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1. Zulässigkeit des Vorbehalts
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Vorbehalte sind gemäß Art. 19 WVK grundsätzlich zulässig, sofern nicht der Vertrag den Vorbehalt verbietet oder nur bestimmte Vorbehalte zulässt oder der Vorbehalt mit Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar ist. Der IPBPR enthält keine Bestimmung, derzufolge das Anbringen von Vorbehalten unzulässig wäre. Auch existiert keine Vorschrift, die nur bestimmte Vorbehalte zuließe. Insofern kann es nur darauf ankommen, ob der Vorbehalt im Sinne von Art. 19 lit. c WVK mit Ziel und Zweck des IPBPR unvereinbar ist.
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Teilweise wird angenommen, dass Vorbehalte zu menschenrechtlichen Verträgen generell unzulässig sind: Anders als sonstige völkerrechtliche Verträge würden menschenrechtliche Verträge nicht nur zwischenstaatliche Beziehungen betreffen, sondern normativ Schutz und Rechte für Individuen bestimmen. Hiermit seien die Regelungen der WVK, die auf Reziprozität der Bindungen zwischen Staaten ausgerichtet seien, nicht vereinbar.[2] In diesem Sinne hat Richter Álvarez in seinem abweichenden Votum zum IGH-Gutachten zur Völkermordkonvention ausgeführt, Menschenrechtsverträge seien als Teil der Verfassung der Internationalen Gemeinschaft von der Möglichkeit des – auch nur teilweisen – opting-out ausgenommen.[3] Auch der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich in seinen General Comments zum IPBPR dieser Sicht angeschlossen.[4] Dem steht indes eine Vielzahl von Vorbehalten auch bei menschenrechtlichen Verträgen gegenüber.[5] Diese deutliche Staatenpraxis lässt auf eine Rechtsüberzeugung schließen, dass es auch bei menschenrechtlichen Verträgen nicht a priori ausgeschlossen ist, Vorbehalte anzubringen. Wann Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen unzulässig sind, bedarf daher einer differenzierenden Antwort entlang der Linien, die die ILC 2011 in ihrem Praxisleitfaden gegeben hat.[6] Danach sind solche Vorbehalte unvereinbar mit Sinn und Zweck menschenrechtlicher Abkommen, die vage oder allgemein gefasst sind (Pauschalvorbehalte) oder die eine Verpflichtung, die im Vertrag als unabdingbar ausgewiesen ist, oder eine Norm des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) abbedingen sollen. Außerdem kann sich die Unzulässigkeit aus der untrennbaren Verbindung mit anderen Vertragsnormen ergeben, die ihrerseits von zentraler Bedeutung für das betreffende Abkommen sind.
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Der Vorbehalt zu Art. 27 IPBPR schließt die Geltung einer konkret bezeichneten Paktpflicht für Sinistrien aus und stellt nicht die Paktpflichten insgesamt unter einen Pauschalvorbehalt. Art. 27 ist in Art. 4 Abs. 2 IPBPR auch nicht für unabdingbar im Notstandsfalle benannt (dort sind nur die Art. 6, 7, 8 Abs. 1 und 2, 11, 15, 16 und 18 angeführt); die dort genannte Pflicht, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten bestimmte Rechte einzuräumen, dürfte auch nicht zum Kanon des zwingenden Völkerrechts zu rechnen sein. Zwar können auch Gleichheitsrechte zu jenem Kanon gehören; dass z. B. Sklaverei und Apartheid gegen das völkerrechtliche ius cogens verstoßen, ist allgemein anerkannt. Zu jenen fundamentalen Garantien der Gleichheit aller Menschen weist Art. 27 IPBPR jedoch keinen so engen Bezug auf, dass aus der abgeleiteten Pflicht ihrerseits eine zwingende würde.
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Am ehesten käme noch in Betracht, den Vorbehalt wegen einer untrennbaren Verbindung zu Art. 26 für unzulässig zu erklären. Art. 26 dürfte als Zentralnorm zur Gleichheit der Menschen im Rahmen des IPBPR durchaus besondere Bedeutung zugebilligt werden. Allerdings beschränkt sich Art. 26 darauf, Diskriminierungen wegen eines der dort genannten Merkmale zu verbieten. Art. 27 enthält im Gegensatz dazu eine ausdrückliche Verpflichtung zum „fördernden“ Minderheitenschutz.[7] Auch wenn die Grenze zu einem Diskriminierungsverbot nicht immer ganz leicht zu ziehen ist, gehen die dort genannten Pflichten doch über das Verbot des Art. 26 erkennbar hinaus und unterscheiden sich von diesen. Art. 27 erscheint daher als eine abtrennbare Vorschrift.
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Sicherlich wird das Ziel des Vertrages, mit der menschlichen Würde den menschlichen Eigenwert zu schützen (vgl. Präambel), besser gefördert, wenn ein Staat ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten die öffentliche Pflege ihres gemeinsamen kulturellen Lebens, insbesondere die Nutzung der eigenen Sprache, ermöglicht; Art. 19 lit. c WVK verbietet einen Vorbehalt aber nicht bereits dann, wenn er zu einer weniger guten Förderung der Vertragsziele führt, sondern erst, wenn dieser mit den Vertragszielen unvereinbar ist. Ein Staat, der sich über Art. 26 IPBPR dazu verpflichtet hat, Minderheiten nicht zu diskriminieren, diesen aber keine Sonderrechte einräumen will, verletzt noch nicht gleich das Ziel, der menschlichen Würde zur Durchsetzung zu verhelfen.
Der Vorbehalt ist daher als zulässig anzusehen (a. A. gut vertretbar).