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Tag 120

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26. Juni 2014

Rüdiger Mölle, 42, Sprengstoffsachverständiger des LKA Bayern, der ein Gutachten zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse erstellt hat.

Mölle Ich erhielt im April des vergangenen Jahres den Auftrag. (Er kommt nach vorne, um Bilder zu zeigen. Zu sehen ist zunächst der Grundriss des Hauses in der Probstei gasse, dann Fotos, die Beamte nach der Explosion gemacht haben.) Blicken wir zunächst in den Aufenthaltsraum, hier zeigt sich ein Bild der Verwüstung, Querbalken wurden aus der Wand gerissen, einer wurde sogar geknickt. Betrachten wir näher das Sprengzentrum: Hier sehen wir an dem Schreibtisch eine Ausstanzung, da kann man recht sicher davon ausgehen, dass sich hier der Sprengsatz befand. Auf dem rechten Bild sehen wir eine ähnliche Perspektive, wenngleich das die ist, die Frau M. zum Zeitpunkt der Explosion gehabt haben muss.

Im Verkaufsraum war die größte Beschädigung an der Fensterscheibe, die zersplitterte. Betrachten wir die Splitterverteilung. Ein Messingnippel wurde von dem Aufenthaltsraum bis in den übernächsten Hinterhof katapultiert. Kommen wir zum Aufbau der Sprengvorrichtung: Die Stollendose diente als Umverpackung, als Tarnung. Die Gasflasche war eine für Schweißarbeiten verwendete Stahlflasche, in der sich Sauerstoff befindet. Das Ganze ist massiv, wiegt ein bis zwei Kilogramm in leerem Zustand. Als Füllung haben wir Schwarzpulver, dann eine Zündeinleitung, das war eine elektrische. Sie brauchen zwei Kabel, die ins Innere der Flasche führen, die ins Schwarzpulver eintauchen und dann über eine Brücke umgesetzt werden. Wir kommen auf eine Füllmenge von einem bis 1,3 Kilogramm Schwarzpulver. Es ist wahrscheinlich, dass der Konstrukteur noch einen Sicherheitsschalter außen angebracht hat, denn er musste ja die Dose selbst schließen, und das ist sehr gefährlich. Uns hat sich auch die Frage gestellt, warum ist die Sprengvorrichtung nicht sofort im Moment des Deckelanhebens explodiert? Frau M. konnte noch um den Tisch herumgehen. Uns kam eine plausible Erklärung: Es wurde im Asservatenverzeichnis erwähnt, dass sechs Akkus gefunden wurden, wovon fünf bereits entleert waren und einer noch Restspannung aufwies. Es gab offenbar eine Batteriehalterung, die waren dann in Reihe geschaltet und hatten eine maximale Spannung von neun Volt. Der Korb stand mindestens vier Wochen unangetastet im Raum. Wir haben da meist irgendwelche Kriechströme, und Akkus generell haben nie die maximale Spannung. Das alles legt den Schluss nahe, dass, als der Deckel angehoben wurde, zwar die Zündeinleitung initiiert wurde, aber durch den Stromkreis zu wenig Spannung anlag.

Nun kommen wir zu den Auswirkungen: Eine große Gefahrenquelle ist die direkte Druckwelle, da gibt es Druckwerte, wo der menschliche Körper mit Verletzungen reagiert. Bei 350 Millibar, wenn der auf ein Trommelfell trifft, dann zerbersten in der Regel die Trommelfelle. Eine weitere Grenze ist ein Überdruck von 2,5 bar. Wenn der auf den Körper auftrifft, dann führt das oft zu tödlichen Lungen- oder Herzquetschungen. Bei Schwarzpulver lässt sich die Richtung der Druckwelle nicht vorhersehen, je nachdem, wie der Behälter zerplatzt. Die Stärke der Druckwelle nimmt in der Entfernung stark ab. Bei einer Entfernung von geschätzt einem Meter ist ein Druck von 2,5 bar nicht mehr gegeben. Frau M. hatte sich etwas wegbewegt, ihr Kopf war etwa einen Meter und ihr Körper noch etwas weiter entfernt. Hätte sie jetzt im Moment der Explosion die Dose direkt am Körper gehalten, dann hätte auf jeden Fall allein aufgrund der Druckwelle absolut akute Lebensgefahr bestanden.

Die zweite große Gefahrenquelle ist der Trümmer- und Splitterflug. All diese Splitter werden durch die Explosion extrem beschleunigt. Typische Geschwindigkeiten sind durchaus 300 Meter pro Sekunde oder 1000 Kilometer pro Stunde, da muss man kein Physiker sein, um sich zu vergegenwärtigen, dass die Wirkung fatal ist, wenn einen so ein Splitter trifft. Die Energie des Messingnippels lag über dem einer Pistolenkugel einer 9-mm-Pistole. Wenn der auf einen menschlichen Körper trifft, wird er mit großer Sicherheit dort eindringen und kann schwere bis tödliche Verletzungen hervorrufen. Akute Gefahr gab es auch im Bereich des Verkaufsraums wegen der zerborstenen Scheiben und der scharfen Kanten der durch die Luft geschleuderten Splitter. Es befand sich auch ein großes Käsemesser im Verkaufsbereich, das durch den Raum geschleudert wurde. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Durch die vom Konstrukteur sicher nicht gewollte Verzögerung bei der Explosion konnte sich Frau M. vom Schreibtisch wegbewegen und nach unten beugen. Dadurch wurden der Hauptdruck, die Splitter und auch die Hitze lebensrettend von der Tischplatte abgehalten. Hätte sie direkt davor gestanden, hätte es für Frau M. vermutlich kaum eine Überlebenschance gegeben.

Der NSU Prozess

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