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Heinitz in Sachsen: gegen den traditionellen Wertecodex
ОглавлениеFriedrich Anton von Heinitz (1725–1802) war zuerst Vizeberghauptmann in braunschweigisch-wolfenbüttelschen Diensten und Leiter des Harzer Kommunion-Bergbaus gewesen. Der gebürtige Sachse hatte als 17-Jähriger die Salzherstellung in den Salinen von Kösen (bei Naumburg) kennengelernt und war dann zwei Jahre lang in Freiberg bei seinem Onkel, dem Berghauptmann Hans Carl von Kirchberg, in die Lehre gegangen. 1746 ging er nach Braunschweig-Wolfenbüttel, da es in Sachsen keine angemessene Stelle für ihn gab. In den folgenden 17 Jahren baute er seine bergbaulichen Kenntnisse im Harzer Bergbau aus und sammelte weitere Erfahrungen auf Reisen in schwedische und österreichisch-ungarische Bergbauregionen.
Abb. 14 Porträt Friedrich Anton v. Heinitz als sächischer Generalbergkommissar. Aus Rektor und Senat der Bergakademie Freiberg (1965)
Im Dezember 1763 wurde Heinitz in den kursächsischen Staatsdienst berufen, im Februar 1764 trat er seinen Dienst als Geheimer Kammer- und Bergrat im Dresdener Kammer- und Berggemach an, und im Juni des darauf folgenden Jahres wurde er zum „Generalbergkommissar“ ernannt. Da mit der Ernennung zum Generalbergkommissar weitgehende Eingriffsbefugnisse in das Freiberger Oberbergamt verbunden waren, war er damit neben dem Freiberger Oberberghauptmann Friedrich Wilhelm von Oppel (1720–1769) faktischer Leiter des gesamten sächsischen Bergbaus. Dies führte nur deshalb nicht zu größeren Konflikten, weil Heinitz und Oppel dieselben Reformziele verfolgten und gute Freunde waren.
Heinitz und andere, ihm gleichgesinnte hohe Bergbeamte wie der Bergmeister Friedrich Wilhelm von Trebra führten einen Feldzug gegen Inkompetenz und Korruption in der Behörde. Nahezu alle Kammer- und Bergräte im Dresdener Kammer- und Berggemach, aber und auch einige der Bergräte im Freiberger Oberbergund Oberhüttenamt waren aus ihrer Sicht unfähig, den Bergbau wirklich zu leiten. Ohne ausreichende Sachkenntnisse über den Bergbau waren sie nicht in der Lage, Investoren zu gewinnen, die Bergtechnik zu verbessern oder gar neue Methoden der Lagerstättenerschließung und Metallverhüttung in die Wege zu leiten, die auch das Wissen der Mineralogie, Geognosie und metallurgischen Chemie berücksichtigten.
Aus der Sicht der kritisierten Dresdener Beamten war diese Beurteilung jedoch aus mehreren Gründen irrelevant. Zum einen definierten die hohen Dresdener Bergbeamten ihre Aufgaben hauptsächlich fiskalisch. Nach ihrer Auffassung hatten die leitenden Bergbeamten für einen regelmäßigen Geldfluss in die Staatskasse und die Geldbörsen der Kuxbesitzer zu sorgen, während für den normalen technischen Betrieb die mittleren und unteren technischen Bergbeamten zuständig waren. Solange im sächsischen Bergbau mit der bestehenden Organisation und Bergtechnik im Durchschnitt eine befriedigende „Ausbeute“ erzielt wurde, gab es für diese traditionellen, fiskalischen Beamten keinerlei Anlass zu Reformen. Im Gegenteil, da technische Verbesserungen zunächst „Zubußen“ erforderten, würden diese die vorhandene Balance zwischen Ausbeute und Zubuße gefährden. Da ihnen der Bergbau zudem als Glückssache galt, sahen sie wenig Veranlassung, langfristig in die Bergbautechnik zu investieren und dafür Sachwissen zu mobilisieren. Die ökonomische Krise nach dem Siebenjährigen Krieg hatte diese Haltung zwar in Frage gestellt, aber ein Umschwenken zu den Positionen eines von Heinitz war damit nicht verbunden. Heinitz sah sich im Gegenteil in der Dresdener Behörde mit Widerständen und Intrigen konfrontiert, die ihn schließlich 1774 veranlassen würden, sein Abschiedsgesuch einzureichen.
Überdies setzte das Wertesystem der hohen Dresdener Beamten andere Akzente als das des Kameralisten Heinitz. Die höchsten Leitungspositionen in den sächsischen Verwaltungs- und Regierungsbehörden waren bis Ende des 18. Jahrhunderts mit Adligen besetzt, und diese bestimmten den Wertekanon. Ebenso verhielt es sich in anderen deutschsprachigen Ländern, darunter auch Preußen. Im traditionellen Wertecodex des Adels rangierten adlige Herkunft und ehrenhaftes Benehmen an oberster Stelle. Dazu kam die hohe Wertschätzung für einen Lebensstil, der körperlich-technische und nutzbringende Tätigkeit, mit Ausnahme von Militärdienst und Jagd, prinzipiell ausgrenzte.
Im traditionellen Ehrencodex des Adels lebte somit die uralte ideologische Trennung von Kopf- und Handarbeit weitgehend ungebrochen fort. Adlige, die aus finanziellen Gründen gezwungen waren, einen Beruf auszuüben, setzten sich daher immer der Gefahr aus, dass ihre Berufstätigkeit als unwürdig galt. Ergriff ein Adliger den Beamtendienst, so galt dies nur dann als ehrenhaft, wenn sein Amt keine technischen Aufgaben implizierte. Technische Dinge galten als Inkarnation des Bürgerlichen, von dem man sich fernhielt. Noch in der Gründungszeit der Bergakademie war es daher so gut wie ausgeschlossen, dass Adlige Beamtenpositionen wie die eines Bergmeisters übernahmen, die mit täglichen Inspektionen in Gruben und anderen technischen Aufgaben verbunden war. So hatte zum Beispiel Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra, einer der ersten Studenten der Freiberger Bergakademie, erhebliche Widerstände zu überwinden, als ihm Heinitz 1767 eine Bergmeisterstelle im kursächsischen Marienberg anbot. Im Dresdener Kammer- und Berggemach lies man darüber verlauten, dass bisher kein Edelmann „noch je an solche Stelle sich gewagt hatte“. Und nur, weil es die „Noth erforderte“, wurde Trebra schließlich als Bergmeister akzeptiert.116
Der Adel vertrat somit traditionell ganz andere Werte als Wissen, Sachkompetenz und technisches Können. In einer Bergbehörde, die dem adligen Wertecodex folgte und in der Wissen ganz unten auf der Werteskala stand, konnte Heinitz nur Außenseiter sein.