Читать книгу Der Zornige: Werdung eines Terroristen - Ralph Ardnassak - Страница 5
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ОглавлениеWas kümmert mich Ebola? Ebola, das ist Afrika und Afrika ist weit! Afrika, das sind Hitze und Hunger und Armut! Das ist Dürre, das sind Bananen und Mosquitos! Das ist Elend, das sind Malaria, Gelbfieber und AIDS! Das sind die nervenden Spendenaufrufe, die sie im Fernsehen in der Werbung einblenden und in denen sie ganz bewusst kleine Kinder mit aufgequollenen Hungerbäuchen und entsetzlichen Nabelbrüchen zeigen, mit steckendürren Ärmchen und großen, weit aufgerissenen Augen, in denen gleich ganze Scharen von fetten schwarzen Fliegen herum krabbeln, ehe sie dann eine Rufnummer und eine Bankverbindung einblenden, damit wir spenden! Damit wir unser Geld spenden für Zwecke, die wir nie erfahren! Sie blenden diese Bilder von notleidenden Kindern in Afrika ein, weil sie genau wissen, dass sie uns auf diese Weise kriegen! Aber ob unser Geld dort tatsächlich ankommt, das erfahren wir nicht! Zuviel hat man schon gehört von Spendenbetrug und anderen üblen Dingen!
Deshalb schalten wir geistig und emotional ab, wann immer sie die dürren Kinder mit den großen Augen und den Fliegen darin zeigen, ehe sie ihre Bankverbindungen einblenden! Wahrscheinlich haben sie die Augenlider der Kinder vorher noch extra mit Honig oder mit Zuckerwasser eingerieben und ein netter weißer Regisseur sagt als Regieanweisung zu den Kindern: „Wischt die Fliegen aus euren Augen nicht weg, Kinder! Lasst die Fliegen ruhig einmal in euren Augen herum krabbeln, die tun euch nichts und schaut dabei schön zu mir herüber! Schön zu mir herüber schauen, Kinder! So ist es gut! Fein macht ihr das! Richtige Fernsehstars seid ihr schon! Fein macht ihr das! Und nachher gibt’s Schokolade, Eis und Limonade für euch!“
Das können die vielleicht medizinisch nicht geschulten Laien weismachen, dass ein Kind die Augen extra weit aufreißt und sie offen lässt, wenn eine Fliege auf dem Augapfel herum krabbelt! Mir können sie so etwas nicht weismachen! Ich kenne nämlich den Lidschlussreflex oder Kornealreflex, wonach bereits schon bei der leisesten mechanischen Einwirkung auf die menschliche Hornhaut oder auf die nähere Umgebung des Auges, sofort der reflektorische Schutzmechanismus ausgelöst und das Auge durch das Lid rasch verschlossen wird! Mir können sie das also nicht weismachen, mit den afrikanischen Kindern, die zu schwach sein sollen, um sich die Fliegen noch aus den Augen zu wischen! Werbung, nichts weiter! Oder Fundraising, wie der Fachmann sagt! Aber was den Lidschlussreflex anbelangt, da bin ich der Fachmann! Und ich durchschaue ihre Absicht!
Wir schalten bei diesen afrikanischen Kindern also ebenso geistig und emotional ab, wie bei ihren übrigen Werbespots, in denen sie uns überreden wollen, irgendwelchen Unsinn zu kaufen, den wir nicht brauchen! Aber was wir brauchen oder was wir nicht brauchen, das zählt am Ende nicht! Was wir zu brauchen haben, bestimmen die großen Konzerne, die keine Steuern zahlen müssen in Deutschland! Es zählt allein ihr Profit!
Ich bin Robert, Robert Ems, wie der Fluss, der durch Westfalen und Niedersachsen fließt und am Ende in die Nordsee mündet.
Ich habe mit der Ems nichts zu tun, ich trage nur ihren Namen! Und ich habe mit dem Westen Deutschlands nichts zu tun! Ich bin nämlich im Osten geboren, in Brandenburg, bevor es mich nach Mitteldeutschland verschlug. Und gerade darauf bin ich stolz!
Ich finde, ich hab es schwer genug im Leben, denn ich bin inzwischen über Fünfzig und mein Job als gelernter Krankenpfleger ist auch alles andere als sicher!
