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Heinitz’ Strategie: Staatliche Planung, langfristige Investitionen und zuverlässiges Wissen

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Heinitz’ Berufung in den sächsischen Staatsdienst war von einer Restaurationskommission vorgeschlagen worden, die kurz vor Ende des Siebenjährigen Krieges eingerichtet worden war. Der sächsische Staat hatte unter Kurfürst Friedrich August II. enorme Schulden angehäuft, die im Verlauf des Kriegs noch gestiegen waren. Der Kurfürst willigte daher in die Bildung einer Restaurationskommission ein, die Vorschläge für eine Staats- und Wirtschaftsreform erarbeiten sollte. Es waren die Kameralisten innerhalb dieser Kommission, die Heinitz als Organisator für die Neuordnung des sächsischen Berg- und Hüttenwesens vorschlugen.117

Im November 1766, setzte Heinitz die Einsetzung einer generellen Revisionskommission durch, die den gesamten kursächsischen Bergbau inspizierte, einschließlich aller Hüttenwerke und „Bergfabriken“, das heißt der Blaufarben-, Alaun-, Vitriol-, Schwefel- und Arsenikwerke sowie der Hammerwerke, Blechwerke und Salinen. Das systematische Vorgehen dieser Kommission und ihre abschließenden Verbesserungsvorschläge entsprachen genau seinen Vorstellungen. Eine gute staatliche Leitung des Bergbaus, wie sie Heinitz vorschwebte, setzte eine umfassende und rigorose Bestandsaufnahme voraus sowie die schonungslose Offenlegung von Mängeln. Zudem war sie mit der Bekämpfung von Unwissenheit, Inkompetenz und Faulheit im Beamtenapparat verbunden.

In seinem abschließenden, mehr als 150 Seiten umfassen Revisionsbericht von 1771 und einem Begleitschreiben sparte Heinitz nicht mit Kritik. Als Heinitz aus dem Harzer Bergbau kommend im Februar 1764 seinen Dienst in Kursachen antrat, hatte er ein technisch avanciertes Hüttenwesen und ein vorbildliches Grubenentwässerungssystem vorgefunden. Aber die Grubenbautechnik und die Methoden des Erzabbaus und der Erzförderung glichen vielerorts noch den Beschreibungen, die Georg Agricola in seiner De Re Metallica (1556) gegeben hatte. Es gab noch viele kleine Gruben, schlecht ausgebaute Schächte und enge Abbaustrecken, in denen man die Erze mit Eisen und Schlägel anstelle von Schießpulver abbaute und dann mit einfachen Laufkarren und kleinen Haspelkübeln transportierte. In Heinitz’ Augen, der unweigerlich Vergleiche mit dem Harzer Bergbau und demjenigen in Schweden und Österreich-Ungarn anstellte, hatte Kursachsen einiges nachzuholen. Überdies war die Erzförderung seit dem Siebenjährigen Krieg rückläufig, wie selbst das Dresdener Berg- und Kammergemach eingestehen musste. Allein der Silbererzabbau stellte mit einer leicht ansteigenden Wachstumstendenz eine Ausnahme dar. Für die Gewerken bedeutete dies eine spürbare Reduktion ihrer Ausbeute bzw. eine Steigerung der Zubuße. Auch die nur an fiskalischen Sachverhalten interessierten Bergräte im Dresdener Kammer- und Berggemach verstanden dies als deutliches Warnsignal. 118

