Читать книгу Der Weg der Schwalbe - Thomas Fischer - Страница 14

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97 Minuten vor Sonnenaufgang

Sein Sturz schien eine halbe Ewigkeit zu dauern; dabei vergingen nur Sekundenbruchteile, bevor er mit dem Gesicht zuerst die Wasseroberfläche durchbrach und an die Stelle der Dunkelheit der Nacht absolute kalte Finsternis trat. Ein Strom aus Luftblasen entwich aus seinem Mund, als er einen Schrei ausstieß, den nur er selber hören konnte; verzerrt und erstickt von dem pechschwarzen Wasser, das sich sofort wieder über ihm geschlossen hatte. Panik durchfuhr ihn. Luft! Er brauchte Luft! Wild ruderte er mit Armen und Beinen, ohne zu wissen, wo oben und unten war. Seine Lungenflügel zuckten in dem vergeblichen Versuch, Sauerstoff anzusaugen. Luft! Rasende Angst erfüllte ihn, als ihm klar wurde, dass er seinen Atemreflex nicht mehr lange würde unterdrücken können.

Obwohl seine Bewegungen durch den Widerstand des Wassers stark verlangsamt waren, durchfuhr ein scharfer Schmerz seinen linken Arm, als er mit der Hand gegen einen Stein stieß. Der Grund! Das musste der Grund sein! Er strampelte, um seine Beine unter seinen Körper zu bringen. Das Brennen in seiner Lunge war jetzt unerträglich. Dann endlich, nach der Ewigkeit einiger Wimpernschläge, spürte er das weiche Sediment unter seinen Sohlen und stieß sich ab.

Er tauchte rund fünfzehn Meter entfernt von der Stelle auf, an der er in den Fluss gefallen war. Sein Herz raste, während er mit weit aufgerissenem Mund nach Luft schnappte. Der Fluss! Wie hatte er den Fluss vergessen können? Seine Stiefel schienen ihm schwer wie Findlinge, während er mit ihnen Wasser trat, um nicht wieder unterzugehen. Gehetzt sah er um sich. Der Wasserlauf schlängelte sich am Waldrand entlang. An der Stelle, an der er sich jetzt befand, war der Fluss vielleicht acht Meter breit. Ein paar kurze, kräftige Schwimmstöße später hatte er die Böschung erreicht und zog sich mit letzter Kraft an der Wurzel eines Baumes, der vom Wasser unterspült worden war, an Land.

Für einen Moment lag er zitternd im Regen, während die Panik allmählich ein wenig nachließ und seine immer noch schmerzenden Lungen Sauerstoff in seine Blutbahnen pumpten. Atmen. Einfach nur atmen. Über dem Rauschen des Wassers und seinem Keuchen war in der Ferne das Rattern einer Maschinenpistole zu hören. Es galt nicht ihm, das wusste er jetzt. Aber das machte es keinen Deut besser.

Trotzdem musste er verschwinden. Er rappelte sich auf und verlor beinahe das Gleichgewicht, als ihn die schnelle Bewegung für einen Augenblick schwindlig machte, doch er stützte sich gerade noch rechtzeitig mit ausgestrecktem Arm gegen den Baum, und kurz darauf hatte er sich wieder gefangen. Er warf einen letzten Blick zurück in die Dunkelheit, aus der er gekommen war. Noch einmal holte er tief Luft, bevor er entschlossen die wenigen verbleibenden Schritte in den Schutz der Bäume zurücklegte. Binnen Sekunden hatte ihn der Wald verschluckt.

Der Weg der Schwalbe

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