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I.Verfassungsrechtliche Abgrenzung 1.Der Ausgangspunkt: Art. 87a Abs. 1 und 2 GG

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Die wehrverfassungsrechtliche Zentralnorm für die Bundeswehr ist Art. 87a GG. Dieser besagt:

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.

Relevante Schlüsselbegriffe für die Frage der Zulässigkeit von Einsätzen (jeglicher Art) der deutschen Streitkräfte sind daher a) Streitkräfte, b) Einsätze (bzw. „eingesetzt“) und c) Verteidigung. Sind die Verteidigung und der Einsatz von Streitkräften zu regeln, sind unweigerlich die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten betroffen. Die genannten Begriffe sind daher stets im Lichte des Völkerrechts auszulegen.202

a) Streitkräfte. Die „Streitkräfte“ im Sinne des Grundgesetzes sind der Inbegriff der militärisch gegliederten und geführten Verbände der Bundesrepublik Deutschland.203 Unter „militärisch gegliedert und geführt“ ist die hierarchische Eingliederung und Organisation aller uniformierten Verbände unter die Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung (Art. 65a GG) oder im Verteidigungsfall des Bundeskanzlers (Art. 115b GG) zu verstehen, der diese mittels des Prinzips von „Befehl und Gehorsam“ führt.204 Streitkräfte im Sinne des Art. 87a GG sind also die militärisch kämpfenden Teile der Bundeswehr. Gemeinsam mit der nichtmilitärischen Bundeswehrverwaltung (Art. 87b GG) bilden sie die Bundeswehr.205

b) Einsätze. Artikel 87a Abs. 2 GG macht Vorgaben, wann Streitkräfte „eingesetzt“ werden dürfen. Der „Einsatz“ der Streitkräfte ist von deren bloßer „Verwendung“ abzugrenzen. Von einem Einsatz der Streitkräfte ist zu sprechen, wenn diese unter Nutzung ihrer spezifisch militärischen Mittel (Personal und Material) und Organisationsstrukturen hoheitlich tätig werden.206 Ein Einsatz liegt auch vor, wenn Streitkräfte zumindest als Mittel der Exekutive im Zusammenhang mit Eingriffen in Grundrechte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential verwendet werden.207 Verwendungen hingegen, die von der allgemeinen Aufgabenzuweisung abgedeckt sind, können etwa zu repräsentativen oder karitativen Zwecken erfolgen.208 Auch die technisch-logistische Unterstützung von Behörden ist als Verwendung einzuordnen, vgl. insofern Kapitel 6 „Einsatz im Innern“.

c) Verteidigung. Art. 87a GG verwendet den Begriff „Verteidigung“ als unbestimmten Rechtsbegriff. Als solcher ist er auszulegen, um seinen rechtlichen Inhalt zu erschließen.209 Gegenstand der Verteidigung im Sinne des Art. 87a GG ist der Staat. Nach der staatsrechtlichen Drei-Elemente-Lehre nach Georg Jellinek setzt sich ein Staat aus Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt zusammen.210 Staatsgebiet, wie es Art. 115a GG als „Bundesgebiet“ beschreibt, umfasst das gesamte Territorium der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Luftraum und Küstenmeer.211 Art. 87a GG erfasst jedoch nicht nur das Staatsgebiet (anders als dies etwa für den Verteidigungsfall gemäß Art. 115a Abs. 1 GG („Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet“ angenommen wird), sondern auch die übrigen beiden konstituierenden Merkmale eines Staates.212 Im „klassischen“ Fall der Landesverteidigung fallen alle drei Schutzgüter zusammen. Dies muss jedoch nicht immer der Fall sein. Denn mit dem Staat als Objekt der Verteidigungsbemühungen ist auch die Rettung Deutscher – also des Staatsvolks – im Ausland vom Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Es besteht eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates zugunsten seiner Bürger, die dieser im Ausland im Regelfall durch diplomatischen Schutz, etwa durch Botschaften und Konsulate, realisiert. Sollte jedoch ein Einsatz von Streitkräften zum Schutz deutscher Bürger notwendig sein, dann ist dieser – ungeachtet der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit – verfassungsrechtlich Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 GG, wenn der andere Staat einen solchen Einsatz auf seinem Territorium gestattet oder die dortige öffentliche Sicherheit und Ordnung zusammenbricht, so dass diplomatischer Schutz allein nicht mehr ausreichend ist oder dieser Staat sogar selbst deutsche Staatsangehörige angreift.213 Dieser Schutzauftrag für den gesamten Staat findet sich auch im Eid aller Bundeswehrsoldaten gemäß § 9 SG wieder, wonach diese schwören (bzw. als freiwillig Wehrdienst Leistende geloben), „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“

Der in Art. 115a GG geregelte Verteidigungsfall ist hiermit nicht zu verwechseln. Art. 115a GG trifft lediglich Verfahrensregelungen und passt insbesondere staatsorganisatorische Abläufe an die Notwendigkeiten des Verteidigungsfalls an.214

Der Begriff der Verteidigung in Art. 87a GG geht also über die bloße Territorialverteidigung hinaus, verhindert allerdings gleichzeitig durch seine Bezugnahme auf den Staat als Verteidigungsobjekt eine Instrumentalisierung der deutschen Streitkräfte als „Weltpolizei“.215 Zwar umfasst der Begriff der Verteidigung aus Art. 87a GG auch den der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta,216 auch einschließlich des Bündnisfalls.217 Zudem können nichtstaatliche Akteure – etwa Terrororganisationen – Urheber eines bewaffneten Angriffs sein, gegen die sich Staaten (individuell oder kollektiv) verteidigen können.218 Jedoch ist nicht jede völkerrechtlich zulässige Gewaltanwendung auch Verteidigung im Sinne des Grundgesetzes. So sind etwa nach Art. 42 VN-Charta „erforderliche Maßnahmen“ mit Luft-, See- oder Landstreitkräften zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Rahmen eines sogenannten „Kapitel VII-Mandats“ zulässig. Kapitel VII der VN-Charta regelt Maßnahmen bei der Bedrohung des Weltfriedens und gestattet dabei auch die Anwendung von Gewalt – als Ausnahme vom grundsätzlich geltenden Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 VN-Charta.219 Ein solcher Einsatz von Streitkräften ist jedoch keine Verteidigung im Sinne von Art. 87a GG. Ein derart weites Verständnis des Verteidigungsbegriffs würde ihn konturlos werden lassen, wenn er allein als Gegensatz zum völkerrechtlich verbotenen Angriffskrieg gesehen würde.220

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