Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 95

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Als Christine Wagner nach Hause kam, herrschte in der großen Sechs-Zimmer-Wohnung erwartungsvolle Spannung.

„Na?“, sagte Wolf Rossberg.

„Wie war’s?“, fragte Uli Gaulitz.

„Hast du den Job bei MR 1 bekommen?“, wollte Wenzel Reyer wissen.

Christine sah ihre Freunde der Reihe nach an. Sie kostete die Spannung einige Sekunden lang aus. Dann nickte sie und sagte: „Ich hab’ den Job bei MR1.“

Jubelnd stürzten sich Wolf, Uli und Wenzel auf sie zu, umarmten sie, küssten sie und hoben sie hoch. Sie waren eine Familie. Jeder nahm Anteil an den Problemen des andern. Die Mitglieder der Wohngemeinschaft halfen sich gegenseitig mit Rat und Tat, wo immer sie konnten, und freuten sich ehrlich über jeden Erfolg, den irgendeiner aus ihrer Mitte nach Hause brachte.

„Ich wusste, dass sie dich nehmen“, sagte der blonde, schlaksige Wolf. Er schrieb Liedertexte, konnte einigermaßen gut davon leben, obwohl einige Reime arg kitschig und schwülstig waren, aber so wurde es von der breiten Masse verlangt.

„Die wären verrückt gewesen, wenn sie dich abgelehnt hätten“, befand der brünette Uli Gaulitz. Er war Barmann, hatte Muskeln wie Mister Universum und wusste alles über Muskelaufbau-Trainingsprogramme – ohne Zuhilfenahme von schädlichen Anabolika.

„MR1 kann sich zu seiner neuen, tüchtigen und zuverlässigen Mitarbeiterin gratulieren“, tönte der sympathische Wenzel Reyer, der sein langes dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Er fuhr Taxi und studierte nebenbei Jura – oder andersherum. Er variierte in dieser Reihenfolge von Semester zu Semester.

„Wir müssen auf Christines Erfolg anstoßen!“, rief Wolf Rossberg.

„Womit?“, fragte Uli Gaulitz.

Wolf tippte sich grinsend an die Schläfe. „Ich habe in weiser Voraussicht eine Flasche Sekt gekauft und eisgekühlt.“

Uli stieß Wenzel mit dem Ellenbogen an. „Unser Romantiker. Er schreibt nicht nur schmalzige Texte, er weiß auch, wie man einer Frau imponieren kann.“

„Ja, ja, von dem kann man echt was lernen“, meinte Wenzel spöttelnd.

Wolf wandte sich an Christine. „Hilfst du mir mit den Gläsern?“

„ Klar.“ Sie ging mit ihm in die Küche.

Sobald er mit ihr allein war, sagte er: „Kein Wort über Sonja Reinhard, okay?“

„Was ist passiert?“, wollte Christine wissen.

Wolf öffnete den Kühlschrank. „ Sie hat Uli den Laufpass gegeben.“ Er nahm die Magnumflasche heraus.

„Oh, das tut mir aber leid.“ Christine stellte die Gläser auf die Arbeitsplatte.

„Er lässt es sich nicht anmerken, aber er ist am Boden zerstört.“

„Wieso hat Sonja ihn stehenlassen?“, erkundigte sich Christine Wagner.

Wolf Rossberg ließ die Mundwinkel hängen. „Tja ...“

„Woher weißt du ...?“

„Uli hat es mir gesagt.“

„Was hat er gesagt?“, wollte Christine wissen.

Wolf zuckte mit den Schultern. „Nur, dass Sonja ihn nicht mehr sehen möchte. Mehr nicht.“ Er nahm den Draht ab, der den Korken festhielt, und Augenblicke später gab es den erwarteten leisen Knall.

Uli Gaulitz erschien in der Küche. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und machte auf lässig.

„Eigentlich wäre das meine Arbeit gewesen. Schließlich bin ich der Barmann.“

Wolf Rossberg griente. „Aber es ist meine Sektflasche.“

„Darf ich wenigstens die Gläser füllen?“

„Meinetwegen.“ Wolf überließ dem Freund die Flasche.

