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Humboldt geht an die Freiberger Bergakademie

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Am 14. Juni 1791 traf Humboldt in Freiberg ein, um dort bis Februar 1792 zu studieren. Die Freiberger Bergakademie war 1765 als Ausbildungsstätte für sächsische Bergbeamte gegründet worden. Zu ihren Gründern gehörte auch Heinitz, der damals noch in sächsischen Diensten stand. Die aus Sachsen stammenden Studenten der Bergakademie bereiteten sich dort auf eine spätere Bergbeamtentätigkeit vor, erhielten ein Stipendium und trugen wie die Professoren Uniformen und Degen. „Ausländer“ wie Humboldt hatten dagegen hohe Studiengebühren von jährlich rund 700 Talern zu entrichten und waren von der Uniformpflicht befreit.87

Nachdem Abraham Gottlob Werner 1775 seine Lehrtätigkeit aufgenommen hatte, wurde die Freiberger Bergakademie zur Attraktion für montanwissenschaftlich interessierte junge Männer aus aller Welt. Werner galt als der größte Mineraloge seiner Zeit, dessen „systematischer Kopf“ selbst Linné überträfe.88 Der Erfolg der Freiberger Bergakademie beruhte aber auch auf ihrer außergewöhnlichen Verbindung von „Theorie und Praxis“. Die „Theorie“ – das heißt in diesem Kontext das schulische Studium, das vorwiegend durch Vorlesungen und Lektüre, aber auch durch Experimente sowie Mess- und Zeichenübungen ausgefüllt war, – wurde hier tagtäglich durch die „Praxis“, d.h. Einfahren in Gruben, Arbeiten in Hüttenwerken und andere handwerklich-bergmännische Tätigkeiten ergänzt.89 Das Studium war strikt geregelt, wobei die Praxis auf den Vormittag und die Theorie auf den Nachmittag fiel. Die junge Freiberger Bergakademie war noch keine technische Hochschule modernen Stils, sondern eine Zwitterinstitution, die die höhere akademische Ausbildung mit einer handwerklichen Lehre verband.

Während sich die Lehre in den Gruben und Hüttenwerken nach den individuellen Berufszielen der Studenten richtete, gab es für den Unterricht der „Theorie“ ein verbindliches Curriculum, das durch Privatvorlesungen und -übungen ergänzt werden konnte. Der schulische Unterricht fand weitgehend im Akademiegebäude statt, das neben einem großen Hörsaal auch eine Mineraliensammlung, Bibliothek und Modell- und Instrumentensammlung beherbergte. Erst 1797 erhielt die Bergakademie ein eigenes, das bergamtliche Probierlaboratorium ergänzendes chemisches Laboratorium. Zu Humboldts Studienzeit fand der chemische Laborunterricht noch im Privatlaboratorium des 78-jährigen Bergrats und Chemieprofessors Christlieb Ehregott Gellert (1713–1795) und im Laboratorium des Bergprobierers statt.90

Humboldt besuchte nun die Vorlesungen Werners über „Oryktognosie“ (Mineralogie), „Geognosie“ (Geologie) und Bergbaukunst. Letztere war mit Bergmaschinen, Wasserbau, Grubenmauerung und -zimmerung und anderen grubentechnischen Dingen befasst. Die Mathematik und Physik wurde damals von Johann Friedrich Lempe gelesen, der nach eigenen Worten darauf achtete, „die Mathematik und die Physik stets mit Anwendung auf den Bergbau und in Verbindung mit practischen Versuchen“ zu lehren.91 Sein Vorgänger Johann Friedrich Wilhelm Charpentier – Bergrat, Mathematiker, Physiker, Bergmaschinenkundler und Leiter des Amalgamierwerks zu Halsbrücke – lehrte seit 1784 nicht mehr, doch Humboldt war ein gern gesehener Gast in seinem Haus. Überdies bot der Oberbergamtsassessor Alexander Wilhelm Köhler eine öffentliche Vorlesung über Bergrecht und bergmännischen Geschäftsstil an. Dieses verbindliche Lehrangebot wurde durch eine Reihe von Privatvorlesungen und Übungen ergänzt. So bot Werner zum Beispiel einen Privatkurs über Eisenhüttenwerkskunde an und Gellert lehrte zusätzlich die metallurgische Chemie.

Im Unterschied zu den Vorlesungen an der Göttinger Universität, war Humboldt von Werners Unterricht begeistert. Im August 1791 schrieb er an Karsten, er besuche jeden Nachmittag von zwei bis drei Uhr dessen Vorlesung über „Oryktognosie“ (Mineralogie), und danach erteile ihm der Professor noch eine Stunde Privatunterricht. „Er giebt sich unendliche Mühe, mir die Prinzipien seines Systems, besonders die Grundsäze, nach denen er Gen[era] und Spe[cies] macht, zu erklären“, schrieb er, „und der Genuß ist für mich unaussprechlich groß dabei.“92 Der unverheiratete Werner widmete sich seinem Studenten mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Er lud sie zu sich nach Hause ein, besprach mit ihnen die Vorlesungsmitschriften, gab Hinweise für die weitere Lektüre und organisierte auch ihre praktische Arbeit in Gruben und Hüttenwerken. Talentierten Studenten wie Humboldt erteilte er kostenlosen Privatunterricht und bezog sie auch in die eigene Forschungsarbeit ein.

Humboldts Sympathie für Werner übertrug sich in Windeseile auf dessen wissenschaftliche Auffassungen, die er ohne Abstriche übernahm. Werner klassifizierte Mineralien nach ihren äußeren, unmittelbar beobachtbaren Eigenschaften, während deren chemische Zusammensetzung für ihn nur sekundäre Bedeutung besaß. Zustimmend schrieb Humboldt nun, die „äußere Charakteristik“ sei „die Basis alles oryktognost[ischen] Wissens“ und er „wende den größten Fleiß“ an, diese zu erlernen.93 In den 1790er-Jahren lag der Schwerpunkt von Werners Forschung jedoch auf der „Geognosie“, dem Vorläufer der modernen Geologie. Werners Geognosie befasste sich mit der Zusammensetzung und Struktur der festen Erdkruste, von ihren tiefen, der Alltagsbeobachtung entzogenen Bereichen bis zu den sichtbaren, oberirdischen Gebirgen. Sie studierte vor allem „Steine“, worunter Werner ausgedehnte Gesteinsmassen verstand, sowie ihre Verläufe und Schichtungen.

Aus dem Studium der Gesteinsschichtungen erhoffte sich Werner nicht zuletzt auch Aufschluss über Erzgänge und Lagerstätten. Im Herbst 1791 arbeitete er an seiner Gangtheorie und der Fertigstellung einer neuen Schrift mit dem Titel Neue Theorie von der Entstehung der Gänge, mit Anwendung auf den Bergbau, besonders den freibergischen (1791). Ende November 1791 schrieb Humboldt an Karsten, Werner erteile ihm ein „privatissimum“ über seine Gangtheorie, die er nun detailliert kennengelernt habe. Seit drei Wochen habe er nach Werners Anweisung täglich verschiedene Gruben besucht und sei daher allmählich in der Lage, zu erkennen „wie einförmig und harmonisch selbst das verwikkelte Netz der Gänge gewebt“ sei. Humboldts Begeisterung für Werners Theorie und Methode ging so weit, dass er sich vornahm, ein eigenes Buch über die Gangtheorie zu schreiben.94

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