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1.Gemeinschaftsrecht

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251Das IPR des Wirtschaftsverkehrs wird in den Mitgliedstaaten der EU mehr und mehr von Verordnungen und Richtlinien dominiert. Nachdem sich die Rechtsangleichung lange Zeit auf das materielle Vertragsrecht konzentrierte, besitzt die EU inzwischen weitreichende Kompetenzen auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Sie sind niedergelegt in Art. 81 AEUV, dessen Absatz 2 die betreffenden Teilgebiete aufzählt.

252a) Vorbemerkung: Verordnung und Richtlinie. Verordnungen gelten in allen Mitgliedstaaten unmittelbar. Es bedarf keines Umsetzungsakts auf nationaler Ebene.2 Dementsprechend verweist Art. 3 S. 1 EGBGB schlicht auf die zum internationalen Vertrags- und Deliktsrecht ergangenen Rechtsakte. Verordnungen sind auf dem Gebiet des IPR das bevorzugte Rechtsetzungsinstrument, da sie sofort mit ihrem Inkrafttreten ohne Weiteres gemeinschaftsweit einheitliches Recht schaffen. Richtlinien bedürfen hingegen der Umsetzung durch einzelstaatliche Gesetze, vgl. Art. 288 AEUV. Sie dienen nicht der Vereinheitlichung, sondern nur der Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten. Zu jeder Richtlinie sind daher 27 Umsetzungsgesetze zu beachten, was z. B. bei der „Binnenmarktklausel“ des Art. 3 IV Rom I-VO eine Rolle spielt.

253b) Rom I, Rom II und Rom III Verordnung. Die zentrale Rechtsquelle des internationalen Schuldvertragsrechts ist die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO). Sie ist an die Stelle des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ) von 1980 getreten, das seinerzeit in Rom als sog. begleitendes Gemeinschaftsrecht geschlossen wurde, vgl. Art. 24 Rom I-VO. Die Rom I-VO gilt für Verträge, die seit dem 17.12.2009 geschlossen wurden.3 Das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist in der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) vereinheitlicht, die seit dem 11.1.2009 gilt. Sie ist mit Blick auf die Anknüpfung vorvertraglicher Schuldverhältnisse oder die Abwehr missbräuchlicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch grenzüberschreitende Verbands-Unterlassungsklagen für das internationale Wirtschaftsvertragsrecht von Interesse.4

254Nach Art. 25 Rom I-VO und Art. 28 Rom II-VO bleiben bestehende Staatsverträge, an denen Nichtmitgliedstaaten beteiligt sind, unberührt. Nur, soweit an einem kollisionsrechtlichen Staatsvertrag ausschließlich Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind, beanspruchen die Rom-Verordnungen Vorrang. Neue Abkommen mit Drittstaaten fallen grundsätzlich in die Kompetenz der Union, die sie allerdings in Einzelfällen wieder auf einzelne Mitgliedstaaten zurückverlagern kann.5

Die Verordnung (EU) 1259/2010 (Rom III-VO) ist seit dem 21.6.2012 in Kraft und regelt das internationale Scheidungsrecht. Ferner gibt es Kommissionsvorschläge für eine Rom IVa und IVb-VO, die das Ehegüterrecht und das Güterrecht eingetragener Lebenspartnerschaften (ELP) regeln sollen,6 die bisher nicht weiter verfolgt worden sind. Des Weiteren ist seit dem 17.8.2015 die Erbrechtsverordnung (EU) 650/2012 zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses anwendbar.

255c) Richtlinienkollisionsrecht. Kollisionsnormen, die für das IPR der Schuldverträge relevant sind, finden sich u. a. in verschiedenen Richtlinien zum Verbrauchervertragsrecht. Sie sind dort als Annex zur jeweiligen Sachregelung aufgenommen worden, um den Harmonisierungserfolg und den darin begründeten Verbraucherschutz gegen eine nach dem Grundsatz der Parteiautonomie in der Regel zulässige Rechtswahl zugunsten drittstaatlichen Rechts abzusichern. Weist der betreffende Verbrauchervertrag einen „engen Zusammenhang“ mit dem Gebiet eines Mitgliedstaats auf, so sind die Umsetzungsvorschriften dieses Mitgliedstaats ungeachtet der Wahl eines drittstaatlichen Rechts gleichwohl anzuwenden. Diesem Regelungskonzept entsprechende eigenständige Kollisionsnormen enthalten die Richtlinien 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf, 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge sowie 2008/122/EG über Teilzeitnutzungsverträge. Diese Kollisionsnormen bleiben neben der Rom I-VO anwendbar, vgl. Art. 23 Rom I-VO, weshalb Art. 46b EGBGB geschaffen werden musste. Die Richtlinie 2011/83/EU, die in Deutschland zur Abänderung der Regelungen zum Haustürgeschäft und Fernabsatz am 13.6.2014 führte, enthält keine eigene Kollisionsnorm.

256Soweit rechtsangleichende Richtlinien auf dem Gebiet des Vertragsrechts keine Kollisionsnormen enthalten, kommt die Durchsetzung ihrer sachrechtlichen Schutzvorschriften nach Maßgabe des „Ingmar“-Urteils des EuGH in Betracht.7 Dort hat der EuGH ungeachtet der Wahl kalifornischen Rechts einen in der Handelsvertreterrichtlinie8 vorgesehenen Ausgleichsanspruch zuerkannt und zur Begründung auf den starken Bezug des Vertrages zur Union sowie den Schutz des Handelsvertreters und das Erfordernis der Wettbewerbsgleichheit verwiesen, obwohl keine ausdrückliche Kollisionsnorm vorhanden war. Insofern ist infolge der Rspr. bei Vorliegen eines starken Bezuges des Vertrages zur Union bei solchen Richtlinien die Anknüpfung an den Mindeststandard des Unionsrechts zwingend.9

257d) EuGVVO. Auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts ist seit dem 10.1.2015 die Verordnung (EU) 1215/2012 (EuGVVO oder Brüssel Ia-VO) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Kraft. Sie steht im Wesentlichen in einer Reihe mit der vorigen gleichnamigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel I-VO) von 2002 und des Brüsseler Übereinkommens (EuGVÜ) von 1968.10 Mit der Neufassung der EuGVVO haben sich u. a. Änderungen im Bereich der Anwendbarkeit und der Vollstreckung ergeben (näher Kapitel 3, § 1). Des Weiteren ist die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-VO) über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung durch die Verordnung (EU) 2019/1111 (Brüssel IIb-VO) durch Regelungen zur Behandlung von internationalen Kindesentführungen wesentlich ergänzt worden.

258e) Sonstige Rechtsakte. Zu beachten sind ferner Rechtsakte zu verfahrensrechtlichen Fragen – etwa die Verordnung Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (EuZVO) und Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme (EuBVO). Die praktisch bereits relevanten Verordnungen Nr. 1896/2006 über das europäische Mahnverfahren (EuMahnVO) und Nr. 861/2007 über die Durchsetzung geringfügiger Forderungen (EuBagatellVO) schaffen schon ein eigenständiges europäisches Erkenntnisverfahren. Im Bereich der Vollstreckung ist die Verordnung Nr. 805/2004 über Vollstreckungstitel unbestrittener Forderungen (EuVTVO) zu beachten, bzw. §§ 1079 f. ZPO.

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