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Die Sonne war untergegangen, und nur ein leichter goldener Schimmer zeichnete noch die Hügelkämme nach, als Greta und Bonaventure durch das Dorf zu Jean-Maries Haus gingen. Aus den Hütten und Häusern, die das Beben überstanden hatten, hörten sie Töpfe und Geschirr klappern, hin und wieder wehte der Duft von Bohnen und Maniokbrei durch die kühle Abendluft. In der Ferne bellte ein Hund. Greta hatte sich bei Bonaventure untergehakt – etwas, das sie selten tat. Ehepaare trugen ihre Verbundenheit nur selten zur Schau, und Greta und Bonaventure machten da keinen Unterschied. Manchmal fragte sich Greta, woran es lag, dass in ihrem Land Freunde selbstverständlich Hand in Hand gingen, Mann und Frau sich in der Öffentlichkeit aber mit dem Kundtun von Zuneigung eher zurückhielten. Eine überzeugende Antwort darauf hatte sie nie gefunden – ebenso wenig wie auf die Frage, ob sie selbst den Mut aufbringen würde, mit der Tradition – denn darum handelte es sich wohl – auch im hellen Tageslicht zu brechen.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, unterbrach Bonaventure ihre Gedanken.

Greta sah zu ihrem Mann auf. Bonaventure hatte ihr von seinem frustrierenden Tag in der Hauptstadt und seinem Besuch bei Monsieur Gérard berichtet. Dessen Worte hallten seitdem wie ein Echo, das von Steilwand zu Steilwand hin- und hergeworfen wurde, unaufhörlich in seinem Kopf nach.

Nicht wenige sagen, Sie seien selbst ein Rebell.

Während der ganzen dreistündigen Rückfahrt mit dem Minibus in das Dorf hatte Bonaventure das Gefühl gehabt, dass die anderen Passagiere ihn beobachteten, dass ihm sein Makel wie ein Kainsmal auf die Stirn geschrieben stand.

„Der Krieg hat einen tiefen Graben durch das Land gezogen“, sagte Greta leise. „Es wird Generationen brauchen, bis die Menschen einander nicht mehr in die einen und die anderen einteilen.“ Sie blieb stehen, zog Bonaventure herum und sah ihm fest in die Augen.

„Du hast dir nichts vorzuwerfen. Du warst der Fahrer eines guten Mannes. Und bist selbst ein guter Mensch“, fügte sie sanft hinzu.

„Bin ich das?“

Niemand kennt mich so gut wie du. Aber du weißt nicht alles.

In Bonaventures Blick lag etwas, das Greta noch nie bei ihrem Mann gesehen hatte.

„Ich kann meine Familie nicht mehr ernähren. Ich kann euch nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf bieten.“

„Bonaventure, es war ein Erdbeben“, sagte Greta mit ruhiger Stimme. „Niemand kann das verhindern. Nicht einmal du bist so stark.“

„Aber ich hätte mir eine neue Arbeit suchen können. Als noch Zeit dafür war.“ Bonaventure wandte sich von ihr ab und sie nahmen ihren Weg durch das Dorf wieder auf. „Es war kein Geheimnis, dass der Bischof der neuen Regierung nicht wohlgesinnt war. Jeder wusste das, ich auch.“

„Er wollte helfen, die Spaltung unseres Landes zu überwinden“, erwiderte Greta. „Er gehörte zu den wenigen, die sich trauten, den Mund aufzumachen und die Dinge beim Namen zu nennen.“

„Und wohin hat ihn das gebracht? Wohin hat es uns gebracht?“ Bonaventures unerwartete Heftigkeit ließ Greta zusammenzucken. „Glaubst du, ich wäre nicht gewarnt gewesen? ‚Bonaventure, du musst aufpassen‘, haben meine Kollegen immer wieder zu mir gesagt, wenn wir irgendwo auf unsere Chefs warteten. ‚Du musst aufpassen. Du weißt doch, was man sagt: Mitgefangen, mitgehangen.‘ Aber ich habe sie nicht ernst genommen. ‚Der Krieg ist vorbei‘, habe ich zu ihnen gesagt. ‚Niemand wird mehr aus dem Verkehr gezogen, nur weil er seinen Mund aufmacht.‘“ Bonaventure lachte bitter auf. „Wie habe ich mich getäuscht.“

Eine Weile gingen sie ohne zu sprechen nebeneinander her. Der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht zeichnete sich der Weg mit seinen tief ausgewaschenen Furchen und Schlaglöchern vor ihnen ab.

Schließlich beendete Greta das Schweigen. „Der Krieg ist eine Bestie. Und die stirbt nicht so schnell. Noch lange, nachdem die Waffen wieder in den Schränken stehen, lebt er in den Köpfen der Menschen weiter.“

„Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen“, fügte Bonaventure hinzu.

„Und welche Lehren sind das?“, fragte Greta. „Dass wir den Mund halten? Dass wir denen das Wort reden, die am lautesten schreien?“

Bonaventure erwiderte nichts.

„Du hättest dir etwas vorzuwerfen, wenn du den Bischof verlassen hättest“, sagte Greta. „Aber das hast du nicht.“

Erneut schwiegen sie eine Weile.

Als Bonaventure wieder sprach, tat er es so leise, dass Greta ganz genau hinhören musste, um zu verstehen, was er sagte.

„Aber was hilft es mir zu wissen, dass ich das Richtige getan habe, wenn ich keine Arbeit mehr kriege? Wenn ich nicht für euch sorgen kann?“

Was nützt es, das Richtige zu tun, wenn es einen ohne Ausweg zurücklässt?

Vielleicht war es eine Träne, die die Wange des hochgewachsenen Mannes herablief, vielleicht war es aber auch nur das Mondlicht, das für einen flüchtigen Augenblick auf seinem Gesicht glitzerte.

„Sag mir, was hilft es mir dann?“

Dieses Mal antwortete Greta nicht.

Der Weg der Schwalbe

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