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79 Minuten vor Sonnenaufgang

Der Regen hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Das gleichförmige Prasseln wich dem unregelmäßigen Geräusch zahlloser Tropfen, die sich von Baumkronen und Ästen lösten und auf den Waldboden und das Unterholz fielen, das ihn bedeckte. Sonst war es totenstill. Er spürte, wie sich sein Atem weiter beschleunigte. Sein Herzschlag pulsierte in seinen Ohren. Der Mond war nun wieder hinter einer Wolke verborgen, doch nur einen Wimpernschlag zuvor hatte er ganz deutlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrgenommen: auf der Seite seines Verstecks, wo, wie er im Mondlicht für einen kurzen Augenblick hatte erahnen können, eine Lücke im Gestrüpp den Blick freigab, tiefer in den Wald hinein. Wie in Zeitlupe wandte er den Kopf nach rechts. Es roch nach nasser Erde, Moos und dem Erbrochenen zwischen seinen Beinen. Irgendetwas krabbelte über seine linke Hand und ließ ihn kurz zucken. Schließlich blickte er genau in die Richtung, in der er kurz zuvor noch die Bewegung zu sehen geglaubt hatte, doch jetzt war da nur Schwärze. Er hatte seine Augen so weit aufgerissen, dass sie fast schmerzten, und seine Pupillen hatten sich geweitet, um auch noch den letzten Rest von Licht zu erhaschen, doch er hätte ebenso gut blind sein können. Panik griff mit kalten Händen nach ihm, als ihm klar wurde, dass er nichts tun konnte, um die Finsternis, die ihn wie eine schwere Flüssigkeit umgab, zu durchbrechen.

Zunächst ahnte er es eher, als dass er es wirklich hörte. Ein Rascheln und Schlurfen, das gelegentlich für einen Moment aussetzte und dann wieder anhob. Aussetzte und wieder anhob. Und das nach jeder Unterbrechung ein fast unmerkliches Stück lauter wurde.

Näher kam.

Ein Moskito surrte an seinem linken Ohr vorbei, setzte sich auf seinen Nacken und stach ihn knapp unterhalb des Haaransatzes. Er wagte nicht, ihn zu verscheuchen, aus Angst, mit dem Geräusch seine Position zu verraten. In das Rascheln und Schlurfen mischte sich nun gelegentlich das Knacken von brechenden Zweigen. Und dazwischen immer wieder die Pausen, in denen er nichts hörte außer dem Tropfen des Wassers und seinem eigenen Herzschlag.

Das Rascheln und Knacken wurde erneut lauter. Was oder wer auch immer da draußen war, musste jetzt ganz in seiner Nähe sein.

Dann hörten die Geräusche plötzlich ganz auf.

Er ließ seine rechte Hand zitternd am Lauf seiner Kalaschnikow hinabgleiten, vorbei am gekrümmten Magazin, bis er schließlich mit dem Zeigefinger den Abzug ertasten konnte. Mit der linken Hand hielt er weiter den Lauf der Maschinenpistole umklammert. Dann stemmte er die Hacken seiner Stiefel in den nassen Waldboden und richtete sich, den Rücken gegen den Stamm des Urwaldriesen gepresst, lautlos Zentimeter für Zentimeter auf, die Waffe an die Brust gedrückt und den Blick unverwandt auf die Stelle gerichtet, wo die Lücke im Unterholz sein musste.

Sein Atem ging nun so schnell, dass er drohte zu hyperventilieren und das Bewusstsein zu verlieren. Ein feines Rinnsal aus Schweiß lief zwischen seinen Brauen herab und von dort in sein Auge. Er spürte ein leichtes Brennen und blinzelte unwillkürlich.

In diesem Moment gaben die schnell ziehenden Regenwolken wieder den Mond frei. Es war, als hätte jemand eine silberne Kerze im Wald entzündet.

Sein Finger krampfte sich um den Abzug. Keine zehn Meter entfernt von ihm stand eine dunkle Gestalt, die ihm den Rücken zugewandt hatte.

Ein Buschmesser glänzte in ihrer Hand.

Der Weg der Schwalbe

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