Für die Verbesserung und Erneuerung der Bergbautechnik war die Bergbehörde zuständig, deren Aufgabe es auch gewesen wäre, für diesen Zweck Investitionen sicher zu stellen. Heinitz bemängelte daher, die Bergämter schütteten die vorhandene spärliche Ausbeute oft nach Gutdünken an die Kuxbesitzer aus, anstatt sie in die Verbesserung der Gruben zu investieren. Ein weitaus schlimmerer Vorwurf war derjenige der Duldung von Raubbau.119 Vergleichbar mit der bereits im frühen 18. Jahrhundert erhobenen Forderung nach einer nachhaltigen Nutzung des Waldes für die Holzgewinnung, forderten die Kameralisten unter den Bergbeamten einen ressourcenschonenden Abbau der Erze. Der Abbau leicht erreichbarer, reichhaltiger Silbererze und die gleichzeitige Vernachlässigung von Investitionen in den Ausbau einer Infrastruktur, die auch den Abbau tiefer gelegener oder ärmerer Erze ermöglichen würde, untergrub den Bergbau nachfolgender Generationen. So schwer dieses Argument zu widerlegen war, so wenig schenkte man ihm in der Dresdner Behörde Beachtung.

Im Harzer Silberbergbau hatte Heinitz dagegen eine Politik der Nachhaltigkeit und langfristigen Investitionsbereitschaft kennengelernt. Schon im frühen 18. Jahrhundert hatte der Berghauptmann Heinrich Albert von dem Busch dort mit der Bildung eines langfristigen Kapitalfonds für bergbauliche Innovationen neue Ziele propagiert, mit denen Heinitz durch dessen späteren Nachfolger Carl von Imhoff vertraut gemacht wurde.120 Imhoff und Heinitz hatten zweimal die österreichisch-ungarische Bergstadt Schemnitz besucht. Bei ihrem zweiten Besuch im Jahr 1751, bei dem sie auf Bitten des Kaiserlichen Hofes eine gründliche Inspektion vornahmen, warnte Imhoff vor Raubbau und mahnte Investitionen in einen nachhaltigen Bergbau an.121 Für Imhoff, den Heinitz später als einen seiner wichtigsten Lehrer bezeichnete, beinhaltete das staatliche Direktionsprinzip somit einen gesellschaftlichen Auftrag für nachhaltige Investitionen in den Bergbau.

Heinitz’ Kritik am sächsischen Bergbau richtete sich insbesondere an das Dresdener Kammer- und Berggemach, wo er sich fast tagtäglich aufhielt. Die Dresdener Bergräte, so Heinitz, säßen in ihren Amtsstuben fest, besuchten die Bergreviere und Gruben nicht und hätten alles in allem nur eine äußerst vage Vorstellung von den Techniken der Metallverhüttung. Sie hätten zudem nichts unternommen, um den Wissensstand in der Behörde zu verbessern.122 Anstatt die „Bergwerkswissenschaften“ zu fördern, „die sich auf die Natur Lehre, Mathematic und Chymie gründen“, so Heinitz, hätten sie die chemische Analyse der Mineralien ignoriert, die alchemistische Goldmacherei unterstützt und die Suche nach Lagerstätten mit der Wünschelrute geduldet.123

Die Verwendung der Wünschelrute bei der Lagerstättensuche war seit Agricolas Zeiten umstritten, zum einen, weil ihr Erfolg empirisch fragwürdig war, und zum anderen, weil sie unter dem Verdacht stand, unlautere magische Kräfte zu nutzen. Die Befürworter der Wünschelrute argumentierten dagegen, ihre Wirkung beruhe auf einer unbekannten Kraft in den Erzgängen, die die Rute anzöge, wenn man sie richtig in der Hand halte und keine persönliche „Veranlagung“ besitze, diese Kraft aufzuheben.124 Unter dem Strich ergab sich daraus bereits für Agricola die Schussfolgerung, ein guter Bergmann solle „der Natur der Dinge kundig und verständig sein“ und erkennen, dass „ihm die Wünschelrute nichts nutzen“ könne.125 Heinitz, dessen Leitlinie Berechenbarkeit und Planbarkeit war, lehnte die Wünschelrute ebenso vehement ab wie die alchemistische Goldmacherei. Planbarkeit des Bergbaus beruhte nach seiner Auffassung auf überprüfbarem, kommunizierbarem Wissen und insbesondere auf dem Wissenstransfer von unten nach oben innerhalb der Behörde. Dies implizierte die entschiedene Absage an persönliches Geheimwissen, sei es das des Wünschelrutengängers, des Alchemisten oder, wie wir später noch sehen werden, des Arcanisten in der Porzellanmanufaktur. Heinitz insistierte stattdessen auf der regelmäßigen, schriftlichen Berichterstattung seiner unteren, technischen Beamten, die ihm als wichtiger Hebel für die Abschaffung persönlichen Geheimwissens und die Förderung des Wissenstransfers innerhalb der Behörde galt. Allen traditionellen handwerklichen Praktiken, die sich mit diesem Ziel nicht vereinbaren ließen, sagte er den entschiedenen Kampf an.126

