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Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius

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Gasparri genügten die knappen Hinweise zur Bischofswahl nicht. Daher ließ er Pacelli am 2. Juli über den Schweizer Nuntius Luigi Maglione die Bitte zukommen, seine konkrete Meinung zur Bistumsbesetzungsfrage zu äußern.136 Angesichts der revolutionären Unruhen in München weilte Pacelli zu diesem Zeitpunkt im schweizerischen Rorschach, weshalb Gasparri die postalische Vermittlung über Maglione nutzte.137 Darüber hinaus ordnete er an, dass der Eichstätter Kanonist Joseph Hollweck ein Gutachten zu dieser Thematik verfassen sollte. Gasparri und Pacelli kannten ihn nicht nur von der Arbeit in der Vorbereitenden Kommission zur Kodifikation des Kanonischen Rechts, zu der Hollweck als einer der wenigen deutschen Kirchenrechtler hinzugezogen worden war.138 Sondern wenige Wochen zuvor hatte dieser für Pacelli bereits zur staatskirchenrechtlichen Situation in Bayern ein Memorandum verfasst.139 Der Münchener Nuntius übermittelte Hollweck den Auftrag des Kardinalstaatssekretärs zusammen mit den Überlegungen Kardinal Hartmanns und verknüpfte sie mit seinen eigenen Gedanken, die sich auf den im April des Jahres von der Verfassunggebenden Nationalversammlung beschlossenen Paragraphen über die Freiheit der Religionsausübung und der Selbstverwaltung der religiösen Gemeinschaften stützten.140 Pacelli wiederholte seine Überlegung, dass wenn diese Bestimmungen tatsächlich in der Reichsverfassung Geltung erlangen sollten – wie es in den Religionsartikeln 135 und 137 dann auch passierte –, „die angesprochene Frage nach dem Einfluss der Regierung auf die Wahl der Bischöfe fallen wird“141. Zu klären seien dann die Alternativen, ob man den preußischen Domkapiteln das Wahlrecht belasse oder eine freie päpstliche Nomination gemäß der Vorgabe des CIC einführe.

Hollweck verfasste sein Votum in zwei Briefen, die er am 22. Juli beziehungsweise am 7. August an Pacelli schickte. In dem ersten Schreiben zeigte Hollweck zunächst, dass die staatliche Exklusive bei der Bischofswahl weder ein „Kronrecht“ noch ein „historisches Recht“142 sei, das durch regelmäßige Praxis begründet wäre. Erst nach dem Wiener Kongress habe es in Preußen ausreichend katholisch geprägte Gebiete gegeben, in denen ein solches Gewohnheitsrecht hätte entstehen können. Aber auch im Gefolge des Grundsatzes des Breve Quod de fidelium, von der Wahl einer persona regi minus grata abzusehen, habe die Regierung „keine einheitliche Übung, um missfällige Wahlkandidaten den Wählern zu bezeichnen, eingehalten“143. Ebenso sei die Praxis, eine Kandidatenliste einzureichen, erst sukzessive entstanden. Eine Verpflichtung dazu sei von Seiten der Kirche nirgends festgesetzt und auch von den staatlichen Autoritäten nicht als exklusive Vorgehensweise angesehen worden. Im Gegenteil seien Bischofseinsetzungen häufig auf direktem Verhandlungswege zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung erledigt worden. Für Hollweck folgte daraus eine klare Entschärfung der juristischen Verbindlichkeit: „Das in Frage stehende ‚Recht‘ ist vielmehr eine tatsächliche, in einigen Fällen betätigte, also rein faktische Übung, welche sich versteht aus den von rein protestantischen Anschauungen beherrschten Regierungsgrundsätzen der preußischen Könige.“144 Diese hätten sich – so analysierte Hollweck weiter – als „Inhaber aller geistlichen Gewalt“145 gesehen, die sowohl das ius circa sacra als auch das ius in sacra146 ausübten. Da nun die Könige das letztere, das staatliche Kirchenregiment, an die katholischen Bischöfe hätten abtreten müssen, sei an dessen Stelle kompensatorisch eine stärkere Praxis des ersteren, „eine sogenannte Kirchenhoheit als jus majestaticum“147, getreten. Von dieser protestantischen Denkweise her, die Bischöfe als staatliche Beamte zu verstehen, erkläre sich die Einmischung der Regierung in die Besetzung der Bischofsstühle. Die Kurie sei sich dieser Anschauung bewusst gewesen und habe lediglich aus „Klugheitsrücksichten“148 gefordert, keine Personen zu wählen, gegenüber denen der Staat Bedenken geltend machen würde. Somit hätten „weder Übung noch Anerkennung … ein sog[enanntes] Kronrecht schaffen“149 können und auch jetzt müsse man von diesem Terminus Abstand nehmen, damit er staatlicherseits nicht als Anerkennung ausgelegt würde.

