Читать книгу Humboldts Preußen - Ursula Klein - Страница 40
Alte Werte
ОглавлениеDas 1768 gegründete Bergwerks- und Hüttendepartment war Teil einer übergreifenden Regierungsbehörde, dem „Generaldirektorium“, sodass auch der Verkehr innerhalb der Behörde Zeit und Arbeit beanspruchte. Humboldt hatte es in dieser Behördenwelt mit hohen Beamten zu tun, von denen die meisten zwar ein juristisches Studium absolviert hatten, aber nur selten an naturwissenschaftlichen oder gar bergtechnischen Fragen interessiert waren. Unter den höchsten preußischen Beamten, die wie andernorts aus dem Adel stammten, galt die Beschäftigung mit Technik immer noch als etwas Anrüchiges, das der bürgerlichen Sphäre angehörte. Humboldt dagegen war stolz darauf, „als praktischer Bergmann studirt“ zu haben. Doch selbst innerhalb der Bergbehörde traf er damit auf Vorbehalte. So warf der Leiter des Schlesischen Oberbergamts Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752–1815), ein Neffe des Ministers von Heinitz, Humboldt vor, er habe „zu kleinlich praktisch studirt“. In den Augen von Redens war es ein großer Unterschied, ob sich ein Adliger mit Staatsfinanzen und zentralen Leitungsaufgaben beschäftigte, oder ob er wie Humboldt bereit war, sich persönlich mit technischen Dingen abzugeben und somit auch direkten täglichen Kontakt mit Geschworenen und technischen Beamten zu pflegen. Humboldt berichtete seinem Freiberger Freund, von Reden habe ihm gesagt, „ein Mann von meinem Stande sei nicht zum Geschwornen geboren“. „Mich hat das auch nicht im geringsten gekränkt“, ließ er Freiesleben wissen und: „ich sagte ihm, ich glaube, in dem genauen Studium des Technischen liege alles.“136 „Das Technische“, das für den 17 Jahre älteren von Reden den Beigeschmack des Bürgerlichen hatte, übte auf den jüngeren Humboldt eine große Faszination aus.
Noch rund 20 Jahre zuvor hatte Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra (1740-1819) mit massiven Einwänden des Dresdener Kammer- und Berggemachs zu kämpfen, als ihn Heinitz für eine Bergmeisterstelle im kursächsischen Marienberg vorschlug. Und 1772 reagierte Friedrich II. noch ähnlich, als er erfuhr, dass der Sohn eines von ihm geschätzten Adligen die „Bergwerkswissenschaft“ erlernte. „Zu dergleichen Wissenschaften“, empörte sich der Philosophenkönig, „sind überhaupt Leute bürgerlichen Standes weit mehr aufgelegt und zu gebrauchen“ als Adlige. Denn nur Bürgerliche seien gewohnt, „mühsamer und mehr ins Detail zu gehen.“137
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden technische Beschäftigungen hochrangiger Bergbeamter jedoch allmählich salonfähiger. Johann Wolfgang von Goethe, ein enger Freund Trebras, bekannte sich freimütig zu seiner „Lust zu ökonomischen und technischen Betrachtungen“.138 Er trat 1776 in den Weimarischen Staatsdienst ein und übernahm die Leitung des Bergbaus. Der junge Novalis (Friedrich von Hardenberg) proklamierte am Ende seines Studiums an der Freiberger Bergakademie im Frühjahr 1799 ebenfalls: „Jetzt leb ich ganz der Technik.“139 „Technik“ stand für diese jüngere Generation von Adligen für Fortschritt und Gemeinwohl, wobei Technik und Naturwissenschaften für sie nur zwei Seiten einer Medaille waren. Der junge Humboldt partizipierte an einer kulturellen Strömung, die sich auf die Aufklärung und den Kameralismus berief und der Technik und den Naturwissenschaften einen hohen gesellschaftlichen und ethischen Stellenwert einräumte. In diesem Zusammenhang setzten sich in der deutschen Sprache auch Termini wie „das Technische“, „Techniker“ und schließlich auch „Technik“ durch.140
Humboldt fühlte sich auch von der Arroganz und Härte adliger preußischer Beamter gegenüber einfachen Bergleuten abgestoßen. Ein Schlüsselerlebnis war ein Gespräch zwischen Graf von Reden und Karl Freiherr vom Stein (1757–1831), der damals Leiter der märkischen Kriegs- und Domänenkammer war, während der Rückfahrt von einer gemeinsamen Exkursion nach Freiberg im April 1792. Bis zu ihrer ersten Station in Dresden seien seine beiden Begleiter „unendlich mürrisch und stumm“ gewesen, schrieb Humboldt an Freiesleben, und hätten „kaum drei Silben“ gesprochen. Dann aber, berichtete er weiter, „fing Reden lange bergmännische Diskurse mit mir an. Er behauptete schrekliche Dinge, […] stritt sich an 1–2 Stunden mit mir.“ Schließlich schaltete sich auch Stein ins Gespräch ein und „redete mit Reden von ‚der Härte, mit der man Menschen antreiben’ müsse.“ „Diese raue Art zu reden, die mit der meinigen so wenig übereinstimmt“, so Humboldt, „machte einen unangenehmen Eindruk auf mich.“141. Der Vorfall lässt erahnen, dass das spätere Beamtenleben des unkonventionellen Bergassessors nicht völlig frei von Konflikten verlaufen würde. Humboldts Skepsis gegenüber den Werten und Machtverhältnissen im Beamtenapparat stand jedoch die Tatsache gegenüber, dass er Minister von Heinitz persönlich verehrte und dessen allgemeinen Ziele teilte.