Auch die Freiberger Bergämter blieben von Heinitz’ Kritik nicht verschont. Schon kurz nach seiner Ernennung zum Generalbergkommissar hatte Heinitz eine Inspektion des Freiberger Oberbergamts vorgenommen. Zwar lobte er anschließend die Arbeit des neuen Oberberghauptmanns und alten Freunds Friedrich Wilhelm von Oppel, kritisierte jedoch auch den Mangel an guten, sachkundigen Bergräten und die Vernachlässigung der Beamtenausbildung. Mit Blick auf die Ebene der unteren, technischen Beamten beanstandete er insbesondere, dass es in Sachsen keinen Kunstmeister für die Bergmaschinentechnik gab.127


Abb. 15 Bergmännische Arbeit der Häuer, Grubenjungen und Haspelknechte (16. Jh.), Zeichnung von Heinrich Gross (um 1550). Aus Winkelmann (1962), Tafel XIV

In seinem Revisionsbericht von 1771 wiederholte Heinitz derartige Kritik auch in Hinblick auf lokale Bergbehörden. Wiederholt testierte er den Beamten Unwissenheit, „zanksüchtigen Denunzianten-Geist“, „Eigennutz“, Faulheit und „allgemeine Schlafsucht“. Ebenso systematisch mahnte er die „Heranziehung“ „tüchtiger Subjekte“ und fähiger „Bedienter“ an, die eine Verbesserung der Bergtechnik bewerkstelligen könnten. In einigen Bergämtern fehlte es an guten Geschworenen, in anderen an Sachverständigen für Bergmaschinen, in mehreren Salinen vermisste er „geschulte Subjecte“ und hinsichtlich der „unteren Hütten-Bedienten“ stellte er fest, deren „geheimnißvolle Zurückhaltung“ von Wissen verhindere jede Art von Verbesserung.128

Wissen war für Heinitz auf engste mit praktischer Zuverlässigkeit verbunden. Das wissenschaftliche Ethos der offenen Kommunikation förderte den Wissenstransfer, den Heinitz als wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Voraussetzung für technische Verbesserungen und das Aufholen des englischen Vorsprungs betrachtete. Umgekehrt war es ein Instrument für die Abschaffung persönlichen handwerklichen Geheimwissens wie es vor allem unter den Wünschelrutengängern, Alchemisten und gelegentlich auch unter Schmelzern üblich war.

In seinem Revisionsbericht legte Heinitz insgesamt fünf Reformschwerpunkte fest: Verbesserungen im Beamtenapparat und des Sachwissens der Bergbeamten; planmäßige und auf zuverlässigen Kenntnissen der „Landesgegend“ beruhende Suche nach Erzlagerstätten; Investitionen in die Erweiterung des Bergbaus und in Bergmaschinen; Verbesserung der Erzaufbereitung; Verbesserungen des Hüttenwesens durch Kenntnisse der Mineralogie und metallurgischen Chemie sowie die Organisation systematischen Wissenstransfers. Mittels dieser Reformmaßnahmen sollte das Direktionsprinzip zu einer veritablen staatlichen Planwirtschaft ausgebaut werden, die nachhaltige Investitionen in Bergbau und Hüttenwesen ermöglichen sollte.

