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Unterwegs nach Venedig, in einem alten Käfer. Dämmerung. Neben mir sitzt ein Mädchen. Es hat mich bei meinen ersten Ausflügen ins Reich der Erotik begleitet. Das gab Ärger, deshalb sind wir von zu Hause geflohen. Die letzten Tage habe ich im Obdachlosenasyl geschlafen. Nun bin ich in Italien, sitze am Steuer und genieße die Freiheit. Wir fahren durch Wälder und Wiesen, folgen einer kleinen Landstraße. Es regnet in Strömen, doch es ist warm.

Nach einigen Kilometern schiebt sich ein Gedanke in mein Gehirn: ein erotisches Intermezzo, da draußen, im strömenden Regen. Prasselnde Tropfen auf nackter Haut, eine neue Erfahrung. Meine Begleiterin, jung und neugierig, ist von der Idee sofort angetan. Ich parke am Straßenrand.

Im hohen Gras lassen wir uns fallen, ergeben uns der spontanen Erregung. Wild und ungestüm ringen wir miteinander. Der Regen peitscht unsere Haut, stimuliert unsere Sinne. Es riecht nach Gras und Erde. Und nach uns. Ein Duft, dem wir uns lustvoll hingeben. Nachher liegen wir noch eine Weile bewegungslos da, genießen den Wolkenbruch auf unseren verschwitzten Körpern, spüren jeden einzelnen Tropfen, der auf unserer Haut zerplatzt. Als wir zu frieren beginnen, laufen wir zurück zum Auto, um uns abzutrocknen. Aus Übermut setze ich mich ans Steuer, so wie ich bin. Nackt. Das Mädchen lacht und lässt sich in den Beifahrersitz fallen. Auch nackt. Beschwingt fahren wir los, inzwischen ist es dunkel.

Nach einigen Kilometern blinken blaue Lichter vor uns. Eine Straßensperre? Tatsächlich, Polizeikontrolle. Wir werfen uns einen Blick zu, eher amüsiert, als erschrocken. Kann man unsere Situation erklären? Ich bringe den Wagen zum Stehen. Zwei Uniformen mit Pistolen am Gürtel kommen auf uns zu. Regungslos bleiben wir sitzen. Einer der Männer macht mir ein Zeichen, das Fenster zu öffnen. Sekunden später blendet mich ein greller Lichtkegel. Doch nur kurz, dann lassen die Carabinieri das Licht ihrer Taschenlampen über unsere nackten Körper wandern. Nicht kurz, sondern ausführlich. Was sie sagen, verstehe ich nicht. Aber ich spüre ihre Verlegenheit. Unsere auch. In mir schwirren diffuse Gedanken umher, einer krallt sich ein. Es gibt wohl kein Gesetz, das das Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Bekleidung unter Strafe stellt. Sogar im (damals) prüden Italien nicht. Daran hatte der Gesetzgeber nicht gedacht. Sind wir ein öffentliches Ärgernis? Im geschlossenen Wagen kann von öffentlich keine Rede sein. Was dann? Damit sind auch die Carabinieri überfordert.

Die beiden Uniformen tuscheln, einer holt den Vorgesetzten. Wieder die Taschenlampe. Ein grimmiger Blick, dann ein Befehl: »Aussteigen.« Das gilt für uns beide. Einer der Polizisten flüstert dem Commandante etwas ins Ohr. Eine nackte Frau, nachts, mitten auf der Straße? Schon nähert sich von hinten ein anderer Wagen. Jetzt flüstern alle drei nervös, wieder werden Schultern gezuckt, Köpfe geschüttelt. Das Auto hinter uns bleibt stehen.

Der Commandante dreht sich zu mir, sein Gesicht ist noch grimmiger. Er zögert kurz, dann macht sein Arm eine unwirsche Geste: »Weg mit euch.«

Lachend fahren wir los. Mit einem Schluck aus der Rotweinflasche feiern wir unseren Sieg.

Odyssee eines Unvernünftigen

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