Читать книгу Der Zornige: Werdung eines Terroristen - Ralph Ardnassak - Страница 13
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ОглавлениеArbeiten, das bedeutet, Schnauze halten und hoffen, dass dies irgendwie gewürdigt wird! Arbeiten, das bedeutet, immer mehr leisten zu müssen für das gleiche oder sogar für noch weniger Geld!
Arbeiten, das bedeutet, ein Einkommen realisieren zu dürfen, bis man eines Tages möglicherweise dennoch weggeworfen wird!
Arbeiten, das ist Gnade; das ist Sich-Ducken- und Sich-Kleinmachen-Müssen!
Arbeiten, das ist Aufpassen, dass Andere neben einem, die eigentlich Kollegen sein müssten, nicht zu beliebt werden! Hier und da eine kleine abfällige Bemerkung über die abwesende Kollegin oder den abwesenden Kollegen eingestreut, während der Chef gerade zugegen ist. Wie zufällig und unabsichtlich hingeworfen und sich selbst dabei zugleich ins rechte Licht gerückt, dass ist Jobsicherungsstrategie und nie war diese sinn- und wertvoller, als heute.
Nachts um halb Drei Mails an den Chef schreiben und natürlich rund um die Uhr und an allen Tagen des Jahres erreichbar sein und nie Feierabend machen, vor allem nicht, wenn der Chef gerade da ist, gehört ebenfalls in das Ressort der Jobsicherungsstrategien. Frauen haben es da wesentlich leichter, die machen die obersten Knöpfe ihrer Bluse auf oder zahlen gleich in Naturalien, sofern der Chef ein Mann und gleichzeitig nicht schwul ist!
Ich will den Kolleginnen damit nicht zu nahe treten, macht ja auch nichts! Jeder soll halt mit seinem Pfunde wuchern und wer weiß, vielleicht wäre ich auch nicht anders, wäre ich weiblichen und nicht männlichen Geschlechts?
Also, immer Zittern, immer Wegducken und dabei selbstverständlich permanent Höchstleistungen bringen und ganz einfach die Klappe halten, wenn der Chef den größten Unsinn redet.
Kreativität sieht wohl anders aus, aber Angst ist wohl seit Urzeiten schon die beste Motivation und wer weiß, ob die Pyramiden von Gizeh jemals hätten entstehen können, wären ihre Erbauer völlig frei von existenziellen Angstgefühlen gewesen?
Gut, es kann nicht nur Häuptlinge geben, die Meisten müssen halt ganz einfache Indianer sein! Aber ein klein wenig Wertschätzung wäre doch gut, oder? Aber Wertschätzung erfährt heute alles mögliche, nur ein Mitarbeiter, denn der ist ja austauschbar und ersetzbar und wird eh nur als lästige Kostenstelle betrachtet, nicht aber als „Humankapital“, wie es die BWL-Lehrbücher verkünden.
Oder, wie sich mein Stationsarzt auszudrücken pflegt, der ein Schweinegesicht und einen borstigen Nacken hat, der mich immer an das Genick eines Wildschweines erinnert: „Ich honoriere Ihre überdurchschnittlichen Leistungen ganz bewusst nicht, denn ich erwarte selbstverständlich nur überdurchschnittliche Leistungen und überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft von Ihnen und das an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr! Wer sich dem nicht gewachsen fühlt, der kann jederzeit gehen! Ich zwinge schließlich niemanden!“
Das sind die erschreckenden Innenansichten des modernen Turbokapitalismus, seine blutenden und stinkenden Eingeweide, aus denen der Eiter rinnt und in denen sich, seitdem im Geklapper der mit Dampfkraft angetriebenen englischen Baumwollspinnmaschinen Ende des 18. Jahrhunderts dieses Antreiber- und Ausbeutersystem erfunden wurde, ganze Heerscharen von Arbeitern ihr Leben vergeuden und wegwerfen mussten.
Aber die Menschen wollen heute gerade eben das, weil sie glauben, auf diese Weise den höchsten Grad ihrer individuellen Freiheit erreicht zu haben. Eine Freiheit, die ganz schnell auch darin bestehen kann, unverschuldet obdachlos zu werden, als Mittelloser auf der Straße zu landen, um dort unter den kaltherzigen und desinteressierten Augen der wölfischen Öffentlichkeit zu frieren, zu hungern und zu leiden.
Die Medien negieren dies gern. Es gibt niemanden, der in der Bundesrepublik Deutschland leiden und darben muss. Jene, die das dreist behaupten, sind nie in den Obdachlosenheimen gewesen, ja sie haben noch nicht einmal in den Wartebereichen der Jobcenter und Arbeitsämter gesessen, wo sie darauf warten müssen, dass ein übellauniger und allmächtiger Beamter ihnen auch noch die aller letzten Bezüge streicht.