Heinitz’ Überlegungen zur Reform des Beamtenapparats schlossen auch die Bekämpfung von Korruption und die Vermittlung neuer Werte ein. Korruption und Betrugsfälle hatten nicht zuletzt auch einen Vertrauenslust unter den Gewerken nach sich gezogen und ihren Investitionswillen merklich reduziert. Erst 1763, kurz vor Heinitz’ Eintritt in den sächsischen Staatsdienst, war ein eklatanter Betrugsfall ganz oben an der Staatsspitze publik geworden. Der soeben verstorbene Graf Heinrich von Brühl, Premierminister unter Friedrich August II., hatte während seiner Amtszeit nahezu fünf Millionen Taler veruntreut. Aber auch bei den einfachen Bergarbeitern kam es wiederholt zu Betrugsfällen, wenn auch aus ganz anderen Motiven und mit weitaus weniger gravierenden Folgen für die Staatskasse. Auch diesem Problem ging Heinitz in seinem Revisionsbericht nach.

Die einfache bergmännische Arbeit war körperliche Schwerstarbeit, die im 18. Jahrhundert jedoch schlecht entlohnt wurde. Daher wurde es von den sächsischen Behörden geduldet und zuweilen sogar als notwendig erachtet, dass sich die Bergarbeiter Nebeneinkünfte verschafften, entweder durch eigene Landwirtschaft, Weben, Spitzenklöppeln und andere Heimarbeit oder auch zusätzliche „Weilarbeit“ im Bergbau. In Sachsen hatten die Bergarbeiter zwar einen Achtstundentag und eine Fünftagewoche, was damals eine große Ausnahme war, die zusätzliche Weilarbeit bedeutete jedoch eine faktische Verlängerung der Arbeitszeit, die gesondert entlohnt wurde.129 Der zusätzliche Abbau von Erzen nach der eigentlichen Arbeitszeit verleitete jedoch zu Betrug, indem reichhaltige Erze aus der Normalschicht zunächst zur Seite geräumt und später der Weilarbeit zugeschlagen wurden. Nicht selten beteiligten sich auch die verbeamteten Steiger und Schichtmeister an diesem Geschäft, gegen das Heinitz mit einem Bündel von Maßnahmen angehen wollte.

In seinem Revisionsbericht schlug Heinitz daher vor, nur „redlichen“ Arbeitern Zugang zu reichen Silbererzgängen zu gewähren und sie durch „treue“ Steiger beaufsichtigen zu lassen. Letztere sollten wiederum durch „Nachfahrer“ und „unvermuthete Visitationen“ der Geschworenen kontrolliert werden. Außerdem sollten die Kontakte zwischen Bergleuten und Laboranten, Destillateuren und Apothekern unterbunden werden, die den Bergleuten die reichen Erze abkauften, um sie heimlich zu schmelzen und zu verarbeiten. Der Polizei sollte dabei die Aufgabe zukommen, private Schmelzeinrichtungen auszukundschaften. Wo dies alles nichts half, empfahl Heinitz härtere Strafen durch die Strafgerichtsbarkeit der Bergbehörden, die bis zur lebenslangen Festungshaft und Hinrichtung durch den Strang gehen sollten.130

Heinitz’ Initiative für die Verbesserung der Ausbildung von Bergbeamten und seine Politik der aktiven Rekrutierung von Beamten durch schulische Ausbildung nahmen somit auch den Werte- und Verhaltenskanon ins Visier. Die 1765/66 gegründete Freiberger Bergakademie diente der Ausbildung sachverständiger Bergbeamter, und sie war auch als Bollwerk gegen Betrug und Korruption und eine Institution für die Erziehung ehrlicher, zuverlässiger Bergbeamter gedacht.

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