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Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar

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Durch die erste Vakanz eines deutschen Bistums nach Verabschiedung der WRV bekamen die Spekulationen über die Kompetenzverteilung von Kurie, Domkapitel und Regierung bei der Wiederbesetzung neue Nahrung. Ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger vom 11. November beurteilte die Möglichkeit der preußischen Regierung, Einfluss zu nehmen, angesichts des Artikels 137 der neuen Verfassung als skeptisch.181 Der seit Mai 1919 beim Heiligen Stuhl akkreditierte preußische Gesandte Diego von Bergen, der zu dieser Zeit in Lugano auf die Einreisegenehmigung nach Italien wartete, warnte hingegen in einem Telegramm an das Auswärtige Amt davor, Domkapitel und Kurie freie Hand zu lassen, weil so „ein für uns in Zukunft unbequemer Präzedenzfall entstehen“182 könnte. Als Kandidaten veranschlagte er unumwunden den „hervorragenden und national gesinnten Bischof Schulte in Paderborn“183. Dass der Staatsbeamte Karl Joseph Schulte vorschlug, ist nicht überraschend, da bereits dessen Promotion auf den Paderborner Bischofsstuhl 1910 von der preußischen Regierung gern gesehen wurde, insofern man in ihm einen Mann von „unbedingte[r] Staatstreue“184 erkannte.

Weil sie Bischöfe dieses Kalibers wünschte, war die preußische Regierung keinesfalls bereit, den durch die päpstlichen Rundschreiben aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts verbürgten Einfluss auf die Besetzung der Bistümer einfach aufzugeben. Durch Artikel 137 WRV seien dieselben in ihrer rechtlichen Geltung nicht eingeschränkt worden, wie eine Besprechung nach dem Tod Hartmanns zwischen den entsprechenden Stellen der preußischen und der Reichsregierung einmütig feststellte.185 Sie hofften dabei auf eine Koalition mit den Protagonisten der deutschen Kirche, „weil die Domkapitel auf Grund dieser Dokumente noch das Wahlrecht hätten, während der CJC dem Papst das Recht der freien Bischofsernennung vorbehalte“186. Als Hauptkandidaten auf der Liste des Kölner Kathedralkapitels vermuteten die Regierungsstellen neben dem schon genannten Schulte, den sie selbst favorisierten, den ebenfalls genehmen Münsteraner Dompropst und Professor Joseph Mausbach. Um direkt den Willen der Einflussnahme auf die Wiederbesetzung zu bekunden, bestimmte die preußische Regierung bereits am 12. November Groote, den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, zum Regierungskommissar für die Wahl.187 Der Unterstaatssekretär im Kultusministerium, Carl Heinrich Becker, gab diesem drei Tage später die Handlungsdirektive mit auf den Weg, dass „unbeschadet der der Preußischen Staatsregierung zustehenden völkerrechtlich begründeten Rechte die Zeitverhältnisse und der Geist des Artikel 137 Absatz 3 der neuen Reichsverfassung eine zurückhaltende Wahrnehmung des Eurer Exzellenz übertragenen Amtes nahe legen“188.

Das Metropolitankapitel wählte in der Sitzung vom 12. November, dem Tag nach dem Tod Hartmanns, Generalvikar Joseph Vogt zum Kapitularvikar und ersuchte die preußische Regierung um das vorgeschriebene Plazet.189 Vogt benachrichtigte am 13. November den Nuntius von seiner Amtsübernahme190 und übermittelte ihm gleichzeitig eine Anzeige für Gasparri.191 Darin skizzierte er seine Vorstellungen von den notwendigen Qualitäten des neuen Erzbischofs:

„In diesen sehr traurigen Zeiten, wo wir durch größte Schwierigkeiten von überall her bedrängt werden, bedarf die verwaiste Erzdiözese einen neuen Hirten, der, dem verstorbenen vielgeliebten Erzbischof an Klugheit, Frömmigkeit, rechtem Glauben und frommer Anschließung an den Heiligen Apostolischen Stuhl gleich, die Herde, die ihm anvertraut ist, treu hüten könnte.“192

Der Heilige Stuhl wollte sich aber die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen. Bevor Gasparri diese Nachricht erreichte, forderte er Pacelli am 13. des Monats auf, dem Kapitel die Erlaubnis zur Wahl des Kapitularvikars zu überbringen.193 Zu Recht weist Norbert Trippen darauf hin, dass eine dem Kapitel qua CIC zukommende Befugnis damit zu einem Privileg herabgestuft wurde.194 Was die „Ernennung des Erzbischofs“ (nomina Arcivescovo) anbelangte, sollte das Kapitel noch später folgende Instruktionen aus Rom abwarten.195 Unter dem Datum des 15. November reichte Pacelli diese Weisungen in zwei separaten Schreiben an das Kölner Kapitel weiter.196 Eine Woche später gab dieses dem Münchener Nuntius zu verstehen, dass es die Wahl des Kapitularvikars bereits vorgenommen habe, bevor die Anweisung aus Rom eingetroffen sei und diese Vorgehensweise sowohl als sein Recht als auch als seine Pflicht verstanden habe.197

