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3. Adressaten
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Der Anwendungsvorrang ist von sämtlichen Organen und Einrichtungen der Mitgliedstaaten und ihrer Gliedstaaten zu beachten, soweit sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln. Insbesondere sind die mitgliedstaatlichen Gerichte verpflichtet, kollidierendes innerstaatliches Recht nicht anzuwenden – und zwar auch dann, wenn ihnen nach innerstaatlichem Recht keine Normverwerfungskompetenz eingeräumt ist (vgl. EuGH, Urt. v. 9.3.1978, 106/77 – Simmenthal II –, Rn. 21 ff.). In diesem Zusammenhang kommt der Möglichkeit nationaler Gerichte, ein → Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV einzuleiten, eine bedeutende Rolle zu. Dieses Verfahren ist zwar auf die Auslegung von Unionsrecht beschränkt; durch entsprechende Formulierung der Vorlagefrage kann jedoch faktisch auch die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm mit dem Unionsrecht einer Überprüfung durch den EuGH zugänglich gemacht werden. Zu berücksichtigen ist der Anwendungsvorrang auch von nationalen Verwaltungsbehörden, die insoweit zur Prüfung der Vereinbarkeit mit Unionsrecht und, im Falle der Kollision, zur Nichtanwendung der innerstaatlichen Vorschrift verpflichtet sind.
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Schließlich bindet der Anwendungsvorrang die nationalen Gesetzgeber insoweit, als auch später erlassene Gesetze ihm unterliegen; für diese folgt eine Pflicht zur Achtung und Umsetzung des Unionsrechts zudem aus dem Loyalitätsgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV). Hieraus ergibt sich im Einzelfall ein Verbot des Tätigwerdens i.S.e. Kompetenzsperre, soweit nämlich Gegenstände betroffen sind, die in die ausschließliche Kompetenz der Union fallen oder in Bezug auf die die Union auf der Grundlage einer geteilten (konkurrierenden) Zuständigkeit bereits tätig geworden ist (→ Verbandskompetenz). Aus dem Anwendungsvorrang ergibt sich überdies eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Rechtsbereinigung, d.h. eine Pflicht, wegen Kollision mit dem Unionsrecht unanwendbar gewordenes nationales Recht aufzuheben (EuGH, Urt. v. 2.7.1996, C-290/94, Rn. 29).