Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 15

II. Die Besetzungsfälle der bischöflichen Stühle II.1 Preußen II.1.1 Auftakt und Wegweiser: Köln 1919/20 (Karl Joseph Schulte)110 Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen

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Die Frage nach der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbulle De salute animarum wurde akut, als im Jahre 1918 zwei Kanonikate des Kölner Domkapitels vakant wurden.111 Durch den Tod von Domkapitular Peter Carl Aloys Kreutzwald im Mai und Alexander Schnütgen im November, zwei „päpstlichen“ Monaten, fiel es der preußischen Regierung zu, die landesherrliche Besetzung vorzunehmen.112 Daher erbaten die entsprechenden Regierungsstellen am 3. Januar sowie am 25. Februar 1919 für den Divisionspfarrer Adolph Ott und den Kölner Pfarrer Friedrich Graf von Spee die vorgeschriebenen Idoneitätszeugnisse vom Kölner Erzbischof Felix von Hartmann. Diesem waren die Kandidaten sehr gelegen, sodass er am 26. Februar und am 12. März die angeforderten Dokumente ausstellte. Die Regierung entnahm aus dieser Tatsache, dass der Kölner Kardinal die Fortgeltung der durch die Bulle festgeschriebenen Bestimmungen bejahte, wie Oberregierungsrat Philipp Brugger am 26. März an Hartmann schrieb. Anlass für diese Feststellung des Oberregierungsrats war eine gegenteilige Meinungsäußerung des Kölner Dompropstes Arnold Middendorf:

„Herr Dompropst Middendorf, der mich heute besuchte, äußerte die Meinung, daß der durch die Bulle ‚De salute animarum‘ geschlossene Vertrag hinfällig geworden sei, weil der eine vertragschließende Teil, der König von Preußen, weggefallen sei. Diese Auffassung wird hier nicht geteilt. Wir gehen davon aus, daß die Preußische Regierung an die Stelle des Königs getreten sei mit allen Rechten und Pflichten.“113

In seiner Antwort vom 29. März zog der Erzbischof die Persistenz der Bulle nicht in Zweifel, da sie „auf einem völkerrechtlichen Vertrage zwischen dem Papste und dem damaligen Inhaber der Staats- bzw. Gesetzgebungsgewalt in Preußen, dem Könige, an dessen Stelle jetzt die Preußische Regierung getreten ist“114, beruhe. Einseitig könne dieser Kontrakt nicht gelöst werden. Ob jedoch die Rechte, die der Preußischen Krone als solcher gewährt wurden, auf die derzeitige Regierung übergegangen waren, ob also das königliche Nominationsrecht für die Besetzung von vakanten Kanonikaten nun ein Recht der Regierung sein sollte, war ihm nicht klar. Diese Problematik konnte seiner Ansicht nach jedoch vernachlässigt werden, da der Heilige Stuhl der preußischen Nomination seine Zustimmung nicht versagen werde, wenn das Idoneitätszeugnis vorliege.

Noch gravierender als die Frage nach der Kanonikatsbesetzung schien Hartmann die bislang übliche Praxis der preußischen Domkapitel zu sein, dem König eine Liste von Kandidaten für das Bischofsamt vorzulegen, von der dieser minder genehme Personen tilgen konnte:115 „Ich möchte als sicher annehmen, daß der H[eilige] Stuhl das letztere Recht als eigentliches Kronrecht ansieht.“116 Und für die Ausübung eines Kronrechts – so lässt sich hinzufügen – fehlte nach dem Fall der Monarchie das Rechtssubjekt. Hartmann prognostizierte, dass sich nach seinem Tode Verhandlungen mit Rom über diese Angelegenheit nicht vermeiden ließen.

