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Während ich Richtung Siegestor gehe, schließt sich das Zeitfenster der Erinnerung. Heimtückisch, wie sie ist, holt mich die Gegenwart ein. Unvermittelt taucht in meinen Synapsen die Frage auf, ob ich in Buchläden jemals einem dieser Wunderwesen weiblicher Gattung begegnet bin, die sich so gerne in die Fantasien der Männer einschleichen. Woody Allen meint, dass sich die begehrte Spezies bevorzugt in Museen aufhält.

Eine Erfahrung, die ich nicht teilen kann. Außerdem sind Museen anstrengend. Das liegt an den großen, offenen Räumen. Mein nackter, haarloser Hinterkopf, den man etwas verfrüht Glatze nennt, ist hier den Blicken kunstsinniger Frauen schutzlos preisgegeben. Diesen Anblick kann ich ihnen nicht zumuten.

Jeder Besuch eines dieser Kunsttempel wird so für X zu einem gefährlichen Seiltanz, bei dem er lässige Nonchalance mit höchster Aufmerksamkeit verbinden muss. Ständig muss er auf der Hut sein, dass ihn Frauen höchstens im Profil, keinesfalls aber von hinten sehen. Die Geometrie der Blicke zu beherrschen, erfordert enorme Konzentration. Winkel müssen berechnet, plötzliche Bewegungen oder Kopfwendungen einkalkuliert werden. All dies mit den eigenen Schritten und Gesten zu koordinieren, ist Präzisionsarbeit.

Leider ist diese für eine Kontaktaufnahme unerlässlich. Lange vor dem ominösen ersten Satz schlendert X deshalb in unmittelbarer Nähe der bewussten Dame auf und ab, um sich beiläufig ein Bild vom Objekt seiner Begierde zu machen. Er gibt vor, die Inschriften auf den Tafeln zu lesen, wechselt öfter die Distanz zu den Exponaten, um tief gehendes Interesse, vielleicht sogar Sachverstand vorzutäuschen. Die Werke dabei auch noch zu würdigen, wäre vermessen. Doch selbst wenn es ihm gelingt, den weiblichen Blick von hinten zu verhindern, ist es damit nicht getan. Denn den entscheidenden Schritt hat er noch vor sich.

Eine Frau anzusprechen, im Umfeld zeitgenössischer Kunstobjekte, die einen ständig beobachten, ist ein delikater Akt. Jeder Satz stört die andächtige Stille. Der Vorgang verlangt äußerste Sensibilität.

»Entschuldigen Sie bitte, wie finden Sie eigentlich das Fett bei Beuys? Vielleicht etwas zu strukturell?«

»Die Idiosynkrasie der Spirale bei Mario Merz? Vielleicht zu penetrant?«

»Der lautlosen Schrei bei Bacon? Zu formal-expressiv?«

Die Reaktion: ein ratloser Blick.

»Der mediale Hype um Jeff Koons, nur monetär gesteuerte Hybris?«

Ein Achselzucken, das flieht.

Günstiger sind die Chancen, wenn die Dame einen dieser unverschämt schweren Kataloge mit sich schleppt. In diesem Fall kann man wenigstens den Wunsch äußern, kurz nachlesen zu dürfen, was sich der Künstler aus Shanghai dabei gedacht hat, uns hier einen Haufen Müll vor die Füße zu werfen.

X muss gestehen, besonders erfolgreich waren seine Museumsbesuche bisher nicht. Obwohl er immer wieder die unterschiedlichsten Damen in Gespräche verwickelt hatte: eine lesbische Therapeutin aus Nebraska, eine meditierende Heilpraktikerin aus Linz und die Witwe eines Großbäckers aus Kassel.

Doch nie gelang es ihm, bei diesen Begegnungen die erhoffte Resonanz der Energiefelder zu erspüren, den coup de foudre zwischen Baselitz und Basquiat.

Dankbarere Ziele sind Studienrätinnen. Sie haben, warum auch immer, eine Anmutung nie gestillter Sehnsucht. Doch bei Beuys oder Twombly findet diese selten Resonanz. Dann lieber in die Alte Pinakothek, zu den Erdkundelehrerinnen aus Passau oder den Kunsterzieherinnen aus Graz. Wie man weiß, hat Österreich eine ganz eigene Tradition der Lust.

Doch wo soll es geschehen, welches Meisterwerk könnte X zur Kontaktaufnahme stimulieren? Die molligen Leiber von Rubens, die blassen Todesengel von Goya? Oder drastische Endzeitfantasien des Mittelalters?

»Wenn er heute gelebt hätte, hätte Breughel Horrorfilme gedreht, glauben Sie nicht? Und Bosch hätte das Drehbuch geschrieben!«

Pause.

»Ist das nicht eine aufregende Vorstellung?«

Die Dame mit den provozierend kleinen Pobacken sieht mich an wie einen Callboy aus Island und flieht in den nächsten Saal. Geschieht mir recht. Vielleicht sollte man vor Kunst einfach verstummen. Oder ehrlich sein, gnadenlos ehrlich.

»Verzeihung, aber Sie sind die schönste Frau, die je vor diesem Bild gestanden hat. Man sollte Sie malen, rahmen und aufhängen.«

Pause. Ein leerer Blick.

»Ich meine hier, neben den großen Meistern.«

Pause. Ohne Blick.

»Perdon, no speak Aleman.« Und weg ist sie.

Anstatt wenigstens ein gebrochenes Englisch zu riskieren, die Flucht zu Caravaggio. Als ob das eine Lösung wäre.

Das Geheimnis der Frauen verfolgt mich schon ein ganzes Leben. Wahrscheinlich ist es nicht zu lösen. Wer es löst, zerstört es.

In der Verfolgung von Träumen bin ich Spezialist. Vielleicht wäre Neugierde die bessere Bezeichnung. Neugierde stimuliert, aber man wird unvorsichtig. Wenn man sich Fantasien hingibt, wird der Verstand ausgeschaltet. Meiner jedenfalls, das konnte ich immer wieder beobachten.

Odyssee eines Unvernünftigen

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