Von Seiten der Kurie waren in der Frage der Bischofseinsetzungen im Anschluss an das Gutachten Hollwecks und die Überlegungen Pacellis noch keine Anordnungen erlassen worden. Im August hatte der Nuntius dem Kardinalstaatssekretär geraten, mit einer Klärung der Ämterbesetzung zu warten, bis die WRV mit dem für die Kirche vorteilhaften Artikel 137 in den einzelnen Ländern Aufnahme gefunden habe. Diese Überlegung wurde gespeist durch ein Zusammentreffen verschiedener deutscher Kultusminister im Berliner Reichsinnenministerium im Oktober des Jahres. Von dieser Konferenz erfuhr Pacelli durch den bayerischen Kultusminister Johannes Hoffmann. Dort erklärten die Minister zum einen, „dass die internationalen Verträge, zu denen auch die Konkordate gehören, in Kraft bleiben, insoweit sich ihre Bestimmungen nicht in Widerspruch mit jenen der Verfassung befinden“198. Zum anderen proklamierten sie, dass der Absatz 3 des genannten Artikels über die kirchliche Autonomie der Ämterbesetzung nicht in Kraft gesetzt sei, bis die einzelnen Länder ihn in ihre Rechtsgrundlage integriert hätten. Die Regierungen stützten sich dabei auf den Absatz 8 des Artikels.199

Pacelli betrachtete die staatliche Argumentation als „im ganzen merkwürdig und unfundiert“200, wie er am 15. November 1919 an das Staatssekretariat schrieb. Deshalb habe er – wie er berichtete – bereits im August des Jahres Mausbach darüber befragt, der nicht nur Mitglied der Nationalversammlung,201 sondern auch als Berichterstatter zu den Kirchenartikeln tätig war. Dieser habe versichert, dass sich der Absatz 8 des Artikels 137 nur auf die vorangehenden Absätze 5 bis 7 beziehe, nicht jedoch auf den staatlichen Verzicht auf die Mitwirkung an der kirchlichen Ämterbesetzung, wie ihn der Absatz 3 konstituierte. Für diesen sei eine weitere Regelung, welche nach Absatz 8 die Landesgesetzgebung besorgen müsse, nicht erforderlich. Da für Pacelli die staatliche Interpretation angesichts dessen nicht nur haltlos, sondern auch „ein heimtückischer Versuch gewesen sein könnte, die vollständige Beseitigung des Einflusses der bürgerlichen Autorität auf die erwähnten Besetzungen aufzuschieben oder zu verringern“202, hatte er Mausbach gebeten, in der Nationalversammlung eine klärende Korrektur dieser Sicht zu erwirken. Aber angesichts der skizzierten Argumentation und der Ansicht zur Fortgeltung der Konkordate hegte Pacelli keinen Zweifel, „dass die preußische Regierung die Bestimmungen der Bulle ‚De salute animarum‘ mit dem beigefügten Breve ‚Quod de fidelium‘ auch hinsichtlich der Bischofswahlen noch immer in Geltung betrachtet“203. Er glaubte, sie werde diese Position so lange aufrecht erhalten, bis eine endgültige Klärung der Angelegenheit stattgefunden habe. In Anbetracht der brandaktuellen Entwicklung in Köln hielt der Nuntius diese Informationen als Ergänzung zu seinen prinzipiellen Erwägungen vom 13. August für notwendig.

Die staatliche Vorstellung stand nicht zur Disposition, wie ein innerpreußischer Schriftwechsel einige Tage darauf deutlich macht. Der preußische Gesandte Bergen telegraphierte am 22. November nach Berlin, dass die Kurie mit Schulte als neuem Erzbischof von Köln einverstanden sei und man sich daher einvernehmlich auf diesen Kandidaten einigen solle, um „unfruchtbare akademische Erörterungen über [den] neuen Rechtszustand“204 vermeiden zu können. Dieser Vorschlag implizierte faktisch, das Wahlrecht des Domkapitels und letztlich die Rechtsgrundlage der Bulle selbst auszuhebeln. Daher ging Berlin auf diese Überlegung nicht ein, sondern beharrte vielmehr auf der Fortgeltung der bisherigen Regelung, die wegen ihres völkerrechtlichen Charakters von der WRV nicht tangiert worden sei, wie Unterstaatssekretär Edgar von Haniel aus dem Auswärtigen Amt antwortete.205 Haniel sprach von einer Interessenkonvergenz der Kölner Partikularkirche mit dem Staat gegenüber Rom. Das Kapitel sei bereit, ohne jede kuriale Einmischung einen national gesinnten Mann zu wählen. Laut Haniel versuchte die Regierung auf vertraulichem Wege zu verhindern, dass Mausbach auf die Kandidatenliste der Domherren gelangte, weil sie befürchtete, er könnte aus theologischen oder politischen Gründen in der Kurie Anstoß erregen. Demgegenüber sollte jede päpstliche Intervention grundlos gemacht werden. Die „größte[n] Aussichten“206 sprach der Unterstaatssekretär daher Schulte zu.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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