Dieser Briefwechsel verdeutlicht den unsicheren Rechtsstatus nach dem Fall der Monarchie. Durch die Korrespondenz mit Brugger offensichtlich auf den Schwebezustand des staatskirchenrechtlichen Komplexes gestoßen, schrieb der Kölner Kardinal am gleichen Tag an den Münchener Nuntius Eugenio Pacelli, um von der kurialen Seite eine Klärung zu erwirken.117 Bezüglich der Kanonikatsbesetzungen empfahl er, den Regierungsvorschlägen Genüge zu tun, sofern es sich um annehmbare Personen handle. Andernfalls würde der Staat – so Hartmann – mit Sicherheit die finanziellen Leistungen einstellen. Er sorgte sich also um die grundlegende Verpflichtung, die dem Staat durch die alte Zirkumskriptionsbulle aufgegeben war. Was die staatliche Ingerenz auf die Bischofswahlen anbelangte, wurde der Erzbischof jetzt deutlicher als gegenüber Brugger: Die staatliche Exklusive bei der Besetzung der preußischen Bistümer (außerdem Limburg und Fulda, die mit zum Geltungsgebiet von De salute animarum gehörten) scheine ein Kronrecht zu sein, das nicht so einfach auf die demokratische Regierung übergehen könne. Allerdings sei die Lage in Osnabrück und Hildesheim anders, da die dort geltende Bulle Impensa Romanorum Pontificum die Mindergenehmheit ausdrücklich als ein Recht der Regierung deklariere.118 „Jedenfalls aber scheint es mir notwendig, dass der h[eilige] Stuhl die Domkapitel mit Weisung darüber versieht, wie sie sich im Falle der Vakanz eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles zu verhalten haben.“119

Pacelli griff das Thema sofort auf und informierte am 6. April Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri darüber, dass die Regierung vorhabe, dem Heiligen Stuhl zwei Kandidaten für die vakanten Kölner Kanonikate zu präsentieren.120 Das Votum des Kölner Kardinals, die Besetzung auf diese Weise vonstatten gehen zu lassen, verschwieg er dabei nicht. Aber der Nuntius beließ es nicht bei der einfachen Berichterstattung, sondern rekapitulierte für Gasparri die entsprechende Vorschrift aus De salute animarum und diskutierte außerdem den sogenannten „Breslauer Modus“121, den die Bulle für die Besetzung der Kanonikate vorschrieb und gemäß dem sowohl die preußische Regierung als auch Kardinal Hartmann gehandelt hatten. Dieses Verfahren, gemäß dem der preußische König in den „päpstlichen Monaten“ die Kanoniker ernannte und dem Papst lediglich die offizielle Verleihung übrig blieb, unterzog Pacelli einer grundsätzlichen Kritik: „Daher gründete sich dieser Breslauer Modus im Prinzip auf eine reine Usurpation von Friedrich II. und erhielt einzig zur Zeit des Konkordats von 1821 durch die Nachsicht des Heiligen Stuhls ein legitimes Fundament.“122 Um seine Abneigung gegen dieses, einem „häretischen Fürsten“123, das heißt einem protestantischen Herrscher, verliehene Privileg zu zeigen, habe der Heilige Stuhl – so Pacelli – in der Bulle und den einzelnen Ernennungsschreiben absichtlich nur ein Kollationsrecht des Papstes, nicht aber die Ernennung durch den weltlichen Herrscher erwähnt. Daraus folge für dieses Privileg eine strenge Auslegung.

Pacelli rekurrierte hier auf das in Can. 1471 CIC 1917124 vorgeschriebene Prinzip, wonach aus einem Präsentationsrecht, das der Heilige Stuhl gewährt, kein Patronatsrecht wird, also das Vorrecht, „zur Neubesetzung eines erledigten Patronatsbenefiziums einen geeigneten Geistlichen rechtsverbindlich vorzuschlagen“125. Vielmehr ist nach diesem Canon „das Präsentationsprivileg streng nach der Verleihungsurkunde auszulegen“126. Wie gesagt wurde in dieser jedoch der weltliche Machthaber nicht erwähnt.

