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Praktischer, bergtechnischer Unterricht

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Die Organisation des praktischen Ausbildungsabschnitts oblag Werner, der die Studenten ihren Vorkenntnissen entsprechend in Gruppen einteilte. Jeder Student hatte schriftliche Berichte über seine praktischen Tätigkeiten, sogenannte „Elaboratorien“, zu schreiben, die der genauen Beobachtung und der Einübung des Berichteschreibens für den späteren Bergbeamtenberuf dienten. Die Elaboratorien stellten die wichtigste Abweichung der praktischen Ausbildung von einer handwerklichen Lehre dar. Alle anderen Aufgaben wurden wie in der gewöhnlichen handwerklichen Lehre durch mündliche Instruktion angeleitet und bestanden in körperlicher Nachahmung und Einübung.

Werner organisierte für Humboldts praktische Ausbildung die Zusammenarbeit mit dem sächsischen Stipendiaten (Johann) Carl Freiesleben (1774–1846). Als Sohn aus einer angesehenen Freiberger Bergbeamtenfamilie besaß der fünf Jahre jüngere Freiesleben bereits beträchtliche bergbauliche Erfahrung. Humboldt wohnte im Haus des Vize-Bergmeisters und Obereinfahrers Carl Friedrich Freiesleben, einem Onkel Carl Freieslebens. Jeden Morgen machten sich die beiden Bergstudenten von dort aus gemeinsam auf den Weg zu den Gruben. Nach kurzer Zeit knüpften sich Freundschafts- und Liebesbande. Humboldt teilte Freiesleben vorbehaltlos alle persönlichen Wünsche und Pläne mit. Noch viele Jahrzehnte würde er ihm anrührende Briefe schreiben. Der umfangreiche Briefwechsel der beiden Freunde dokumentiert ihr enges Vertrauensverhältnis ebenso wie ihr gemeinsames Interesse am Bergbau und den Naturwissenschaften.


Abb. 10 Porträt Johann Carl Freiesleben. Aus Schellhas (1959)

Freiesleben stand allerdings eine ganz andere Karriere bevor als Humboldt. Nach einem dreijährigen Jurastudium in Leipzig trat er 1795 in den sächsischen Staatsdienst ein und gelangte 1838 als Berghauptmann an die Spitze des sächsischen Montanwesens. In einem Glückwunschschreiben vom 13. Juni 1838 beteuerte ihm Humboldt, er habe großen Einfluß auf seine „praktische, bergmännische und geognostische Bildung ausgeübt“, und die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, sei „eine wichtige Epoche“ seines Lebens gewesen. „Solcher Epochen habe ich nur zwei oder drei gehabt“, hob er hervor, „neben Dir nenne ich Gay-Lussac und Arago.“ 97 Trotz seiner zahlreichen mineralogischen und geognostischen Veröffentlichungen und der Aufnahme in die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften gilt Freiesleben heute fast auschließlich als ein früher Vertreter der wissenschaftlichen Lagerstättenkunde, also einer typischen Technikwissenschaft, und nicht auch als Naturwissenschaftler.98 Man sollte jedoch beachten, dass erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine deutliche Unterscheidung zwischen Natur- und Technikwissenschaften vorgenommen wurde.

Auf seinem Weg zu den Gruben kam Humboldt an imposanten bergtechnischen Bauwerken vorbei.99 Wie im Harzer Bergbau im Umkreis der alten Bergstädte Goslar, Clausthal und Zellerfeld, war auch im sächsischen Bergbau eine komplexe technologische Infrastruktur für die Grubenentwässerung entstanden. Die gesamte Landschaft war durch Kunstteiche, Kanäle und Wasserleitungen geprägt, die ganzjährig Wasser für die Wasserräder lieferten, die die Pumpen in den Gruben antrieben. Dies war das erste große technologische System vor der Einführung von Eisenbahnnetzen und telegraphischen Überseekabeln im 19. Jahrhundert. Bereits 1715 war in Freiberg ein 188 Meter langer, von 24 Meter hohen Pfeilern getragener Aquädukt für die Wasserversorgung der Wasserräder errichtet worden. Zwischen 1778 und 1792 organisierte der Kunstmeister und Maschinendirektor Johann Friedrich Mende (1743–1798), einer der ersten Studenten der Bergakademie, den Bau zahlreicher neuer Wasserräder und Bergwerksmaschinen, zu denen erstmals auch eine Wassersäulenmaschine gehörte. 1789 entstand unter Mendes Leitung eine technische Sensation: ein fünf Kilometer langer Kanal mitsamt Schleuse und Schiffshebemaschine für den Transport von Erzen zum Hüttenwerk in Halsbrücke.


