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4. Verknüpfung: Risiko als Einflussfaktor für Gefahrbeurteilung und für Maßnahmen

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Einzelne Vertreter des Schrifttums haben darauf hingewiesen, dass das Prinzip der Gefahrenvorsorge sich vor allem auf die Verarbeitung von Irrtumskosten auf der Rechtsfolgeseite bezieht. Es komme zu einer Verlagerung von „erfahrungsbezogenen“ Gefahrenabwehr zu einer „ungewissheitsorientierten“ Risikosteuerung vorhandener Risiken (d.h., das Recht werde „reflexiv“).738 Zwar bleibe es (auf Tatbestandsseite) notwendig, das Risiko, das Gegenstand der Gefahrenvorsorge ist, an rechtliche Schutzziele zurückzubinden und eine Folgenbewertung auf der Grundlage vorhandener Kenntnisse vorzunehmen, um so (auf Rechtsfolgeseite) bekannte Risiken zu reduzieren und unbekannten Risiken präventiv zu begegnen.739 Der zu konkretisierende Sachverhalt und die zu ergreifenden Maßnahmen seien aber nicht unabhängig voneinander, sondern stünden je nach Abschätzbarkeit der betreffenden Risiken in einem wechselbezüglichen Verhältnis zueinander.740

Diese Überlegung ist nicht leicht verständlich, erscheint aber zutreffend: Das Vorliegen eines Sachverhalts, der Maßnahmen der Gefahrenvorsorge rechtfertigt, lässt sich aufgrund der Unsicherheit, ob sich ein vorhandenes Risiko zum Nachteil eines Schutzguts verwirklichen wird, nur eingeschränkt beurteilen. Jene Unsicherheit wirkt sich sowohl hinsichtlich der Lagebeurteilung als auch hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen aus. Damit lässt sich auch nur eingeschränkt sagen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um einen effektiven Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Die Unsicherheit erschwert einerseits die Entscheidung darüber, welches Mindestmaß eine Gefahrenvorsorge zum effektiven Schutz bestimmter Rechtsgüter haben muss, andererseits aber auch die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen aufgrund der damit einhergehenden Nachteile für andere Rechtsgüter unverhältnismäßig sind. Es dürfte weiterhin gerade der Umfang der Unsicherheit sein, der die Entwicklung eines maßlosen Präventionsstaats provozieren kann. Denn die zu treffenden Entscheidungen verlagern sich um so mehr auf den zuständigen Amtswalter, je mehr der Gesetzgeber den Vorfeldbereich zu einer Gefahr (auf Tatbestandsseite) offenlässt und je allgemeiner er die zu treffenden Maßnahmen (auf Rechtsfolgeseite) beschreibt. Hiermit eröffnet sich ein ungeregelter Raum, in dem willkürliche Einzelfallentscheidungen möglich werden. Anders ist die Situation dann, wenn der Gesetzgeber für einen – gegebenenfalls weit definierten – Vorfeldbereich konkrete Maßnahmen vorsieht, die unabhängig von der Entwicklung im konkreten Einzelfall umzusetzen sind und die eine durch den Gesetzgeber bestimmte und eindeutige Wirkung aufweisen. Wird auf die tatbestandlich offene Ausgangslage mit solchen Maßnahmen auf Rechtsfolgeseite geantwortet, ist eine willkürfreie Gefahrenvorsorge also durchaus möglich. Die Maßnahmen müssen aber jeweils unter den Gesichtspunkten der Effektivität und insbesondere der Verhältnismäßigkeit austariert sein.

Das Finanzaufsichtsrecht folgt – wie im Einzelnen zu zeigen sein wird – eben dieser Regelungsphilosophie. Denn soweit es um den Umgang mit Risiken geht, die aufsichtsrechtlich bereits erfasst werden, stellt der Rechtsrahmen zwar keine konkreten Anforderungen an die Gefahrnähe, gibt aber gleichzeitig sehr konkrete aufsichtsrechtliche Maßnahmen vor (z.B. Beschränkungen der Geschäftstätigkeit, Kapitalvorgaben, Verhaltenspflichten gegenüber den Kunden), die von der weiteren Lageentwicklung unabhängig ausgestaltet und (aus Sicht des Gesetzgebers) einerseits effektiv und andererseits verhältnismäßig sind. Die beschriebene Regelungsphilosophie kann allerdings auch zugrunde gelegt werden, wenn es um die Vorsorge bei Finanzinstrumenten mit einer neuartigen Risikostruktur geht, die es den Marktteilnehmern ermöglichen, die vorhandene staatliche Regulierung zu umgehen. Unter diesen Umständen droht die Schutzwirkung vorhandener aufsichtsrechtlicher Maßnahmen gegenüber dem gesetzlich intendierten Maße verkürzt zu werden. Damit stellt sich die Frage, wie die verbleibende Regulierung anzuwenden ist, um eventuelle Schutzdefizite zu kompensieren. Bei der Lösungssuche ist auf die Überlegungen dieses Abschnitts zurückzukommen.741

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

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