Читать книгу Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente - Thomas Weck - Страница 169

3. Rechtsfolgeseite: Rechts- oder präventionsstaatliche Funktionslogik?

Оглавление

Ihre eigentliche Bedeutung gewinnt die Debatte um ein Risikosteuerungsrecht, wenn es um die Rechtsfolgen von Risiken geht. Denn die Vorverlagerung staatlichen Handelns im Rahmen der Gefahrenvorsorge bedeutet, dass die Möglichkeiten von Fehlentscheidungen zunehmen. Wenn diese Entscheidungen mit Rechtseingriffen verbunden sind, dann kann der Schaden für die Betroffenen größer sein als der Nutzen erhöhter Sicherheit für die übrige Bevölkerung. Im Kern geht es um die Grenzen, die dem Ordnungsrecht im modernen Rechtsstaat allgemein zu ziehen sind. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt einerseits, dass verfassungsrechtlich anerkannte Schutzgüter in einem Mindestumfang geschützt werden (Untermaßverbot), aber fordert andererseits, dass Rechtseingriffe den gebotenen Umfang nicht übersteigen (Übermaßverbot).

Die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips kollidieren bei Lichte betrachtet mit der Funktionslogik eines auf Effektivität ausgerichteten Risikosteuerungsrechts. Denn absolute Sicherheit ist nur dann denkbar, wenn es keine Risiken gibt. Der Präventionsgedanke führt bei konsequenter Anwendung somit dazu, dass an die Stelle einer durch Verhältnismäßigkeit begrenzten Rechtsdurchsetzung eine unbegrenzte Risikominimierung treten muss.717 Die rechtsstaatlichen Bewertungsparameter verlieren unter diesen Umständen ihre maßstabbildende Kraft.718 Statt dessen kann es dazu kommen, dass der staatliche Schutz der Rechtsgüter, zu deren Gunsten Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden, die uneingeschränkte Oberhand gegenüber dem Schutz anderer Rechtsgüter gewinnt, in die zu diesem Zweck eingegriffen wird. Zugleich wird die Entscheidung immer stärker auf die Beurteilung verengt, welche der zuständige Amtswalter im konkreten Einzelfall zu treffen hat. Die „Nichtgefährlichkeit des Bürgers ist nicht mehr selbstverständliche Normalität.“ Im Gegenteil können Maßnahmen auch anlassunabhängig und mithin unabhängig davon getroffen werden, ob der Bürger zumindest in einer „Nähebeziehung“ zu einer von ihm zu trennenden Gefahrenursache steht.719 Entscheidend ist vielmehr, ob der im Einzelfall entscheidende Amtswalter aus seiner Warte heraus die Möglichkeit sieht, durch die ergriffenen Maßnahmen zur Neutralisierung etwaiger Risiken beizutragen.

Der Wunsch nach einer effektiven Gefahrenvorsorge hat auch in anderen Bereichen des Polizei- und Ordnungsrechts als dem Finanzaufsichtsrecht zu einer erheblichen Vorverlagerung der behördlichen Aufgaben und Eingriffsbefugnisse geführt. Dies lässt sich beispielhaft anhand der polizeilichen Datenerhebung aufzeigen. Zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Befragungsrechten im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungen sind den Behörden hier Befugnisse eingeräumt worden, die Identität von Personen festzustellen, deren Aufenthalt an bestimmten Orten die Annahme rechtfertigt, dass dort Straftaten vorbereitet werden oder dass es aus anderen Gründen zu einer konkreten Gefahr kommen kann.720 Weitergehend sind Maßnahmen wie die Rasterfahndung eingeführt worden, die eine automatisierte Verarbeitung der Daten einer unbestimmten Anzahl von Personen beispielsweise zur Ermittlung terroristischer „Schläfer“ gestattet.721 Noch einen Schritt weiter geht das Land Bayern, das Aufklärungsmaßnahmen und sogar eine elektronische Überwachung von Personen bei einer lediglich „drohenden“ Gefahr für bedeutende Rechtsgüter zulässt.722 Eine drohende Gefahr soll dann vorliegen, wenn sich der zum Schaden führende Verlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, soweit bereits bestimmte Tatsachen auf eine Gefahr im Einzelfall hinweisen.723 Zusammengefasst findet also eine zunehmend verdachts- und ereignisunabhängige Informationssammlung statt, um bei Eintritt einer Gefahrenlage für die Gefahrenabwehr vorbereitet zu sein.724

