Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 9

I.1 Eugenio Pacelli – Leben und Forschung

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Eugenio Pacelli (1876–1958) gehört zu den zentralen Gestalten der Kirchengeschichte des letzten Jahrhunderts.3 Die Karriere des Römers Pacelli verlief von Anfang an im „Schatten“ des Heiligen Stuhls. Nach seinen philosophisch-theologischen und juristischen Studien, die er an der Gregoriana beziehungsweise am Apollinare absolvierte, empfing er 1899 die Priesterweihe. 1901 und 1902 folgten Promotionen zum Dr. theol. und Dr. iur. utr. Umgehend trat er in den diplomatischen Dienst der Kurie ein: 1903 wurde er Minutant in der AES, 1911 stieg er zum Untersekretär, kurz darauf zum Prosekretär, 1914 schließlich zum Sekretär auf. Zusammen mit seinem Mentor Pietro Gasparri, seit 1914 Kardinalstaatssekretär Benedikts XV., arbeitete er in der Kommission zur Kodifikation des kanonischen Rechts, was ihn bereits in der Phase der Genese zum Fachmann des 1917 promulgierten Codex Iuris Canonici (CIC) machte. Sein Hauptbeschäftigungsfeld in der AES war das Staatskirchenrecht: Anlässlich des Österreichischen Vetos gegen Mariano Rampolla in der Papstwahl 1903 wandte er sich gutachterlich gegen das frühneuzeitliche Recht der „Exklusive“ katholischer Großmächte;4 1906 war er an der Abfassung eines Weißbuches beteiligt, mittels dessen den antikirchlichen Aktionen in Frankreich begegnet werden sollte; 1914 führte er die Konkordatsverhandlungen mit Serbien; 1916 erarbeitete er mit Blick auf Frankreich eine Lösung zur Geltungsfrage von Konkordaten nach Vertragsbrüchen.5 Den „vermeintlich begabtesten Diplomaten der Kurie in jenen Jahren“6 schickte Benedikt XV. 1917 als Nuntius nach München, um seine Friedensinitiative voranzutreiben. 1920 wurde Pacelli gleichzeitig als Nuntius beim Deutschen Reich (später auch Preußen) akkreditiert, siedelte aber erst 1925 nach Berlin über, nachdem er ein neues Bayernkonkordat ausgehandelt hatte. Nach Abschluss des Preußenkonkordats 1929 war seine Mission in Deutschland, die mit zwölf Jahren ungewöhnlich lang angedauert hatte, abgeschlossen. Im Februar 1930 trat er die Nachfolge Gasparris als Kardinalstaatssekretär an:

„Als ‚Außenminister‘ des Papstes hatte Pacelli nun weltweit, überall, wo Katholiken lebten, kirchlich-päpstliche Interessen wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang führten ihn einige wenige Auslandsreisen nach Buenos Aires (1933), nach Lourdes in Frankreich (1935), in die Vereinigten Staaten von Amerika (1936) und nach Budapest (1938).“7

Seine besondere Sorge galt aber immer noch Deutschland und der deutschen Kirche, deren Lage sich unter dem Aufstieg des Nationalsozialismus stetig zuspitzte. Hatte er 1932 noch das Badenkonkordat abgeschlossen, erreichte er am 20. Juli 1933 sein lang gehegtes Ziel, ein Reichskonkordat abzuschließen, das „für die Kirche später einen Verteidigungswall und ein letztes Stück Rechtssicherheit darstellte“8. In den folgenden Jahren beschäftigten ihn der Kampf des NS-Regimes gegen die Kirche, der nationalsozialistische Antisemitismus und die Gefahr des Kommunismus. Als schließlich Pius XI. am 10. Februar 1939 starb, wählten ihn die Kardinäle am 2. März nach nur eintägigem Konklave zum Nachfolger. War der erste Teil des Pontifikats Pius’ XII. vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet, so begann 1945 die Phase des Wiederaufbaus. War er einerseits Gipfelpunkt der pianischen Epoche, zeigt sein umfangreiches Lehramt, das alle Bereiche des kirchlichen Lebens behandelte, andererseits schon die ersten Ansätze der Erneuerung, die für die zweite Jahrhunderthälfte prägend wurden.

