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Es begann in einer Villa am Starnberger See. Ich war zum Essen eingeladen und durfte einen exquisiten Wein verkosten. Leider war an diesem Tag meine Stimmung dem Jahrgang nicht angemessen. Es war die Zeit, als sich die Sowjetunion aufgelöst hatte und man ständig Berichte über das Elend lesen konnte, das jetzt in Russland herrschte. Diese Bilder hatte ich im Kopf, als ich das Glas in die Hand nahm. Luxus hier, Armut dort. Die einen verhungern, die anderen genießen. Die einen haben nichts, die anderen von allem zu viel. Damit kam ich an diesem Abend nicht zurecht. Meine Gastgeberin hatte Verständnis für mein Unbehagen. Doch war es berechtigt? Was hätten wir tun können? Da ich auf ihren Einwand nichts Sinnvolles entgegnen konnte, fühlte ich mich noch unwohler. Das Gespräch versiegte. Stumm saßen wir da, unzufrieden mit uns und der Welt.

Doch dann drängte sich plötzlich eine Idee in mein Gehirn: ein Hilfstransport! Wir sammeln Hilfsgüter und bringen diese nach Russland.

Meine Gastgeberin sah mich an, schweigend. Dann, ein leises Lächeln. »Und wer soll das organisieren?«

»Wir.«

Das Lächeln verschwindet.

Ich lasse nicht locker. »Ein Transport mit Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidern.«

»Aber wie?«

Darauf hatten wir keine Antwort. Also fingen wir ohne an.

An diesem Abend keimte die Idee. Sie war der erste Schritt, dem schnell andere folgten. Kaum hatten wir Freunden und Nachbarn von unserem Vorhaben erzählt, bekamen wir Unterstützung. Bald waren wir viele Köpfe, die dachten, wir waren viele Herzen, die sich für ein gemeinsames Ziel öffneten. Ein kleines Wunder. Jeder nutzte sein persönliches oder berufliches Netzwerk, um etwas beizusteuern. Der Enthusiasmus der Leute war erstaunlich. Von allen Seiten kamen Geld- und Materialspenden. In kalten Nächten sortierten reiche Frauen gespendete Kleider, in einem Lagerschuppen, tagelang. Eine Firma aus der Region lieferte Arzneimittel und Babynahrung, eine andere Anoraks und Stiefel, stapelweise. Sogar ein Lkw für den Transport wurde uns kostenlos zur Verfügung gestellt.

Erstaunlich, was Menschen auf die Beine stellen können, wenn sie sich mit Fantasie und Elan einbringen. Und mit Freude. Selten habe ich bei minus zehn Grad so viele strahlende Gesichter gesehen, wie an den Tagen und Nächten, in denen wir unseren Transport zusammenstellten. Am Ende kamen so viele Sachspenden zusammen, dass wir noch vier zusätzliche Lastwagen anmieten mussten, um alles unterzubringen.

Aber wer sollte die fahren? Daran hatten wir nicht gedacht. Niemand aus dem Helferkreis hatte einen Lkw-Führerschein. Wer würde auf das Weihnachtsfest im Kreis der Familie verzichten, um ins ferne Russland zu fahren? Um im tiefsten Winter mit einer Kolonne von Lastwagen die Karpaten zu durchqueren?

Doch auch dieses Problem löste sich. In überraschend kurzer Zeit standen uns genügend Fahrer mit nötigen Begleitern zur Verfügung. Nicht notgedrungen, sondern mit Freude.

Kurz vor Weihnachten war es soweit: Unser Konvoi war abfahrtsbereit. Er war viel größer, als ursprünglich geplant. Fünf bis zum Dach vollgeladene Lastwagen, dazu ein VW-Allradbus als Begleitfahrzeug, den die örtliche Niederlassung zur Verfügung gestellt hatte. Die Abfahrt wurde ein lokales Ereignis. Die Presse machte Fotos, die Fahrer verabschiedeten sich von ihren Familien. Noch lange sahen uns die Zurückgebliebenen nach und winkten. Ihre Gesichter strahlten.

Die erste Etappe führte uns über Österreich und Polen bis zur russischen Grenze. Am Heiligen Abend gegen neunzehn Uhr kamen wir an, es war längst dunkel. Unser Dolmetscher erledigte die Formalitäten, ich war auf längere Wartezeiten eingestimmt. Doch die Russen waren kulant, es ging schnell weiter. Nach der Grenze machten wir halt, wir waren müde. In einer Bucht neben der Straße bauten wir das Zelt auf, das unser Lager werden sollte.

Dann die festliche Überraschung: Einer der Fahrer zerrt einen Sack mit Weißwürsten hervor. Um diese zuzubereiten, hat er heimlich einen riesigen Bottich auf der Ladefläche verstaut. An die erforderliche Menge an Bier hat er natürlich auch gedacht. Der dampfende Kessel voller Würste im tiefen Schnee – ein Bild, das mir gefällt.

Für Bayern sind Weißwürste nichts Besonderes, für Russen schon. Also gehe ich zurück zum Schlagbaum. Mein gestenreicher Versuch, die Zollbeamten einzuladen, ist erfolgreich. Sie überlegen nicht lange, schließen die Grenze und kommen mit. Minuten später sitzen wir zusammen im Zelt. Mit Worten können wir uns nicht verständigen, das ist auch nicht nötig. Würste und Bier sind gute Dolmetscher. Wir essen, trinken und hören Weihnachtslieder aus dem Kofferradio. Ein großartiger Abend. Vielleicht kein heiliger, aber ein Fest der Freude, trotz klirrender Kälte. Doch die spüren wir nicht. Wir erleben, was es heißt, Mensch zu sein, ohne Vorurteile, ohne Urteile. In dieser Nacht sind wir eine Familie, die fremden Russen und wir, die Fremden aus Bayern.

Als wir einschlafen, wird uns bewusst, wir alle leben zusammen in einer Welt, der einzigen, die wir haben. Davon sprachen auch die Astronauten, als sie vom Mond aus die Erde aufgehen sahen. Auf dieser waren keine Grenzen zu sehen. Die machen wir Menschen selbst.

Einer unserer Fahrer sagte später, es sei das schönste Weihnachtsfest seines Lebens gewesen. Er hatte Tränen in den Augen.

Odyssee eines Unvernünftigen

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