So haben wir uns das Leben nach der Wende wirklich nicht vorgestellt, wir hier im Osten! Sie werfen uns oft aus dem Westen vor, wir könnten nicht arbeiten. Wir wüssten gar nicht, was Arbeit heißt und wir hätten vierzig Jahre lang nur auf der faulen Haut gelegen, Parteiversammlungen mit reichlich Bier abgehalten und uns lieber gegenseitig bespitzelt, anstatt zu arbeiten. Das Resultat seien marode Betriebe, die nicht konkurrenzfähig waren und kaputte Städte. Wir hätten gedacht, nach der Wende könnten wir weiter so faulenzen, wie in den letzten vierzig Jahren, nur dass wir dann Westgeld dafür bekämen, anstelle der Aluchips der DDR!
Wenn ich diese Sprüche höre, schwillt mir der Kamm! Aber niemand sagt etwas dagegen! Vor der Wende hatten alle Angst vor dem Parteisekretär und vor der Stasi und seit der Wende haben alle Angst vor dem Chef und der Entlassung!
Zu DDR-Zeiten konnte man nach Bautzen II kommen, wenn man das Maul aufmachte! Heute kommt man aufs Arbeitsamt und darf dort eine Nummer ziehen, sobald man das Maul aufreißt!
Das Bautzen II der Bundesrepublik Deutschland heißt Arbeitsamt! Das haben meine Landsleute ganz schnell begriffen und seither hält wieder jeder das Maul, wie schon in den vierzig Jahren vor der Wende!
Darin sind wir als gelernte Ossis schließlich gut, im Erkennen von Gefahren und Bedrohungspotentialen! Und im Anpassen und Ducken!
Zu DDR-Zeiten durfte man die Klappe nicht aufmachen und wer sie dennoch aufriss, der landete womöglich in der Untersuchungshaft. Kann sein, dass er dort verprügelt wurde, aber verhungern oder erfrieren musste man da nicht!
Heute darf man zwar die Klappe aufmachen, aber es interessiert keinen, was man sagt. Oder es stört sogar, weil es möglicherweise eine unbequeme Wahrheit ist und man landet auf der Straße! Das geht ganz schnell! Und tatsächlich sollen in den harten Wintern schon Obdachlose in der Bundesrepublik Deutschland auf der Straße erfroren sein! Und Arbeitslose sollen auch schon verhungert sein. Leute, denen sie die Bezüge gestrichen oder gekürzt hatten und denen dann am Ende die Wahl zwischen Miete oder Essen blieb und die sich natürlich für Miete entschieden, weil es draußen nämlich schon viel zu kalt zum Überleben war!
Scheint also, dass der kleine Mann generell keine sehr lukrativen Alternativen hat, wenn ich es recht bedenke! In der DDR konnte er schlimmstenfalls im Knast totgeschlagen oder totgetreten werden, in der Bundesrepublik kann er auf der Straße als Obdachloser erfrieren oder verhungern, wenn er großes Pech hat! Was ist da wohl besser? Tot ist am Ende der Erschlagene ebenso wie der Erfrorene!
Zu DDR-Zeiten wurde über die Leute, die in Bautzen II einsaßen und die dort möglicherweise auch erschlagen wurden, nicht in der Öffentlichkeit gesprochen oder gar in den Zeitungen geschrieben. Und wenn doch, so waren es Staatsfeinde, Kriminelle und Verbrecher!
Und heute spricht man auch nicht mehr über Obdachlose, die in kalten Winternächten erfrieren oder über Arbeitslose, die sich keine warme Mahlzeit mehr leisten können und die Gefahr laufen, verhungern zu müssen! Und wenn doch, dann nur unter dem Motto „selbst Schuld“, wonach Obdachlose Trinker und hungernde Arbeitslose allesamt faule Drogenjunkies sind!
Randthemen bleiben eben Randthemen und Randthemen bleiben immer unangenehm und werden demzufolge gemieden, ob nun im Sozialismus oder im Kapitalismus!
Das ist meine Meinung und meine Einsicht, zu der ich im Verlaufe der Jahre gelangt bin! Und ich halte damit nun einmal nicht hinterm Berg!