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Humboldt studiert unterirdische Pflanzen und Grubenwetter
ОглавлениеDie Grubenbesuche animierten Humboldt auch zu einer Reihe wissenschaftlicher Nebenbeschäftigungen außerhalb des Lehrplans. Überraschend war er auf eine unterirdische Pflanzenwelt gestoßen, die vor allem aus Moosen, Flechten und anderen Krypotgamen bestand. Das frühere Sammeln von Kryptogamen im Berliner Tiergarten und die Bestimmungsübungen mit Willdenow erwiesen sich nun als hervorragende Voraussetzungen für die Untersuchung dieser noch weitgehend unbekannten Flora. Bereits im Juni berichtete Humboldt, er verbringe die Vormittage in Gruben, nachmittags besuche er Vorlesungen und „den Abend jage ich Moose“. Am ausführlichsten tauschte er sich mit Willdenow aus, sodass seine botanische Jagd bald systematische Dimensionen annahm. Ein aufregendes Problem ergab sich aus der Beobachtung, dass manche der unterirdischen Pflanzen trotz vollständiger Dunkelheit grün gefärbt waren. Die grüne Pflanzenfarbe, schrieb Humboldt im Herbst 1791 an den Herausgeber der Chemischen Annalen Lorenz Crell, werde gewöhnlich der Einwirkung des Sonnenlichts zugeschrieben, doch dies müsse nun infrage gestellt werden. „Die unterirdische Vegetation, die ich hier fast täglich zu beobachten Gelegenheit habe“, fügte er hinzu, „zeigt mir indeß, daß einige Pflanzen auch ohne Sonnenlicht grün und hauptsächlich bunt gefärbt sind.“108 Es war nur eine Frage der Zeit, bis Humboldt wieder den festen Entschluss gefasst hatte, ein Buch über die unterirdischen Pflanzen und die „chemische Pflanzenphysiologie“ zu schreiben. Ein Teil dieses Entschlusses wurde mit seiner Florae Fribergensis (1793) in die Tat umgesetzt.109 Humboldt ergänzte seine botanischen Beobachtungen durch physiologische Experimente, in denen er die Reaktionen von Pflanzenkeimlingen auf äußere Reize testete. Dabei setzte der die Keimlinge hohen Konzentrationen von Sauerstoff, „oxygenierter Salzsäure“ (später „Chlor“), Metalloxiden und anderen Chemikalien aus und beobachtete dann ihr Wachstum.
Die von den Bergleuten gefürchtete schlechte Grubenluft, die sogenannten „Grubenwetter“, stellte eine weitere Herausforderung für Humboldt dar. Er begann, sich intensiver mit der Gaschemie zu beschäftigen. Auch dies erfolgte in Eigeninitiative, denn der Freiberger Chemieunterricht beschränkte sich damals weitgehend auf die metallurgische Chemie. Die Chemie der Gase war von Mitte des 18. Jahrhunderts an vorwiegend in England und Frankreich, von Chemikern wie Joseph Black, Henry Cavendish, Joseph Priestley und Antoine-Laurent Lavoisier, entwickelt worden. Auf seiner Englandreise mit Forster im Frühjahr 1790 hatte Humboldt sowohl Cavendish als auch den deutschen Lavoisieranhänger Christoph Girtanner kennengelernt. In Freiberg machte ihn nun ein spanischer Student und Lavoisieranhänger auf Lavoisiers Traité de chimie (1789) aufmerksam, in dem der Gaschemie ein fundamentaler theoretischer Platz eingeräumt wurde. Wie wir im dritten Teil sehen werden, stellten Humboldts gaschemische Studien in Freiberg eine Voraussetzungen für die Analysen von Grubenwettern und Gasen dar, die er später als Bergmeister unternahm und mit der Erfindung einer Grubenlampe und Atemmaske krönte.
Humboldt war bald davon überzeugt, Lavoisiers Gaschemie liefere auch eine Antwort auf die Frage nach der Ursache der grünen Farbe unterirdischer Grubenpflanzen. In einem Aufsatz äußerte er die Vermutung, deren grüne Farbe entstehe infolge einer Wechselwirkung zwischen Grubengasen und der von Pflanzen abgegebenen „Lebensluft“ (Sauerstoff). 110 Den Mechanismus stellte sich Humboldt folgendermaßen vor: Über der Erde, so Humboldt, entwickelten die Pflanzen nur deshalb eine grüne Farbe, weil der „Lichtstoff“, der nach Lavoisier ein chemisches Element war, die abgegebene, schädliche Lebensluft an sich binde. In der Dunkelheit, in der kein Lichtstoff vorhanden sei, könne sich dagegen im Regelfall die von den Pflanzen abgegebene Lebensluft anreichern, sodass die grüne Pflanzenfarbe langsam ausgeblichen werde und die Pflanzen schließlich weiß wurden. Gruben stellten jedoch eine Ausnahme von diesem Regelfall dar. In Gruben, argumentierte Humboldt, werde die von Pflanzen abgegebene, ausbleichende Lebensluft von den Grubengasen gebunden, insbesondere von der in Grubenwettern enthaltenen „Stickluft“ (Stickstoff) und dem „entzündbarem Gas“ (Wasserstoff). Und dies habe zur Folge, dass die ausbleichende Lebensluft nicht mehr auf die Pflanzen einwirken könne und die Pflanzen somit ihre natürliche grüne Farbe behielten.