Im zweiten Teil des Briefes entfaltete Hollweck seine Vorstellung darüber, wie mit künftigen Bistumsvakanzen umzugehen sei. Angesichts der erodierten politischen Situation in Deutschland sei es „überaus wünschenswert, dass sofort der h[eilige] Stuhl die Sache der Wiederbesetzung vollständig an sich zieht u[nd] durchführt“150. Er allein könne diesbezüglich eine „feste[n] und einheitliche[n] Leitung“151 garantieren. Aufgrund der vielfältigen politischen Interessen und der akademischen und akatholischen Einflüsse erfolge die Besetzung „besser auf Vorschläge hin, die eingeholt werden, als durch Wahlen u[nd] vorausgehende Verhandlungen der Wahlkörper mit den Regierungen …, welche dann in freier einheitlicher Würdigung aller Verhältnisse durch den heiligen Stuhl vollzogen werden kann“152. Diese Lösung hielt er für ganz Deutschland wünschenswert, weshalb es zu empfehlen sei, ein Reichskonkordat abzuschließen.

Im zweiten Brief vom 7. August führte der Kanonist die beiden Postulate näher aus: keinerlei staatliche Einflussnahme mehr und die Ernennung der Bischöfe durch den Heiligen Stuhl.153 Auf keinen Fall dürfe die „staatliche Besoldung, die nur eine teilweise Restitution aus der in der Säkularisation154 … vollzogenen Beraubung der deutschen Kirche ist“ als Argument dafür gelten, dass ein wie auch immer gearteter staatlicher Einfluss zugelassen werde, zumal dieser auch „in Klerus u[nd] Volk durchgängig verhasst“155 sei. Konkret hieß das für ihn, kein Erinnerungsrecht durch die Vorlage einer Kandidatenliste bei den staatlichen Stellen oder eine Beteiligung eines Regierungskommissars beim etwaigen Wahlakt mehr zuzulassen. Bezüglich der innerkirchlichen Kompetenzaufteilung zwischen Heiligem Stuhl und Domkapitel fand Hollweck für letztere anerkennende Worte. Regelmäßig seien aus den Wahlen kompetente und eifrige Bischöfe hervorgegangen, allerdings nur, wenn die Wahlen frei waren:

„Aber diese Freiheit der Wahl, die bloß kirchliche Interessen ins Auge fassen darf, wäre den Kapiteln in jeder Weise zu schützen, sie dürften nicht durch geheime Instruktionen, die auf diplomatischem Weg von den Regierungen in Rom erpresst wurden, durch Einreichung von Kandidatenlisten vor den Wahlen, durch Duldung der Anwesenheit von staatlichen Wahlkommissären bei denselben, gebunden werden, sodass die Wahlen selbst für die Kapitel eine wahre Qual sind. Sie sollen frei wählen, aber die Diplomatie hat vorher alle Wege geebnet, auf denen die Feinde der freien Wahl eindringen können, sodass mit ihnen fast immer ein wahrer Kampf um die Freiheit der Wahl erst durchgefochten werden muß.“156

Damit deutete der Eichstätter Professor gleichzeitig das Problem an, das seines Erachtens mit der Kapitelswahl verbunden war: Eine ausreichende Freiheit der Wahl gebe es nicht. Deshalb hielt er es am zweckmäßigsten, wenn in allen deutschsprachigen Gebieten die Bistumsbesetzungen durch eine päpstliche Ernennung gemäß Can. 329 § 2 erfolgten. Praktisch dachte Hollweck an ein Vorschlagsrecht der Domkapitel von wenigstens drei Kandidaten, an die die Kurie bei ihrer Ernennung jedoch nicht gebunden sein sollte. So könnten auch die Interventionen aller „Nebenregierungen“ – der Kanonist hatte offenbar vor allem die Zentrumspartei im Sinn157 – vermieden werden. Geeignete Kirchenmänner – und das Kriterium für ihre Dignität war im Sinne Hollwecks das sentire cum ecclesia – seien letztendlich nur sicher durch die monokausale päpstliche Einsetzung zu erreichen. Im Relationsgefüge von Staat, Kurie und Ortskirche optierte Hollweck demnach für eine grundsätzliche, unbedingte libertas ecclesiae vom Staat und eine prinzipielle Privilegierung der Domkapitel zur Wahl, die aufgrund der konkreten Umstände aber praktisch von einem römischen Zentralismus aufgehoben werden musste.