„Schau genau zu, damit du lernst, wie man es anstellt, dass kein einziger Tropfen danebengeht.“

„Leute, ihr könnt mich doch nicht einfach allein da draußen stehen lassen“, protestierte Wenzel Reyer, in der Küchentür stehend. „Gehöre ich zur Familie, oder gehöre ich nicht zur Familie?“

„Du gehörst dazu“, sagte Christine. „Und damit du nicht traurig bist, darfst du als erster mit mir auf meinen neuen Job anstoßen.“ Sie reichte ihm eines der gefüllten Gläser und nahm sich ebenfalls eines.

Ihre Gläser klirrten. „Mögest du eine traumhafte Karriere bei MR1 machen“, sagte Wenzel.

„Lasst Christine nur machen“, rief Wolf lachend. „Sie wird MR 1 schon bald ihren ganz persönlichen Stempel aufdrücken.“

„In ein paar Jahren wird der Sender nicht mehr MR 1, sondern CHR1 heißen“, behauptete Uli.

„Ihr seid verrückt.“ Christine schüttelte lachend den Kopf und stieß mit allen fröhlich an.

Wenzel trank nur ein halbes Glas, weil er sich nicht alkoholisiert ans Steuer seines Taxis setzen wollte.

Den Rest der Magnumflasche teilten sich Christine, Wolf und Uli.

„Stellt nichts an, während ich weg bin“, sagte Wenzel Reyer, als es für ihn Zeit war, zu gehen.

„Keine Sorge“, gab Christine schmunzelnd zurück. „Wolf und Uli passen schon gut aufeinander auf. “

Kaum war Wenzel gegangen, bekam Wolf einen Anruf von einem Komponisten, der mit dem Refrain, den dieser geschrieben hatte, nicht klarkam.

„Kannst du nicht mal eben vorbeikommen und die Geschichte ein bisschen umdichten?“, flehte der Musiker. „Ich sitze seit zwei Tagen an der Nummer und komm’ einfach nicht über diesen verflixten Reim drüber. Wenn du mir nicht hilfst, geb’ ich mir die Kugel.“

Wolf Rossberg lachte. „Na, das darf ich doch nicht zulassen, oder? Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“ Der Komponist atmete erleichtert auf. „Du kriegst ’nen Heiligenschein von mir.“

Nachdem auch Wolf gegangen war, war Christine mit Uli allein. Der attraktive Muskelmann saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und seufzte alle paar Minuten auf. Der Sekt, den er getrunken hatte, schien sein Herzleid zu verstärken.

Christine tat so, als würde sie seine traurigen und unglücklichen Seufzer nicht hören. „Das wird bestimmt eine sehr interessante Aufgabe bei MR1“, sagte sie.

„Am Anfang werden sie versuchen, dich fest herumzukommandieren“, sagte Uli Gaulitz. „Wenn du es dir gefallen lässt, machen sie dich zum Mädchen für alles. Dagegen musst du dich so bald wie möglich wehren, sonst bleibt alles an dir hängen. Du machst deinen Kollegen am Besten von Anfang an klar, dass man dich nicht zum Kaffeekochen und für Botengänge eingestellt hat, dann suchen sie sich sehr schnell jemand anderen. Jemand Weichen, der sich nicht nein zu sagen getraut.“

Christine trat an das Regal, auf dem Bücher standen, die ihnen gemeinsam gehörten. Sie deutete auf die Werke und fragte: „Kannst du mir eines davon empfehlen?“

„Ich weiß nicht, was du lesen möchtest“, erwiderte Uli Gaulitz, der sehr belesen war – was man ihm eigentlich nicht zugetraut hätte. „Ist dir nach was Heiterem, wäre vielleicht Mich wundert nichts an meiner Frau das Richtige für dich. Spannung bietet Internet-Run. Liebe findest du reichlich in Jennys Affären. Und Sex in Love Hotline. “

„Ich denke, ich versuch’s mit Mich wundert nichts an meiner Frau“, sagte Christine und nahm das Buch aus dem Regal. „Ich liebe heitere Romane. Das Leben ist ohnedies ernst genug.“

Uli seufzte. „Wem sagst du das! “

Oje!, dachte Christine. Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich muss besser aufpassen, was ich von mir gebe. Zuerst denken, dann reden, Mädchen! Nicht umgekehrt.

Sie nahm das Buch aus dem Regal und blätterte darin. „Haben Wolf und Wenzel es schon gelesen?“

„Ja.“

„Wie hat es ihnen gefallen?“

„Wenzel war davon begeistert“, sagte Uli Gaulitz.