Wenn dieses Prinzip – so folgerte Pacelli – für das Präsentationsrecht von katholischen Souveränen und für alle beliebigen Benefizien gelte, müsse es doch ganz besonders auf die privilegierten Häretiker127 und die Besetzung der Dignitäten respektive Kanonikate appliziert werden. Für Pacelli war die seiner Ansicht nach damit erwiesene Unrechtmäßigkeit der Besetzung der Domherrenstellen durch den staatlichen Herrscher deshalb so wichtig, weil die Kanoniker in Preußen „nicht nur das harmlose Recht ausüben, im Chor zu singen, sondern einen beträchtlichen Anteil an der Diözesanverwaltung haben und vor allem das einzigartige Vorrecht genießen, den Bischof zu wählen“128. Aufgrund dieser bedeutenden Funktion der Kanoniker dürften nur Personen zu diesem Amt ernannt werden, denen es tatsächlich um das Wohl der Kirche gehe. Darum musste nach Pacelli eine Ingerenz des Staates, der stets eigene Interessen verfolge, bei ihrer Auswahl verhindert werden. Die grundlegende Frage, ob das fragliche Privileg des preußischen Königs auf die aktuelle Regierung übergegangen sei, beantwortete der Nuntius daraufhin negativ.129 Das Thema der Kanonikatsbesetzung beschloss er mit dem Hinweis, dass diese Frage für Kardinal Hartmann keine praktische Relevanz besitze, da die Bulle nicht von einer staatlichen Ernennung spreche. Deshalb könne man nach Ansicht des Kölner Erzbischofs auch in Zukunft die Vorschläge der Regierung in Erwägung ziehen, wenn die designierten Personen ausreichend geeignet seien.

Im Folgenden kam Pacelli auf die Bischofswahl zu sprechen, wobei er auf eine eingehende Darlegung der historisch-juristischen Grundlagen verzichtete. In Rom sei das alles gut bekannt und man sei dort auch über die „Missbräuche der staatlichen Autoritäten“130 informiert, die im Jahr 1900 das Rundschreiben Rampollas notwendig gemacht hätten.131 Dem Nuntius ging es an dieser Stelle lediglich darum, dem Kardinalstaatssekretär in Erinnerung zu rufen, wie die staatlichen Autoritäten in den Bestimmungen der Zirkumskriptionsbullen und Breven zu den Wahlhandlungen genannt wurden. Denn offenkundig war es für die Frage, ob ein Recht automatisch auf eine neue republikanische Regierung transferiert werden konnte, nicht unerheblich, wem genau es seinerzeit gewährt wurde. Das Breve Quod de fidelium für Preußen spreche davon – so Pacelli –, dass der zu Wählende eine persona grata für den König (Serenissimo Regi) sein müsse.132 Gemäß Ad dominici gregis müssten die oberrheinischen Domkapitel den Landesfürsten (summos respectivi Territorii Principes) die Kandidatenliste einreichen.133 Die mit Hannover ausgehandelte Bulle Impensa Romanorum Pontificum benenne den Empfänger der Kapitelsliste schließlich mit königlichen Beamten (Regios Ministros), aber auch einfach mit Regierung (Gubernio).134 Klare Folgerungen zog Pacelli aus dieser Darstellung nicht. Für ihn schien sich die müßige Frage nach dem Übergang der staatlichen Einflussrechte von selbst zu lösen, wenn durch die neue Reichsverfassung eine „mehr oder weniger vollständige Trennung der bürgerlichen Gewalt von der Kirche“135 zustande käme und der Kirche die Freiheit, ihre Ämter völlig autonom zu besetzen, zugestanden werde. Dann sei lediglich die Frage zu stellen, ob der Heilige Stuhl das Recht der Kapitelswahl in Kraft lassen oder aber das allgemeine Recht – das heißt den Can. 329 § 2 CIC 1917 – anwenden wolle. Für den Moment jedoch wünsche Hartmann genaue Anweisungen, wie im Fall einer Sedisvakanz vorzugehen sei.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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