Ausgangspunkt der Forschung zu Eugenio Pacelli9 war bis vor einiger Zeit fast ausschließlich der Pontifikat Pius’ XII., von dem her seine Biographie beurteilt und seine Person verstanden wurde:

„Daß der Römer Eugenio Pacelli als bedeutendster Nuntius in Deutschland gilt, verdankt er nicht zum mindesten seinem Pontifikat in einer hochbrisanten Zeit. Dieser Retrospektive als interesseleitender Vorgang, der um die Themenkomplexe Reichskonkordat und Holocaust kreist, haftet eine immanent biographische und historiographische Engführung an.“10

Hier sind die beiden Kernthemen angesprochen, auf die sich die Forschung seit den 1960er Jahren, seit Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ und der sich an ihm entzündenden Debatte,11 konzentrierte und letztlich bis heute konzentriert: „Kontrovers waren und sind das Verhältnis des deutschen Katholizismus zu Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 und namentlich zum Reichskonkordat einerseits,12 Papst Pius XII. und sein angebliches oder wirkliches Schweigen zum Holocaust13 in den letzten Kriegsjahren andererseits.“14

Der Fokus lag also einseitig schwerpunktmäßig auf dem Wirken Pacellis als Kardinalstaatssekretär und Papst, während wiederum die untergeordnete Beachtung seiner Zeit als Nuntius „thematisch ausgesprochen selektiv und final auf die spätere Epoche des ‚Dritten Reichs‘ hin angelegt“15 wurde. Hubert Wolf und Klaus Unterburger sehen den Grund dafür nicht nur darin, dass bis 2003 beziehungsweise 2006 die als maßgeblich anzusehenden vatikanischen Quellen für die Jahre 1922–1939 nicht zur Verfügung standen, sondern gehen außerdem davon aus, dass „die Interpretationsmuster im Wissen um den späteren Aufstieg des Nuntius und mit thematischem Blick auf den künftigen Geschichtsverlauf hin bewusst oder unbewusst gewählt“16 wurden. Tatsächlich setzen auch nachher entstandene Publikationen, die wenigstens zum Teil auf die neuen Quellen zurückgreifen, die alten Schwerpunkte.17

Die Nuntiaturzeit galt „eher als Durchgangsstation“ zwischen der römischen Ausbildung und der Rückkehr an den Tiber, die „nur wenig zur Heranbildung von Überzeugungen, Handlungsmustern und Erfahrungswissen beigetragen hat“18. Im Nuntius sah man bereits die Größe und diplomatische Begabung des späteren Pontifex, während man sich andererseits gerade „für seine politische Rolle“ interessierte „und hier vorzüglich für jene Themenkomplexe, die auch in seinem späteren Pontifikat von herausragender Bedeutung waren“19. Dabei wurde die Blickrichtung auf die politische Dimension durch die Tatsache zumindest verstärkt, dass Forschungsvorhaben vor der vatikanischen Archivöffnung nur auf Sekundärüberlieferungen aus deutschen staatlichen und kirchlichen Archiven zurückgreifen konnten. Wenn man wie Wolf und Unterburger die vor diesem Datum entstandene einschlägige Literatur zu Pacellis Nuntiaturzeit kritisch analysiert,20 kommt man zu dem Schluss, dass „immer wieder dieselben (vor allem zwischenstaatlich-diplomatischen) Themen im Mittelpunkt des Interesses“21 standen: zunächst in der Frühphase die päpstliche Friedensinitiative am Ende des Ersten Weltkriegs22 und Pacellis Haltung zur Revolution;23 dann seine Verhandlungen mit der Sowjetunion24 und sein Interesse an der deutschen Haltung gegenüber der neuen Republik Polen;25 schließlich sein Verhältnis zu den Parteien der Weimarer Republik26 und seine Konkordatspolitik. Mittlerweile wurden einige dieser Themen auch mit den neuen vatikanischen Quellen aufgearbeitet.27 Das 2006 von Wolf und Unterburger gefällte Urteil, dass hinsichtlich der Konkordate nur staatliche Quellen verarbeitet wurden,28 gilt allerdings – abgesehen vom Reichskonkordat29 – im Wesentlichen immer noch, wenngleich einige zwischenzeitliche Studien auf die vatikanischen Akten zurückgreifen. Zu nennen wären hier etwa für das Bayernkonkordat die Arbeit von Jörg Zedler über die bayerische Vatikangesandtschaft30 und die kursorische Darstellung der Verhandlungen durch Florian Heinritzi,31 für das Preußenkonkordat mit dem Fokus auf Adolf Kardinal Bertram die Untersuchungen von Johannes Dambacher und Sascha Hinkel,32 für die schließlich gescheiterten Konkordate mit Württemberg und Hessen die Aufsätze von Antonius Hamers.33 Umfassende Darstellungen auf Basis der neuen Akten fehlen aber nach wie vor.