„Und Wolf?“

„Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen.“

„Aus welchem Grund?“, wollte Christine wissen.

Uli schürzte die Lippen und hob die Schultern. „Hat er mir nicht gesagt.“

Christine las einige Kapiteltitel: Kaufrausch. Migräne. Bikini ade.

„Weißt du’s schon?“, fragte Uli unvermittelt.

„Wie bitte?“ Christine legte das Buch beiseite. Jetzt kommt’s, dachte sie. Hätte mich gewundert, wenn er sich nicht bei mir ausgeweint hätte.

„Ob du’s schon weißt“, sagte Uli.

Sie stellte sich unwissend. „Was meinst du?“

„Hat Wolf es dir nicht erzählt, als er mit dir allein in der Küche war? Sonja und ich ... wir haben uns getrennt.“

„Das tut mir leid“, sagte Christine aufrichtig. Es tat ihr wirklich leid. Sie hatte geglaubt, die Sache mit Uli und Sonja könnte was Dauerhaftes werden.

„Sie hat Schluss gemacht“, stieß Uli heiser hervor.

„Das finde ich sehr bedauerlich. Sonja war mir sehr sympathisch. Wie lange wart ihr zusammen?“

„Vier Monate und eine Woche.“

„Warum hat Sonja Schluss gemacht? Hat ein anderer Mann ihr den Kopf verdreht?“

Uli schüttelte langsam den Kopf. „Ich hab’ wohl zu oft gesagt, sie soll sich an dir ein Beispiel nehmen.“ Er wäre bestimmt nicht so offen gewesen, wenn der viele Sekt nicht so prickelnd in seiner Blutbahn gekreist wäre.

Christine sah ihn mit vorwurfsvollem Blick an. „Wie konntest du das tun?“

Uli hob die Schultern. „Du weißt, was ich für dich empfinde. Da ich dich nicht haben kann, suche ich dich in jeder Frau, die mir begegnet.“

„Ach, Uli. Uli.“

„Es ist so“, gestand er verlegen.

„Ich kann es nicht ändern.“ Er sah sie lange an. „Wieso ist es dir nicht möglich, meine Gefühle zu erwidern?“

„Ich fände das Wolf und Wenzel gegenüber nicht fair“, gab Christine sanft zur Antwort. „Du bist ein lieber Kerl, Uli, und ich mag dich wirklich sehr. Aber ich mag Wolf und Wenzel genauso – und ich möchte keinem von euch weh tun. Kannst du das nicht verstehen?“

„Nein, das kann ich nicht.“ Er schüttelte deprimiert den Kopf.

Christine schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Ihr seid meine allerbesten Freunde: Ich möchte nicht, dass sich daran etwas ändert. Ich möchte, dass ihr meine Freunde bleibt. Alle drei.“ Sie machte eine kleine Pause. Dann sagte sie: „Vielleicht renkt sich das mit Sonja wieder ein.“

Uli schüttelte entschieden den Kopf. „Daraus wird nichts mehr. Sonja hat bereits ihre Koffer gepackt und ist nach Berlin abgereist.“

„Was macht sie denn da?“

„Sie hat einen Job im Management einer Restaurantkette angenommen.“

„Du könntest sie zurückholen.“

Ulis Blick verfinsterte sich, und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. „Das tu’ ich nicht.“

„Vielleicht wartet sie darauf.“

Der gutaussehende Mann schüttelte den Kopf. „Nein, Christine, das mach’ ich nicht. Ich habe schließlich auch meinen Stolz. Sonja möchte mit mir nicht mehr zusammen sein, und ich akzeptiere das. Ich kann mich nicht ändern. Ich bin, wie ich bin – und meine Idealfrau bist nun einmal du.“

„Das schmeichelt mir zwar, macht mich aber auch unglücklich. Ich will nicht schuld daran sein, dass du dir dein Leben so eigensinnig verbaust, Uli. Ich möchte deinetwegen kein schlechtes Gewissen haben müssen. Ich möchte dich glücklich sehen – dich, Wolf und Wenzel. Aber das geht nur, wenn ich für dich nicht länger die einzige Frau auf der Welt bin, und wenn du endlich bereit bist, der Liebe eine faire Chance zu geben.“

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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