Die hiermit einhergehende Verlagerung behördlicher Befugnisse ins Gefahrenvorfeld ist umstritten geblieben. Die neuen polizeilichen Befugnisse sind im Schrifttum teilweise mit dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Anspruch der von Straftaten Betroffenen auf eine vorbeugende Bekämpfung gerechtfertigt worden.725 Kritiker wenden hiergegen ein, dass schwere Grundrechtseingriffe etwa zur Identitätsfeststellung oder Überwachung in einem nur vage umgrenzten Gefahrenvorfeld nicht zu rechtfertigen seien.726 Das bayerische Gesetz ist bisher singulär geblieben.727 Das Bundesverfassungsgericht hat aber angesichts der Streubreite von weit im Vorfeld greifenden Maßnahmen auch besondere Grenzen definiert, die den Spielraum für in die Rechte der Betroffenen eingreifende Maßnahmen begrenzen. Danach kann eine allgemeine Bedrohungslage („Dauergefahr“) keine Eingriffe rechtfertigen, die nach ihrem Gewicht eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter erfordern.728 Bei einem noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehbaren Kausalverlauf müssen zudem bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein „überragend wichtiges“ Rechtsgut hinweisen. Zwar wird diese Rechtsprechung wegen ihrer Unbestimmtheit kritisiert.729 Jedoch dürfte eine verfassungsrechtlich zulässige Gefahrenvorsorge danach zumindest davon abhängen, ob es ein schutzfähiges Rechtsgut und eine speziell die betreffenden Maßnahmen rechtfertigende Gefahrenlage (insb. im Fall von Eingriffen in die Rechte Dritter) gibt.730

Diese Anforderungen sollten die Effektivität der Gefahrenvorsorge nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Der Effektivitätsgrundsatz wird vielfach zur Begründung von Präventionsmaßnahmen herangezogen. Dabei bleibt bisweilen unklar, wo dieser Grundsatz rechtlich genau verortet wird und welchen Inhalt er hat.731 Zutreffend erscheint ein Effektivitätsverständnis, wonach rechtliche Effektivität einen Rationalitätsmaßstab für die Verwaltungsorganisation darstellt und sich danach bemisst, ob das Recht in seiner Steuerungswirkung bzw. mit Blick auf die Zielerreichung anwendungswirksam ist.732 Ein solches Effektivitätsverständnis lässt sich für den Gesetzgeber aus der demokratischen Legitimation seines Handelns (Art. 20 Abs. 1, 2 GG) und für die Verwaltung aus deren Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) ableiten.733 Es gestattet insbesondere eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Diese muss von den Anforderungen ausgehen, die das höchstrangige Recht (EU-/Verfassungsrecht) an den Schutz der dadurch anerkannten Rechtsgüter stellt. Der Effektitätsgrundsatz kann dann genutzt werden, um aus den betreffenden Rechtsgütern Kriterien für die Bemessung der zumindest zu ergreifenden Maßnahmen zur Risikoerkennung, Risikobewertung und zum Risikomanagement abzuleiten.734 Die Zulässigkeit der jeweiligen Maßnahmen wird nach außen hin durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt. Dieser steht unverhältnismäßigen Eingriffen in mitbetroffene Rechtsgüter entgegen.

Eine effektive Gefahrenvorsorge ist bei gegebener Unsicherheit realistischerweise nur darauf zu richten, dass Maßnahmen auf absehbare Sicht überhaupt einen Beitrag zur Vermeidung oder Verminderung konkreter Gefahren leisten können und nicht zugleich selbst mit übermäßigen Belastungen einhergehen.735 Wann dies der Fall ist, dürfte in erster Linie der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers unterliegen. In Hinblick auf die Finanzmärkte hat sich der Gesetzgeber für eine im Ganzen sehr weitgreifende und daher auch sehr belastende Gefahrenvorsorge entschieden. Dabei hat er Instrumente gewählt, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008–2012 und früherer Krisen aussichtsreich erschienen.736 Die rechtspolitische Entscheidung zu einer derart umfangreichen Gefahrenvorsorge ist angesichts der schwerwiegenden Folgen, die Finanzkrisen für die Gesamtwirtschaft haben können, nicht per se zu beanstanden, auch wenn sich angesichts der Belastungen für die Marktteilnehmer die Frage stellen kann, ob die Gesetzgebung noch verhältnismäßig ist.737

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

Подняться наверх