Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 20
Das Bemühen des Domkapitels zur Bewahrung des Wahlrechts
ОглавлениеDie zumindest faktische Koalition von „Berlin“ und „Köln“ gegen „Rom“ stand außer Frage.207 Das Kölner Metropolitankapitel bestand genauso wie die Regierung auf der Persistenz des in der Zirkumskriptionsbulle verbürgten Wahlrechts des neuen Erzbischofs inklusive der Befugnis des Staates, minder genehme Kandidaten zu streichen. Daher gab es sich mit der Anweisung, auf weitere Instruktionen des Heiligen Stuhls zu warten, nicht zufrieden. Dompropst Middendorf versuchte stattdessen, Papst Benedikt XV. am 24. November brieflich von der eigenen Sicht der Dinge zu überzeugen.208 Für das Kapitel stellte sich die Situation wie folgt dar:
1) Der Artikel 137, Absatz 3 WRV habe „nur einen leitenden Rechtsgedanken ausgesprochen, nicht aber jetzt schon geltendes Recht geschaffen. Das kann nur durch die Preußische Staatsverfassung geschehen, die bisher noch nicht erlassen ist.“209
2) Die Regierung sei bereit, die auf Grund der Bulle ihr obliegenden Verpflichtungen zum Unterhalt der Bistümer bis zur verfassungsmäßigen Neuregelung zu erfüllen und versichere, dass „sie die von uns für die Erzbischofswahl aufzustellende Kandidatenliste keinerlei Beanstandung unterziehen wird“210.
3) Sollte Rom die Wahl verweigern, bestehe die akute Gefahr, dass Preußen die finanzielle Unterstützung der Bistümer einstellen werde. Zudem sei es für „die kommende Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche“, für „die Neuregelung der Rechtsverhältnisse und die materielle Abfindung der Kirche von nachteiligem Einflusse“211, wenn das zuletzt durch Kardinalstaatssekretär Rampolla dem Staat konzedierte Recht der Exklusive bei der kommenden Bischofswahl ausgeschaltet würde.
Auf Basis dieser Argumente bat Middendorf abschließend, „diese Verhältnisse einer wohlwollenden Prüfung unterziehen und uns Anweisung zugehen lassen zu wollen, dass wir auf der bisherigen Rechtsbasis zur Wahl eines neuen Erzbischofs schreiten können“212.
Deutlich prallten hier die divergenten Sichtweisen aufeinander: Pacelli – und mit ihm Hollweck – lehnte anders als das Kölner Kapitel jede staatliche Ingerenz zumindest theoretisch als schlichtweg unzulässig ab. Die Weitergeltung der 1821 vereinbarten Privilegien des Staates sah er nach der WRV für nicht mehr statthaft an. Der Eichstätter Kanonist lehnte das Argument, die staatlichen Leistungen seien gefährdet, falls die dem Staat und dem Domkapitel damals zugestandenen Rechte nicht berücksichtigt würden, ab. Middendorf und vor ihm schon Hartmann sahen das anders. Die vom Kölner Dompropst gegebene Zusicherung, die Regierung würde die Kandidatenliste anstandslos billigen, war angesichts der vom Staate ausgeübten Versuche, Mausbach a priori von der Kandidatur auszuschließen, mindestens ebenso berechnend wie die römische Vorgehensweise, eine endgültige Entscheidung über den künftigen Besetzungsmodus bis nach der Promulgation einer preußischen Landesverfassung zu verschieben. Um das Wahlrecht zu behalten, war das Kapitel bereit, mit dem Staat eine Interessengemeinschaft einzugehen. Jede der beteiligten Parteien diskutierte und interpretierte die Rechtslage stringent auf die eigenen Ziele hin.
Pacelli, der diesmal nicht als Vermittler nach Rom eingesetzt worden war, erhielt von Middendorf erst nachträglich unter dem Datum des 25. November eine Abschrift der Kapitelseingabe zur Kenntnisnahme.213 Offensichtlich umging das Metropolitankapitel den Nuntius, weil man in ihm keinen Verbündeten sah, ihm nicht vertraute und ihm vielmehr ein gegenteiliges Einwirken in Rom unterstellte.214 Dafür spricht auch ein Wechsel in der Absicht des Kapitels: Nachdem ihm bekannt wurde, dass sein Wahlrecht auf der Kippe stand, wollte es auf Einladung Pacellis zunächst eine Abordnung nach München senden, um die Angelegenheit mit dem Nuntius mündlich zu klären.215 Nachdem Pacelli allerdings zugesagt hatte, dass ihm für ein Treffen jeder Tag der nächsten Woche recht sei – seine Zusage erreichte Middendorf am 24. des Monats –, machte das Kapitel plötzlich einen Rückzieher und verwies auf die großen Verkehrsschwierigkeiten, die mit einer Reise nach München verbunden seien.216 Ein Treffen kam für die Domkapitulare nun nicht mehr in Frage, stattdessen hatten sie sich darauf geeinigt, einen Brief an den Papst zu schreiben. Sie fürchteten wohl, Pacelli wollte sie vor vollendete Tatsachen setzen und ihnen das Ende des Wahlrechts erklären. Deshalb vermutet Trippen plausibel, dass die Einladung Pacellis für das Domkapitel der Anstoß war, die eigene Position am 24. November nachdrücklich gegenüber dem Papst zu vertreten.217 Was das Kapitel nicht wissen konnte, war, dass es noch keine endgültige Entscheidung von Seiten der Kurie gab, die Pacelli ihm hätte präsentieren können.
Eine Abschrift seiner Eingabe sandte das Domkapitel ebenfalls am 25. November an das Berliner Staatsministerium und demonstrierte dem Staat damit sein Einvernehmen.218 Der Geheime Regierungsrat Werner Freiherr von Grünau aus dem Auswärtigen Amt leitete sie einen Tag darauf an Bergen weiter.219 Unter Berufung auf Informationen, die er von Domkapitular Ott bekommen habe, konstatierte er, dass die Kurie vorhabe, den neuen Erzbischof frei zu ernennen. Das Kölner Kapitel werde das Wahlrecht aber nicht aufgeben und ziehe daher nur solche Kandidaten in Betracht, die in Rom keinerlei Anstoß erregen würden, damit man dem Heiligen Stuhl zu keiner Intervention Anlass gebe. Grünau zeichnete sogar die reale Möglichkeit eines weittragenden Konfliktes zwischen der römischen Kurie und dem deutschen Episkopat, wenn von ultra montes der Versuch gewagt würde, das Wahlrecht zu bestreiten. Pacelli intendiere genau Letzteres. Damit es nicht so weit komme, sollte der preußische Gesandte in München, Julius Graf von Zech-Burkersroda, gegenteilig auf den Nuntius einwirken.