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1. Unsicherheiten bezüglich der Gefahrenvorsorge in anderen ordnungsrechtlichen Bereichen

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Im vorangehenden Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass der moderne Rechtsstaat ein Mindestmaß an effektivem Rechtsgüterschutz erfordert. Die Notwendigkeit einer Gefahrenvorsorge wird deshalb in anderen ordnungsrechtlichen Bereichen als dem Finanzaufsichtsrecht auch mit der Notwendigkeit eines solchen Rechtsgüterschutzes begründet. In diesem Kontext können Schutzgüter bedeutsam sein, die im Allgemeininteresse bestehen (z.B. Gesundheits- und Umweltschutz, gewisse Sozialstandards).742 Aus diesen Schutzgütern können dann objektive Schutzpflichten folgen. Diskutiert werden aber vor allem aus den Grundrechten hergeleitete Schutzgewähransprüche. Diese können sich im Grundsatz sowohl aus den Unionsgrundrechten als auch aus nationalen Grundrechten ergeben.

Die Unionsgrundrechte sind vom EU-Gesetzgeber bei allen von ihm erlassenen Rechtsakten zu beachten.743 Zwar ist bislang offen, ob sich auch aus den Unionsgrundrechten Schutzpflichten ableiten lassen. Dies erscheint insbesondere dort fraglich, wo es sich um eine Pflichten zur Rechtsetzung handeln würde.744 Auch ist der Schutzbereich der Unionsgrundrechte in der europäischen Rechtsprechung bislang nur teilweise und auch nicht immer exakt bestimmt worden.745 Allerdings schließen die Unsicherheiten auf der Ebene des Unionsrechts Pflichten für den nationalen Gesetzgeber nicht aus. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass neben dem Unionsrecht auch nationale Schutzstandards anwendbar bleiben, sofern dadurch weder das Schutzniveau der EU-Grundrechtecharta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit oder die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.746 Des Weiteren sind in Fällen, in denen ein Umsetzungsspielraum besteht, innerhalb dieses Spielraums neben den Unionsgrundrechten die nationalen Grundrechte auf nationale Umsetzungsakte parallel anwendbar.747 Sofern sich aus den Unionsgrundrechten keine Schutzpflichten für den Unionsgesetzgeber ableiten lassen, dürfte es folglich möglich bleiben, derartige Pflichten für den nationalen Gesetzgeber unter Rückgriff auf das Grundgesetz abzuleiten.

Die deutschen Grundrechte (Art. 1–19 GG) können sich als negative Kompetenznormen und als objektive Wertentscheidungen auf die Gesetzgebung auswirken und sind in diesem Sinne bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu beachten.748 Wenn anderenfalls das Mindestmaß des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes unterschritten wird (Untermaßverbot!), können aus den Grundrechten Schutzgewähransprüche abgeleitet werden.749 Ob ein solcher Schutzgewähranspruch besteht, hängt zum einen vom Wert des betroffenen Rechtsguts und dem Grad der Gefahr ab, dem das Rechtsgut ausgesetzt ist. Zum anderen ist auch der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu beachten, über den der Gesetzgebers bei Maßnahmen zur gleichzeitigen Verwirklichung von untereinander abzuwägenden Verfassungsanforderungen verfügt.750 Das Bundesverfassungsgericht hat demzufolge zwar eine Schutzpflicht des Staates anerkannt, die etwa eine Risikovorsorge gegen Lebens- und Gesundheitsgefährdungen umfasst.751 Zugleich hat es allerdings klargestellt, dass der Spielraum des nationalen Gesetzgebers eine gerichtliche Überprüfung derartiger Schutzpflichten aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips nur in Bezug auf evidente Verletzungen zulässt.752 Davon abgesehen ist nach der Rechtsprechung bisher offengeblieben, in welchem Umfang die Gefahrenvorsorge zum Schutz anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit auf grundrechtliche Schutzgewährpflichten zurückgeführt werden kann. Dasselbe gilt übrigens für die ebenfalls denkbare Ableitung von Schutzpflichten zugunsten einzelner Berechtigter aus objektiven Verfassungsprinzipien (z.B. aus dem Sozialstaatsprinzip).753

Als zusätzliche Schranke für verfassungsrechtlich hergeleitete Gefahrenvorsorgepflichten nehmen einzelne Stimmen des Schrifttums schließlich an, dass aus den Freiheitsgrundrechten eine verfassungsrechtliche Präferenz für die Aktivierung selbstregulativer Beiträge folge.754 Wenn man dies akzeptiert, so dürfte eine Grenze dort zu ziehen sein, wo der Schutz der Selbstregulierung mit anderen höchstrangigen Rechtsgütern kollidiert. Darauf ist am Ende des nachfolgenden Unterabschnitts näher einzugehen.

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

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