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2. Tatbestandsseite: Risiko als eigenständige rechtliche Kategorie?

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Sofern im Schrifttum rechtlich von „Risikosteuerung“ gesprochen wird, erscheint bereits das zugrunde gelegte Risikoverständnis unsicher. Dabei ist vor allem unklar, welche Merkmale das Risiko als rechtliche Kategorie auszeichnen und wie es sich von der Gefahr abgrenzen lässt.706 So ist zwar vorgeschlagen worden, den Risikobegriff zur Bezeichnung einer von einem potenziellen Störer bewusst in Kauf genommenen Sachlage zu verwenden, während der Gefahrbegriff diese Sachlage aus Sicht des davon Betroffenen beschreiben soll.707 Andere wollen die Gefahr als objektive Gegebenheit betrachten und das Risiko als vom Wissenshorizont des Beurteilenden abhängig.708 Allerdings bleibt offen, was der Mehrwert dieser rein terminologischen Abgrenzungen ist, da in der ordnungsrechtlichen Debatte jedenfalls der Schaden für den Betroffenen beherrschend ist.

Ansonsten stehen sich im Wesentlichen zwei Regelungskonzeptionen gegenüber. Die erste und vorherrschende Konzeption geht von einem Stufenverhältnis zwischen Risiko und Gefahr aus. Diese Konzeption wird im Wesentlichen in zwei Varianten vertreten. In der einen Variante wird je nach Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Höhe des zu erwartenden Schadens zwischen Gefahr, Risiko und Restrisiko unterschieden (sog. dreistufiges Modell).709 Durchgesetzt habe sich zumindest in Deutschland jedoch ein anderer Ansatz, nachdem von Gefahren im Fall der Wahrscheinlichkeit und von Risiken im Fall der Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung gesprochen werde (sog. zweistufiges Modell).710 Das Risiko wird in diesem Fall als umfassendere rechtliche Kategorie angesehen. Diese begreift Gefahren als schadensgeneigte Sachlagen ein, bei denen Abwehrmaßnahmen gerechtfertigt sind, aber auch unbedenklichere Sachlagen, die nur Vorbeuge- oder Vermeidungsmaßnahmen gestatten.

Eine andere Regelungskonzeption geht davon aus, dass sich Gefahren und Risiken ihrem Wesen nach unterscheiden (Risiko als sog. aliud).711 Diese Konzeption beruht auf der Annahme, dass Wahrscheinlichkeiten und Schadenshöhen wertungsabhängig und nicht mathematisch auf Basis empirischer Erfahrungen berechenbar seien. Denn anders als „bei landläufigen Gefahren“ fehlten bei „großen Zvilisationsrisiken“ z.B. aufgrund des Klimawandels, neuer Krankheiten, Terroranschlägen oder globaler Wirtschaftskrisen sichere Erfahrungswerte, oder die Ausgangsbedingungen seien zu komplex.712 Zwischen Risiken und Gefahren müsse daher anhand des Ungewissheitsgrads differenziert werden. Damit wird aus rechtlicher Sicht die ökonomische Unterscheidung zwischen nicht behebbaren Unsicherheiten (uncertainty) und mithilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen behebbaren Ungewissheiten (risk) wieder aufgegriffen.713 Zu weitgehend wird hierbei allerdings teilweise angenommen, der Risikobegriff sei „als prognostisches Gedankenkonstrukt von menschlicher Bewertung abhängig und daher nicht objektivierbar“.714 Wenn dies zuträfe, wäre die Finanzmathematik nur Illusion. Dessen ungeachtet wurde schon zuvor mit Blick auf die Relevanz des Ungewissheitsgrads darauf hingewiesen, dass es für die aufsichtsrechtliche Gefahrenabwehr nur darauf ankommt, ob Informationsdefizite überhaupt bestehen, aber nicht darauf, ob die daraus folgenden Risiken aus unbehebbaren oder behebbaren Informationsdefiziten resultieren. Eine Regelungskonzeption, die auf der Annahme des Risikos als wesensmäßg von der Gefahr unterscheidbarem Regelungsgegenstand aufbaut, bietet für das Finanzaufsichtsrecht folglich keinen Mehrwert.

Im Übrigen kann hier offenbleiben, ob eine Kategorisierung im Sinne einer Stufenbildung außerhalb des Finanzaufsichtsrechts stattfindet und ob sie in der Sache sinnvoll ist.715 Auf das Finanzaufsichtsrecht dürften die Annahmen über eine in der Gesetzgebung verankerte Stufenbildung jedenfalls nicht übertragbar sein oder zumindest ebenfalls keinen Erkenntnisgewinn bringen. Insbesondere ist zu beachten, dass sich aus dem EU-Recht keine Aussagen für das deutsche Konzept der Gefahrenvorsorge herleiten lassen dürften. Das EU-Recht hat auf das nationale Aufsichtsrecht zwar einen sehr starken und zuweilen begriffsprägenden Einfluss. Dabei trifft es aber stets nur Aussagen zu konkreten Regelungsgegenständen und macht den Mitgliedstaaten darüber hinaus keine rechtssystematischen Vorgaben. Wenn sich im nationalen Recht zwischen Gefahren als rechtlichem Tatbestandsmerkmal und Risiken als Sachverhalt unterscheiden lässt, ist das EU-Recht insofern also grundsätzlich auch dann neutral, wenn es selbst den Risikobegriff zur Bezeichnung eines bestimmten Regelungsgegenstands (z.B. Finanzmarktrisiken) verwendet. Davon abgesehen wird der Begriff des Risikos im Finanzaufsichtsrecht zu uneinheitlich verwendet, als dass eine Kategorisierung sinnvoll erscheint.716

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