Pacelli, der am 8. August aus seinem Schweizer Exil nach München zurückgekehrt war,158 qualifizierte das zweiteilige Gutachten Hollwecks, das er am 13. August an Gasparri übersandte, als „ausführlich und erschöpfend“159. Er stimmte also mit dem deutschen Kanonisten grundsätzlich überein.160 Wie dieser unterschied er eine doppelte Fragestellung: 1) Sind die Domkapitel Preußens noch an die Vorschriften der Zirkumskriptionsbullen gebunden, nach denen sie sich vor der Wahl bei der staatlichen Autorität versichern mussten, dass ihr Votum nicht auf eine minder genehme Person fallen werde? Es war also die Problematik, ob die Zugeständnisse, die ehemals den Fürsten gewährt wurden, auf die neuen Regierungen übergegangen waren. 2) Sollte den Domkapiteln das Bischofswahlrecht behalten werden oder nicht?

1) Für Pacelli war die Geltung der alten staatlichen Privilegien beendet. Vom CIC her könne man nicht behaupten, dass das den staatlichen Herrschern damals gewährte Recht der Exklusive auf die republikanische Regierung übergegangen sei:

„Es handelt sich, tatsächlich, um ein verachtenswertes Privileg, welches die Freiheit der Kirche beschränkt in einer der sehr delikaten und wichtigen Handlungen, welche die Bischofswahl ist, und deshalb scheint es, dass es nicht von den alten Herrschern, denen es gewährt war, auf die aktuelle Regierung übergehen kann, ohne eine wenigstens stillschweigende neue Genehmigung des Heiligen Stuhls.“161

Angesichts des Vormarsches der Sozialisten in Deutschland sei eine solche „stillschweigende“ Konzession jedoch inopportun und sogar gefährlich. Dem Nuntius schwebte wohl ein Szenario vor, dass eine sozialistische Regierung – das heißt Vertreter einer der katholischen Doktrin und Sittenlehre widersprechenden politischen Ideologie – Einfluss auf diesen Kernpunkt des kirchlichen Lebens und der Hierarchie gewinnen könnte.162 Obwohl durch den Artikel 137 der zur selben Zeit in Kraft tretenden WRV163 das Deutsche Reich vollständig auf jedwede Mitwirkung bei der kirchlichen Ämterbesetzung verzichtete, mahnte der strategisch denkende Nuntius zur Zurückhaltung: Um „noch mögliche Überraschungen, Schwierigkeiten und Komplikationen zu vermeiden“164 möge der Heilige Stuhl eine offizielle Stellungnahme hinauszögern, bis die Verfassung in den einzelnen Ländern effektiv angewendet werde. Das bedeutete faktisch eine stillschweigende Duldung des Einflusses bis zu diesem Zeitpunkt.

2) Auch in der Antwort auf die zweite Frage, die sich im Anschluss an die Eliminierung des staatlichen Einflusses stellte, schloss sich Pacelli der Analyse Hollwecks an: Die päpstliche Bischofsernennung nach Can. 329 § 2 sei der Kapitelswahl klar vorzuziehen. Allerdings zog der Nuntius die deutschen circumstantiae in seine Erwägungen mit ein und riet wiederum zur Vorsicht: Zunächst einmal hätten die Wahlen stets gute Ergebnisse erzielt, man „muss sogar anerkennen, dass die Bischöfe Preußens aktuell alle, ohne Ausnahme, würdige und eifrige Hirten sind“165. Sodann handle es sich um ein altes Privileg, dessen Aufhebung in Deutschland Schmerz und Unverständnis hervorrufen würde, zumal es mancherorts in Österreich und der Schweiz noch bestehe.166 Um dieser Unzufriedenheit aus dem Wege zu gehen, sei es klug, zum einen die deutschen Bischöfe über die beste Vorgehensweise bei dieser Änderung zu befragen167 und zum anderen den Kapiteln eventuell ein Partizipationsrecht bei der Bestellung der neuen Oberhirten zu gewähren. Pacelli dachte dabei an das von Hollweck vorgeschlagene Propositionsrecht einer Terna, ohne jedoch den Papst an diese zu binden.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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