Mit dieser Konzentration auf den politischen Bereich ging eine Vernachlässigung der „gesamte[n] innerkirchliche[n] Wirksamkeit des Nuntius“ – und man kann ergänzen: auch des Kardinalstaatssekretärs (in Bezug auf Deutschland) – einher, nämlich

„sein Verhältnis zum deutschen Episkopat insgesamt, zu den einzelnen Bischöfen, zu den theologischen Fakultäten und Seminaren sowie den an ihnen lehrenden Professoren und Dozenten, zu den Orden, Kongregationen und katholischen Vereinen, zu den neuen innerkirchlichen Bewegungen und zeitgenössischen Reformbestrebungen oder direkt zum katholischen Volk in Deutschland“.34

Die 2003 und 2006 freigegebenen vatikanischen Quellen ermöglichen es, diesen Bereich in den Blick zu nehmen und die jeweiligen Teilaspekte näher zu untersuchen. In den letzten Jahren ist das vereinzelt bereits unternommen worden: Zu nennen ist hier zunächst die von Wolf und Unterburger dem Abschlussbericht Pacellis über die Lage der deutschen Kirche von 1929 vorangestellte Einleitung, welche die ersten fundamentalen Grundzüge dieser innerkirchlichen Ebene im Wirken des Nuntius zusammenfasst.35 Mehrere Publikationen von Klaus Unterburger, vor allem seine Habilitationsschrift aus dem Jahr 2010, untersuchen Pacellis Sicht auf die deutsche Theologie, einzelne Theologen und die Katholisch-Theologischen Fakultäten.36 Erwähnenswert sind unter anderem die Überlegungen Hubert Wolfs von 2012 über das Zusammenspiel von geistlicher und politischer Komponente im Wirken des Nuntius Pacelli37 oder Pacellis Meinung zum Saarländischen Katholikentag von 1923, die ein Aufsatz Sascha Hinkels von 2015 behandelt.38 Speziell Pacellis Beziehung zum deutschen Episkopat thematisieren beispielsweise Hubert Wolf 2008 mit besonderem Blick auf Konrad Graf von Preysing39, Johannes Dambacher 2009 und 2015 mit Fokus auf Bertram und das Preußenkonkordat40 oder Dominik Burkard 2013 hinsichtlich Joannes Baptista Sproll41, während Klaus Unterburger 2009 eine Zwischenbilanz zu dieser Frage zog.42 Die ersten wesentlichen Einsichten weisen Preysing als Pacellis Vertrauten aus, während er gegenüber Bertram ein „distanziertes Verhältnis“43 besaß. Auch zu diesem Bereich bieten die vatikanischen Quellen noch großes Forschungspotenzial.44 Erst wenn die Quellen auf nationaler Ebene aufgearbeitet sind, lässt sich das Feld international vergleichender Forschungsperspektiven breiter bestellen, wie zum Beispiel hinsichtlich einer Zusammenschau des Nuntius Pacelli mit parallel wirkenden europäischen Nuntien, wofür ein von Hubert Wolf herausgegebener Sammelband von 2012 erste Ansätze bietet,45 oder etwa in Form eines internationalen Vergleichs in einem größeren Rahmen mit Fokus auf den Pontifikat Pius’ XI.46

Wie Pacelli zum deutschen Episkopat im Allgemeinen und zu den einzelnen Oberhirten im Besonderen stand und welches Bischofsbild er konkret besaß,47 lässt sich insbesondere daran ablesen, wie er auf die Einsetzung der Bischöfe einwirkte.48 Die Besetzung der Bischofsstühle wurde im Zusammenhang mit dem CIC von 1917 und den rechtlichen Neuregelungen der Modi in den Konkordaten der 1920er und 30er Jahre von der Kanonistik in abstracto untersucht.49 Später folgten kirchenhistorische Forschungen zu den konkreten Bistumsbesetzungen auf Basis von diözesaner und staatlicher Quellenüberlieferung, zum Teil als Einzeluntersuchungen, zum Teil im Rahmen von Bistumsgeschichten und prosopographischen Studien.50 Da jedoch die diözesanen Quellen entweder häufig im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder aufgrund der Verfahrensstruktur keine oder nur kaum relevante Dokumente beinhalten, lieferten sie nur partielle und meistens geringe Informationen. Staatliche Akten wiederum konnten lediglich Licht in den „politischen“ Teil des Besetzungsverfahrens bringen, wie es etwa die Dissertation von Bernd Heim aus dem Jahr 2007 über die Anwendungsfälle der politischen Klausel in der Zeit von 1933–45 anstrebte.51