Abb. 11 Darstellung des Bergbaus und Wasserleitsystems am Beispiel des Oberharzer Bergbaus (17. Jh.) Aus Bartels, del Árbol, van London und Orejas (2008), 152

Bei seinen Grubenbefahrungen lernte Humboldt die Zimmerung der Schächte, die Fahrkünste für die Erzbeförderung, die Vortriebe der unterirdischen Förderund Entwässerungsstollen, die Wasserräder, Kunstgestänge und diversen anderen Kunstvorrichtungen für die Wasserhebung kennen. Er sammelte Mineralien und unterirdische Grubenpflanzen, beobachtete Gesteinsschichtungen, vermaß die Temperatur der Grubenwinde und verfolgte das „Streichen“ (den räumlichen Verlauf) der unterirdischen Erzgänge, deren vollständiges Ausmaß erst den diagrammatischen Grubenrissen zu entnehmen war. Natur und Technik waren hier aufs engste miteinander verwoben. Ende August 1791 schrieb Humboldt an Karsten: 100

▷Um 6 Uhr fahre ich an, regelmäßig alle Tage […]. Diese Kenntniß des Technischen interessiert mich über alle Maaßen, und da ich 3 mal kürzere Zeit in Freiberg bin als meine Landsleute, so muß ich 3 mal mehr anfahren. Alles, was ich thue, geschieht nach Werners Vorschrift, der mir auf eine edle Art einen großen Theil seiner Zeit aufopfert. Werner hat mich in den ersten Wochen so ein 6–9 verschiedene Gruben befahren lassen, um generelle Ideen zu erlangen, jetzt bin ich fixirt. Ich arbeite gewöhnlich 3 Tage die Woche auf der Himmelfahrt sammt Abraham mit Schlegel und Eisen.◁

Am Anfang der praktischen Ausbildung aller Bergstudenten stand die einfache, aber körperlich schwere Handarbeit des Häuers, die Humboldt hier erwähnt. In der dunkelnassen Welt untertage, vollständig von Felswänden umringt, leistete Humboldt fünf bis sechs Stunden lang körperliche Schwerstarbeit. Mit einem Eisenkeil und Hammer – Eisen und Schlegel (Schlägel) in der Bergmannssprache – schlug er die Erzbrocken aus dem Gestein. Bei hartem Gestein schaffte selbst ein kräftiger und erfahrener Häuer nur kleinste Erzmengen in einer Schicht. War man wie Humboldt im Umgang mit Eisen und Schlägel noch ungeübt, zog man sich leicht blutige Handverletzungen zu. „Ich treibe diese Arbeit seit ohngefähr 3 Wochen“, schrieb Humboldt an Karsten, „und blute wenigstens nicht mehr“.101

Der Erzabbau mit Schlägel und Eisen war eine jahrhundertealte Handwerkstechnik, die in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten immer noch praktiziert wurde, ungeachtet der Tatsache, dass schon im 17. Jahrhundert der Erzabbau mit Schießpulver eingeführt worden war. Wie in anderen deutschen Bergbaugebieten, existierten jedoch auch in den sächsischen Gruben ältere und neuere Techniken nebeneinander. In den größeren Gruben wurde meist Schießpulver eingesetzt, wobei das Bohren von Schießlöchern sowohl Kraft als auch handwerkliches Geschick erforderte.

Unter den Hüttenwerken, die Humboldt besuchte, galt das Amalgamierwerk zu Halsbrücke, das dem Mathematikprofessor und Bergbeamten Johann F. W. Charpentier unterstand, als besondere Errungenschaft. Hier war 1784 das von Ignaz Born (1742–1791) entwickelte kalte Amalgamierverfahren für die Silbergewinnung eingeführt worden. Das Prinzip des Verfahrens bestand darin, dass man das Silber zuerst mithilfe von Quecksilber aus dem Erz herauslöste, wobei ein Silber-Quecksilber-Amalgam entstand, und das Quecksilber anschließend durch Destillation aus dem Amalgam abtrennte.102 Das Verfahrensprinzip als solches war zwar nicht neu – es wurde schon im 16. Jahrhundert in Biringuccios Pirotechnica (1540) beschrieben und seither in Spanisch Amerika auch praktisch angewandt –, wohl aber die in Halsbrücke angewandte Verfahrensvariante. Der in habsburgischen Diensten stehende Chemiker und Bergbeamte Ignaz Born beanspruchte nicht weniger, als dass sie auf chemischem Wissen beruhe. Auch im Berliner Bergwerks- und Hüttendepartment wurde das so gesehen. Wie wir weiter unten sehen werden, ließ Minister von Heinitz 1787 in Berlin ein neues Laboratorium für Versuche zur kalten Amalgamation errichten, mit denen er den schwedischen Mineralogen Johann Jacob Ferber beauftragte. Humboldt war vermutlich über diese Berliner Versuche informiert, die jedoch wegen des frühen Tods von Ferber abgebrochen worden waren. Während seiner Zeit als Bergmeister in Ansbach-Bayreuth würde er ähnliche technologische Versuche zur Amalgamation von Golderzen vornehmen.


Abb. 12 Silberamalgambildung in roterienden Fässern im Amalgamierwerk Halsbrücke. Aus Wagenbreth und Wächtler (1986), 291

Werner ermunterte seine Studenten zu mineralogischen Exkursionen, über die er ebenfalls schriftliche Berichte erwartete. Auf sein Anraten hin machten sich Humboldt und Freiesleben im August 1791 zu Fuß ins böhmische Mittelgebirge auf, um Basaltfelsen zu beobachteten und Mineralien zu sammeln. Humboldt, der sich auf die neptunistische Theorie Werners festgelegt hatte, brachte seinem Lehrer ein besonderes Geschenk zurück. Er war auf einen aus Basalt und Mergel zusammengesetzten Gesteinsbrocken gestoßen, der einen Pflanzenabdruck aufwies. Letzteres schien für dessen Entstehung im Meerwasser zu sprechen. Humboldt zögerte nicht lange zu deklarieren, seine „Entdeckung“ sei eine der „wichtigsten und entschiedendsten“ Tatsachen, die Werners neptunistische Theorie der Entstehung der Basalte belege.103

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