug arbeitet!

Würden die Medien morgen verkünden, wer nur heftig genug mit den Armen wedelt, kann fliegen, so würden es überraschend viele Menschen glauben, obwohl diese Behauptung natürlich gegen den gesunden Menschenverstand verstößt!

Meine Großmutter hätte vermutlich gesagt, dass wir inzwischen in Deutschland Zustände haben, wie seinerzeit in Sodom und Gomorra und dass der Allmächtige einen Regen aus Feuer und Schwefel auf die Welt hernieder schicken müsse, um die Sünde und Verderbnis darunter zu begraben!

Feuer und Schwefel unserer heutigen Zeit, dass sind die Knappheit an nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen, dass sind die explodierende Weltbevölkerung, sind Kriege und Verteilungskämpfe, politische Intoleranz und eben vermutlich auch Seuchen wie Ebola, gegen die noch kein Heilmittel gefunden ist und falls doch irgendwann, dann bekommen sie natürlich zuerst die Reichen und die Normalsterblichen, die als Nicht-Leistungsträger der Gesellschaft und demzufolge als „nicht systemrelevant“ gelten, bekommen gar nichts und können demzufolge verrecken! Aber um ihre Ersparnisse herzugeben, damit sie die Banken retten, die die Spareinlagen der Bürger aus purer Gier ganz einfach verzockt haben, dazu sind die „nicht systemrelevanten“ Idioten dann doch noch gut genug!

Oder sie handhaben es, wie weiland bei der Impfung gegen die Schweinegrippe: Es gibt einen Impfstoff ohne Nebenwirkungen für die systemrelevanten Leistungsträger und einen anderen Impfstoff mit heftigsten Nebenwirkungen für den Plebs auf der Straße oder am Fließband! Man müsste ihnen allen von Rechts wegen einen dicken roten Strich durch die Rechnung machen! Man müsste ihnen einmal nur zeigen, dass sie nichts sind, als arrogante und verantwortungslose Blutsauger!

Aber jene, die das tun könnten, würden sie nur zusammen halten, sitzen gottergeben zu Hause und lassen sich notfalls sogar den Strom abstellen oder sich einfach auf die Straße entmieten!

Die Leute, die johlend und brüllend im Herbst 1989 auf den Straßen der DDR gestanden und gerufen haben „Wir sind das Volk!“, würde man heute vermutlich einfach kommentarlos mit Hundertschaften der Polizei auseinander treiben oder mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray traktieren, wie die Demonstranten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 im Schlossgarten der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

Obwohl bei diesen Aktionen insgesamt 400 Demonstranten durch Polizisten verletzt wurden, 2 darunter sogar schwer, gibt es lediglich 19 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, von denen wohl ganze 2 verhandelt werden sollen, im Gegenzug allerdings 104 anhängige Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten.

Wären VoPos der ehemaligen DDR jemals in vergleichsweise radikaler und rigoroser Art gegen Demonstranten vorgegangen, so wäre ein Schrei der Entrüstung durch die alten Bundesländer gefegt und „Kennzeichen D“ und andere Sendungen hätten vermutlich gleich eifrig geifernd berichtet, dass die Diktatur in der DDR hier ihr wahres und brutales Gesicht zeige und so weiter.

Wenn ein VoPo der ehemaligen DDR Gewalt anwendete, dann war dies ein diktatorischer Akt und ein Exzess der Unmenschlichkeit und Brutalität. Zertrümmert der Strahl eines Wasserwerfers der baden-württembergischen Polizei einem 65-jährigen Ingenieur hingegen das linke Auge irreparabel, so ist es sein eigenes Verschulden. Und ein ganzes Land schaut weg und schweigt. Was hat der Mann schließlich auch auf einer Demonstration zu suchen? Und das Ganze führt am Ende noch dazu, dass gegen den Verletzten wegen eines „Anfangsverdachtes“ der Körperverletzung von Polizisten ermittelt wird. Welcher Staat hätte hier wohl Bürgerrechtler nötig? Aber der Bürger, der ganz freiwillig auf seine Rechte verzichtet, im blinden und kindlich-naiven Glauben, auf diese Weise eines Tages vielleicht doch noch zum Millionär werden zu können, verdient sie wohl auch gar nicht!

Der Zornige: Werdung eines Terroristen

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