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Vier Tage verbrachte Lilo nun schon in der Paracelsus-Klinik. Sie wirkte frisch und ausgeruht, klagte aber noch immer über leichte Kopfschmerzen und wie es zu dem Unfall gekommen war, wusste sie auch noch immer nicht.

„Irgendwann macht es Klick!, und das Erinnerungsvermögen ist wieder voll da“, tröstete Schwester Annegret die junge Patientin.

„Und wenn nicht?“, fragte Lilo Henckels schleppend. „Vielleicht ist diese Erinnerung in meinem Gehirn total gelöscht. Kennen Sie sich mit Computern aus, Schwester? Die haben in der Regel eine Festplatte, auf der sämtliche Informationen gespeichert sind. Manchmal genügt ein unglücklicher Tastendruck, und ein Teil des Gespeicherten – oder sogar alles – ist unwiderruflich verloren. Wer weiß, was in meinem Gedächtnis noch alles fehlt?“

„Nun sehen Sie mal nicht so schwarz, Lilo“, tröstete die alte Pflegerin. „Es kommt bestimmt alles wieder wunderbar ins Lot.“

„Wie können Sie so sicher sein?“

Schwester Annegret lächelte mit der Weisheit des Alters. „Ich hab’ so meine Erfahrungen.“

Dennoch verdüsterte sich Lilos Miene, und sie sagte leise: „Ich habe Angst, Schwester. Ich möchte eine große Schriftstellerin werden. Aber eine Schriftstellerin mit Gedächtnislücken ...“ Sie schüttelte deprimiert den Kopf. „So etwas gibt es nicht. Da kann ich meine Karriere schon vergessen, bevor sie begonnen hat. Das Gehirn einer Schriftstellerin muss einwandfrei funktionieren.“

Schwester Annegret tätschelte die Hand der jungen Frau. „Sie machen sich grundlos Sorgen.“

Dana Härtling öffnete die Tür. „Besuch ist da!“, rief sie lächelnd und trat ein. Sie grüßte Schwester Annegret freundlich. Die alte Pflegerin gab den Gruß zurück und ließ die beiden Teenager dann allein. Dana erkundigte sich nach Lilos Befinden.

„Mir machen meine Erinnerungslücken zu schaffen“, seufzte Lilo.

„Gibt es denn mehrere?“, fragte Dana.

„Das befürchte ich. Schwester Annegret meint zwar, ich mache mir grundlos Sorgen, aber kann sie meine Situation richtig einschätzen?“

„Du kannst sicher sein, dass sie das kann“, erwiderte Dana überzeugt.

„Sie ist alt“, stellte Lilo nüchtern fest. „Sie hat das Leben hinter sich. Ich aber bin jung, habe das Leben vor mir. Wenn sich bei Annegret Gedächtnislücken einstellen, ist das kein Malheur, dann geht sie eben in Rente, aber was mache ich? Ich kann mit achtzehn Jahren nicht schon in den Ruhestand treten. Aber mit einem Erinnerungsvermögen, das Löcher aufweist wie ein Schweizer Käse, kann ich keine Bücher schreiben.“

„Du hast versprochen, dass ich mal was von dir lesen darf“, erinnerte Dana ihre neue Freundin.

„Das hab’ ich nicht vergessen.“

„War Andy heute schon da?“, erkundigte sich Dana.

„Nein.“

„Vielleicht kommt er noch.“

„Er sieht gut aus, hm?“

Dana nickte. „O ja.“

„Gefällt er dir?“ Lilo sah sie prüfend an.

„Er ist mir nicht unsympathisch“, gab die Arzttochter zu.

„Wirst du dir mit ihm was anfangen?“

„Mit Andy?“ Dana lachte. „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie kommst du denn auf so was?“

Lilo Henckels zuckte mit den Schultern. „War nur so eine Idee.“

„Hast du vielleicht etwas in dieser Richtung vor?“, erkundigte sich Dana Härtling.

„Weiß ich noch nicht. Kann ich noch nicht sagen. Möglich wär’s. Hattest du schon viele Freunde?“

Dana schüttelte den Kopf. „Du?“

„Ungefähr zehn.“

„Zehn schon.“ Dana staunte. „Mit achtzehn Jahren.“

„Es hat nie lange gehalten.“ Lilo seufzte. „Jedes Mal, wenn ich dachte, mich mit dem Richtigen eingelassen zu haben, war er schon wieder weg.“

„Dann solltest du dir die Jungs, mit denen du dich einlässt, in Zukunft vielleicht etwas besser ansehen. Und du solltest sie vor allem nicht zu schnell ans Ziel kommen lassen.“

„Hältst du mich jetzt für ein schlechtes Mädchen? Verurteilst du mich wegen meines lockeren Lebenswandels?“

„Dein Lebenswandel geht mich nichts an“, erwiderte Dana.

„Aber du bist damit nicht einverstanden.“ Lilo lächelte schmal. „Wenn ich ehrlich sein soll ... mir gefällt er auch nicht. Deshalb habe ich mir auch vorgenommen, mich zu ändern.“

Dana fragte: „Wo wohnst du eigentlich?“

Lilo Henckels feixte. „Ich wohne nicht – ich hause. Meine Bleibe ist ein Stall. Irgendwann werde ich mir was Besseres leisten können.“

„Vertraust du mir?“, wollte Dana wissen.

„Warum fragst du?“

„Wenn du mir die Schlüssel zu deiner Unterkunft gibst, sehe ich da mal nach dem Rechten.“

Lilo schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig.“

„Dein Postkasten quillt bestimmt schon über.“

„Egal.“

„Und das Grünzeug in deiner Wohnung lechzt verzweifelt nach Wasser.“

„Bei mir zu Hause gibt es keine Pflanzen“, behauptete Lilo.

Keine Pflanzen?, dachte Dana und sah Lilo überrascht an. Mädchen, was bist du denn für ein Mensch?

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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