Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 12
I.4 Zeitliche, geographische und sachliche Eingrenzung
ОглавлениеDas skizzierte Themenspektrum erfordert eine bestimmte Ab- und Eingrenzung der Untersuchung. Obwohl Pacelli bereits 1917 Nuntius für Bayern wurde, beginnt der Untersuchungszeitraum erst mit 1919. Der Grund besteht in den subversiven politischen und staatskirchenrechtlichen Umbrüchen der Jahre 1917–1919. Durch die Promulgation des CIC 1917, dem Fall der Monarchie 1918 und der Gründung der Weimarer Republik 1919 entstand eine völlig neue kirchenpolitische Situation: Während die im Geist des Staatskirchentums abgeschlossenen Rechtsgrundlagen – das Bayernkonkordat von 1817 und die Zirkumskriptionsbullen für Preußen, Hannover und den Oberrhein aus den 1820er Jahren – dem Staat weitgehende Einflussrechte auf das kirchliche Leben konzedierten, gewährte die Weimarer Reichsverfassung (WRV) der Kirche in Artikel 137 eine vollständige Autonomie in der Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten. In besonderer Weise wird diese rechtlich konfuse Situation mit Blick auf die Bischofseinsetzungen deutlich.84
In Bayern ernannte bis dato der König die neuen Diözesanbischöfe.85 In Preußen durften die Domkapitel des vakanten Bistums den Bischof wählen, allerdings nur einen Geistlichen, der dem König nicht minus grata war, was durch die Anwesenheit eines staatlichen Wahlkommissars sichergestellt wurde.86 Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierte sich ein Listenverfahren, gemäß dem die Domherren der preußischen Regierung eine Liste von tauglichen Kandidaten vorlegten, die anschließend in „purgierter“ Fassung Grundlage für die Bischofswahl wurde. Ein solches Listenverfahren mit anschließender Bischofswahl wurde auch für die Bistümer Osnabrück und Hildesheim und für die Oberrheinische Kirchenprovinz vereinbart.87 In völligem Gegensatz dazu stand nicht nur die Bestimmung des neuen kirchlichen Gesetzbuches, die im Nachgang zum I. Vatikanischen Konzil vorgab: „Eos [sc. episcopos, R.H.] libere nominat Romanus Pontifex“88 (vgl. I.6), sondern auch die der WRV: „Sie [sc. jede Religionsgesellschaft, R.H.] verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“89 Die Unvereinbarkeit der alten Vorgaben mit den neuen führte zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit, der aber auch ein hohes Maß an Freiheit zur Neugestaltung der staatskirchenrechtlichen Materie beziehungsweise der Modi zur Besetzung der Bischofsstühle mitbrachte. Erst in dieser Situation, in diesem Raum neuer Freiheiten konnte der Heilige Stuhl beziehungsweise der Nuntius überhaupt „wirken“ und versuchen, die eigenen Vorstellungen zu formulieren und umzusetzen. Erst hier war also der Rahmen gegeben, um Pacelli – aber auch die anderen beteiligten Parteien – gewissermaßen in Aktion betrachten zu können. Folgerichtig verliefen die ersten beiden Bischofseinsetzungen, an denen Pacelli als Nuntius beteiligt war, nämlich in München und Speyer jeweils 1917, noch nach dem alten Schema, ohne dass er die Möglichkeit besessen hätte, auf den Verlauf näheren Einfluss auszuüben.90
Den Endpunkt des behandelten Zeitraums auf das Jahr 1939 anzusetzen, bietet sich insbesondere aus drei Gründen an: Erstens trat durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs politisch und gesamtgesellschaftlich eine völlig neue Situation ein; zweitens markiert Pacellis Papstwahl einen wesentlichen Einschnitt; drittens stehen die vatikanischen Quellen, welche die Basis der Studie bilden, im Augenblick nur bis zum Tod Pius’ XI. zur Verfügung.
Innerhalb der Zeitspanne 1919 bis 1939 sind weitere Zäsuren zu konstatieren, die bewusst in den Untersuchungszeitraum eingeschlossen werden. Auf der einen Seite bilden die Konkordatsabschlüsse mit den deutschen Teilstaaten und zuletzt dem Reich Einschnitte, insofern dadurch jeweils wieder eine neue feste Norm für die Besetzung der Bischofsstühle gegeben war, welche die oben skizzierte Rechtsunsicherheit behob. Die Untersuchung umfasst damit sowohl die provisorischen, vorkonkordatären Besetzungsfälle als auch die normierten, nachkonkordatären, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, nicht nur den Prozess nachzuvollziehen, der zur Normsetzung führte, sondern auch die ersten Anwendungsfälle der neuen Norm und damit der Normdurchsetzung zu erschließen. Auf der anderen Seite markieren die Jahre 1930 und 1933 Wendepunkte: Durch Pacellis Rückkehr nach Rom änderte sich seine „Perspektive“ und seine formale Rolle im Verfahren der Bischofseinsetzungen. Indem er als Nuntius und Kardinalstaatssekretär in den Blick genommen wird, lässt sich untersuchen, ob und inwiefern Beziehungen und Handlungsmuster, die sich in Deutschland etablierten, für seine kuriale Tätigkeit prägend wurden. Ob und inwiefern die veränderte politische und kirchliche Lage, die sich durch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und den sich stetig verschärfenden Kampf gegen die Kirche einstellte, Pacellis Bild von einem idealen Bischof beziehungsweise seine Bischofspolitik beeinflusste, lässt sich durch den Vergleich der causae vor und nach 1933 beantworten.
Die Untersuchung beschränkt sich in geographischer Hinsicht auf die Besetzung der Bischofsstühle im sogenannten „Altreich“ der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, das heißt die durch die territoriale Expansion dem Dritten Reich einverleibten Bistümer und Jurisdiktionsbezirke werden nicht berücksichtigt. Das betrifft konkret die Besetzungen des Bistums Danzig und der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch 1938 sowie die Einsetzungen von Apostolischen Administratoren für das Memelland und die Diözese Kulm ein Jahr später.91 Ausgeschlossen wird durch diesen Rahmen auch die bereits 1925 erfolgte Besetzung des exemten Bistums Danzig, das als Freie Stadt seit 1920 unter der Aufsicht des Völkerbundes stand und daher trotz überwiegend deutscher Bevölkerung nicht mehr zu Deutschland gehörte.92 Prinzipiell unberücksichtigt bleiben außerdem die Einsetzungen von Ordinarien ohne eigene Diözese oder quasidiözesanen Jurisdiktionsbezirk, wie das Institut der Weihbischöfe oder die Feldpropstei, die 1936 neu besetzt wurde.93 Mit eingeschlossen sind hingegen die Ernennungen von Koadjutoren mit Nachfolgerecht sowie die Bestellung von Apostolischen Administratoren und Gefreiten Prälaten, da es sich hier um quasidiözesanbischöfliche Besetzungen handelt.
Unter diesen zeitlichen, geographischen und die Natur des Amtes betreffenden Kriterien sind 31 Besetzungsfälle zu untersuchen.94 Zu ergänzen sind die Konkordatsverhandlungen mit Bayern, Preußen und Baden im Hinblick auf die Besetzungsmodi der Bischofsstühle. Während die vage bleibenden Reichskonkordatsverhandlungen Anfang der 1920er Jahre von den bayerischen und preußischen kaum zu trennen sind und daher mitberücksichtigt werden, wird auf eine Analyse der Verhandlungen von 1933 verzichtet, da das Reichskonkordat die Länderkonkordate schließlich bestätigte und für die übrigen deutschen Gebiete den badischen Besetzungsmodus vorschrieb.95