Die kircheninternen Abläufe und die Rolle Pacellis lassen sich erst mit Hilfe der vatikanischen Quellen erarbeiten.52 Tatsächlich sind seit der Archivöffnung bereits einige Publikationen mit diesem Anliegen entstanden: Den Anfang machte Erwin Gatz, der in zwei Aufsätzen 2003 und 2005 elf Besetzungsfälle in Preußen (plus Meißen) anhand der vatikanischen Quellen nachzeichnete.53 Problematisch ist an diesen Darstellungen, dass die Abläufe nur stark verkürzt in den Blick kommen und sich daher einer eingehenden Analyse verschließen. Bereits 2004 stellte Thomas Flammer in einem umfangreichen Aufsatz die Hildesheimer Bischofswahlen von 1928 und 1934 dar.54 Vereinzelten Zugriff auf die vatikanischen Unterlagen der Berliner Bischofseinsetzungen 1929/30 und 1933/ 34 nahm Michael Höhle 2005 in seiner biographischen Skizze der Bischöfe Christian Schreiber und Nikolaus Bares.55 Die Münsteraner Wahl von 1933 wurde schon mehrfach mit den neuen Quellen beleuchtet.56 Die Ernennung Heinrich Wienkens zum Koadjutor von Meißen 1936/37 stellte Birgit Mitzscherlich 2005 dar.57 Nachdem Hubert Wolf 2008 im knappen Rahmen die Erhebungen Konrad Graf von Preysings zum Bischof von Eichstätt 1932 beziehungsweise Berlin 1935 angerissen hatte,58 legte er 2009 schließlich eine Monographie zur Wahl Johannes Baptista Sprolls zum Bischof von Rottenburg 1926/27 vor.59 Einblicke in die Besetzung des Bistums Augsburg 1930 lieferte Klaus Unterburger 2009.60 Erste aus den vatikanischen Quellen gewonnene Ergänzungen zu den Fällen Köln 1920, Mainz 1921 und Trier 1922 machte schließlich Hans-Ludwig Selbach in seiner Studie von 2013 über die Kirche und die französische Rheinlandpolitik.61 2011 legte Thomas Forstner erste Untersuchungen zum bayerischen Triennallistenverfahren vor.62

Die ersten Resultate untermauern, dass Pacelli als Bischofskandidaten vor allem Rom ergebene Geistliche, ehemalige Germaniker und andere Jesuitenschüler bevorzugte.63 Sie bringen das von ihm verlangte Bischofsprofil in Verbindung mit den Vorgaben einer korrekt-römischen Priesterausbildung64 und zeigen, dass Pacelli auf das Urteil von Jesuiten oder Bischöfen wie Christian Schreiber und Clemens August Graf von Galen vertraute.65 Auch machen sie deutlich, dass Pacelli bestrebt war, den römischen Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle zu vergrößern und in diesem Zuge konsequent das Kapitelswahlrecht auszuschalten.66 Insgesamt bleibt jedoch zu konstatieren, dass nur ein Bruchteil der Bischofseinsetzungen in der Zwischenkriegszeit auf Basis der vatikanischen Quellen behandelt und von diesen auch nur eine Handvoll breiter erforscht wurde. Abgesehen davon fehlen eine vergleichende Gesamtschau und die konsequente Analyse auf die Rolle Pacellis hin. Insofern ist die Feststellung von Thomas Flammer aus dem Jahr 2004 immer noch aktuell, als er im Hinblick auf die Bischofseinsetzungen die Relevanz herausstellte, welche die neu zugänglichen vatikanischen Quellen

„zur Erhellung von Detailfragen und für eine differenzierte Darstellung des Verhältnisses der Katholischen Kirche zum Nationalsozialismus haben. Sie gleichen nicht nur fehlende Daten zur Bistumsgeschichte aus, sondern geben zudem wichtige Einblicke in die Personalpolitik Roms wie auch die Persönlichkeit des Nuntius und Kardinalstaatssekretärs Pacelli. In diesem Zusammenhang wäre eine ausführliche Darstellung sämtlicher Bischofsbesetzungen … der Jahre 1922 bis 1939 von Bedeutung.“67

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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