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5. Einschätzungs-/Beurteilungsspielraum (Gesetzgeber/Behörde)

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Die Beurteilung, ob ein Gefahrentatbestand vorliegt, der aufsichtsrechtliche Maßnahmen rechtfertigen kann, erfordert nach den vorausgehenden Ausführungen normative Wertungen, in denen nicht zuletzt der Komplexität des Geschehens auf den Finanzmärkten Rechnung zu tragen ist.

Der Gesetzgeber verfügt insofern über eine Einschätzungsprärogative. Er hat die nötigen Wertungen im Gesetz vorweggenommen, etwa indem er den Eingriffszeitpunkt durch entsprechende Normvorgaben nach vorne verlegt hat. Beispielsweise genügt es nach den bestehenden Regelungen, dass Finanzmarktteilnehmer keine ausreichenden Kapitalpuffer aufweisen oder dass sie Derivatetransaktionen nicht über eine Zentrale Gegenpartei ausführen, um den Aufsichtsbehörden die Befugnis zu einem Tätigwerden zu eröffnen. In manchen Fällen räumt der Gesetzgeber aber auch den Aufsichtsbehörden einen Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsebene ein.694 Dies kann dann der Fall sein, wenn das Gesetz konkretisierungsbedürftige Begriffe verwendet. In einem solchen Fall können die zuständigen Behörden kraft einer besonderen Sachkunde das Gesetz in einer Weise, die dem gegebenen Sachverhalt in angemessener Weise Rechnung trägt, anwenden.695

Die Ausgestaltung und Durchsetzung der Regulierung erscheint im Einzelnen abhängig davon, welche rechtspolitischen Annahmen ihr zugrunde liegen. So dürfte sich eine potenzielle Gefahrenlage relativ weitgehend unter der Annahme bejahen lassen, dass die Marktteilnehmer Risiken nach Möglichkeit externalisieren und dass z.B. Moral-hazard-Probleme weit verbreitet sind. Dagegen erscheint regulatorische Zurückhaltung geboten, wenn man die Annahme zugrunde legt, dass die Marktteilnehmer zumindest im Regelfall nur für sie beherrschbare Risiken eingehen wollen und auch Risiken für dritte Marktteilnehmer im Normalfall zumindest nicht anstreben.

669 Z.B. G 20, Declaration at the Summit on financial markets and the world economy, 15. November 2008 (Fn. 593), Tz. 2, Action Plan S. 1ff.; G 20, Leaders, Statement vom 2. April 2009 (Fn. 602), Tz. 14; Leaders, Statement vom 24.–25. September 2009 (Fn. 605), Präambel, Tz. 17; Hauptteil Tz. 10. 670 So Leaders, Statement vom 24.–25. September 2009 (Fn. 605), Hauptteil Tz. 10; G 20 Seoul Summit Document vom 11.-12. November 2010 (Fn. 608), Tz. 27 („reckless and irresponsible risk taking“). 671 So z.B. IOSCO, Risk Identification and Assessment Methodologies for Securities Regulators, FR02/14 Juni 2014; Basel II (Fn. 26), Rz. 10. 672 Erwägungsgründe 1, 11, 15 der VO 575/2013. Makro- und Systemrisiken sollen dabei jedenfalls insoweit relevant sein, wie sich daraus „eine Gefahr für die nationale Finanzstabilität“ ergibt; vgl. Erwägungsgrund 20 der VO 575/2013. 673 Art. 1 Abs. 1 VO 575/2013. 674 Siehe z.B. Art. 17 VO 575/2013 („Risiken, die ihre Finanzlage gefährden“), Art. 320 lit. a und Art. 321 lit. c („Gefährdung durch operationelle Risiken“), Art. 322 Abs. 3 lit. c und Abs. 5 („Gefährdungen“); Art. 181 Abs. 1 lit. h („Möglichkeit unerwarteter Verluste“) und Erwägungsgrund 70 der VO 575/2013 („Gefahr für den Fortbestand des Instituts“). Siehe allerdings auch 458 Abs. 2 VO 575/2013, wo ein konkreter Gefahrentatbestand definiert wird („Erkennt die [...] Behörde Veränderungen der Intensität des Makroaufsichts- oder Systemrisikos mit möglicherweise schweren negativen Auswirkungen auf das Finanzsystem und die Realwirtschaft [...]“). 675 Siehe z.B. Art. 1, 4 Abs. 1, 2, 5 Abs. 1, 2 VO 1024/2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (SSM-Verordnung), ABl. L 287 vom 29. Oktober 2013, S. 63; zu ergänzenden Befugnissen z.B. zur Informationsbeschaffung siehe Art. 9ff. VO 1024/2013; zu Koordinierungsbefugnissen Art. 108 Verordnung 468/2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung), ABl. L 141 vom 14. Mai 2015, S. 1. 676 Art. 1 Abs. 1 VO 600/2014. 677 Siehe insb. Erwägungsgründe 3ff. (Beseitigung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen, Schließung von in der Finanzkrise zutage getretenen Schwachstellen und Lücken hinsichtlich der Transparenz der Märkte); ähnlich insoweit Erwägungsgrund 4 MiFID; ferner insb. Erwägungsgründe 18 (Gefährdung einer „effizienten Kursfestsetzung oder der Schaffung transparenter, gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Handelsformen“), 40 (Gefahr für das „Funktionieren der Märkte“), 46 („Gefahr für den Anlegerschutz, für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität der Finanzmärkte oder der Warenmärkte oder für die Stabilität des gesamten Finanzsystems“) der VO 600/2014 und 5 der RL 2014/65/EU (Fehlen wirksamer institutsinterner Kontrollen und übermäßige und unvorsichtige Übernahme von Risiken sowie dadurch ausgelöste Systemprobleme). 678 Siehe z.B. Art. 35 Abs. 4 lit. b, Abs. 6 lit. c, 36 Abs. 4 lit. b, Abs. 6 lit. c, 40 Abs. 2, 41 Abs. 2 und 8, 42 Abs. 2, 4 und 7, 45 Abs. 2, 3, 10 VO 600/2014; Art. 9 VO 1095/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ESMA-Verordnung), ABl. L 331 vom 15. Dezember 2010, S. 84, und Art. 9 VO 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (EBA-Verordnung), ABl. L 331 vom 15. Dezember 2010, S. 12. 679 Art. 3ff., 31–33, 44ff. VO 600/2014. 680 Art. 1 Abs. 1 VO 648/2012. 681 Erwägungsgrund 1 der VO 648/2012 mit Bezugnahme auf das Fazit des Larosière-Berichts vom 25. Februar 2009 (Fn. 584). 682 Art. 5 Abs. 4 VO 648/2012. 683 Vgl. Art. 4 Abs. 4, Art. 5, 6, 7 Abs. 4–5, 8 Abs. 4–5, Art. 9 Abs. 3–6, Art. 10, 11 Abs. 6–15, Art. 12 VO 648/2012. 684 Art. 14ff., 55ff. VO 648/2012. Weitere Zulassungspflichten bestehen in Bezug auf Datenbereitstellungsdienste, und Veröffentlichungssysteme, siehe Art. 59ff., 64ff. RL 2014/65/EU. Organisatorische Anforderungen bzw. Genehmigungspflichten bestehen ferner für Anbieter konsolidierter Datenticker (CTP) und genehmigte Meldemechanismen (ARM); siehe Art. 65, 66 RL 2014/65/EU. 685 Art. 1 VO 596/2014. 686 Art. 7ff. VO 596/2014. 687 Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 RL 2014/57/EU. 688 Dazu siehe Schäfer in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Fn. 107), § 6 KWG Rz. 7, 20. 689 Dazu Döhmel in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 6 WpHG Rz. 1, 8, 14ff. 690 BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004, 6 C 21/03, Rz. 22ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 29. Mai 2008, 11 LC 138/06, Rz. 44; VG Karlsruhe Urteil vom 28. Juni 2010, 3 K 1823/09, Rz. 24; VG Aachen, Urteil vom 24. Augist 2016, 6 K 79/16, Rz. 67 (ständige Rspr.; jeweils zit. nach Juris); siehe auch Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Abschn. D Rz. 39. 691 Vgl. § 1 Abs. 2 PolG NW, § 2 Abs. 2 PolG BW und die entsprechenden Vorschriften in den anderen Polizeigesetzen, wonach die Polizei grundsätzlich nicht zum Schutz privater Rechte tätig wird. Eine Ausnahme stellt es danach dar, wenn zivilrechtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Eine Ausnahme ist es, wenn zivilrechtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist. 692 Dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017, 6 C 44/16, Rz. 23; BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, 3 C 16/11, BVerwGE 142, 205, Rz. 25, 32 (jeweils zit. nach Juris), wonach, abgesehen von den verfügbaren Informationen, auf die Art und Schwere des zu erwartenden Schadens abzustellen ist. 693 Siehe oben Kap. 2.C.II und III (S. 22 und 27). 694 Dazu BVerwG, Urteil vom 22. März 1979, 7 C 33/78, Rz. 14 (versorgungs- und strukturpolitische Aspekte); Urteil vom 2. April 2008, 6 C 17/07, Rz. 14ff. (zu Marktdefinition und -analyse); Urteil vom 23. März 2011, 6 C 6/10, BVerwGE 139, 226, Rz. 27 (Abwägung gegenläufiger öffentlicher und privater Belange); siehe aber auch Hess. VGH, Urteil vom 29. November 2013, 6 A 1293/13, Rz. 45 (kein Beurteilungsspielraum bezüglich Gefährdung der Kontroll- und Aufsichtstätigkeit im Rahmen von Informationszugangsbegehren) (jeweils zit. nach Juris). 695 Vgl. Thiele (Fn. 570), S. 472ff. (speziell für die Finanzaufsicht).

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