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3. Schutz der Verfassungsidentität (Identitätskontrolle)

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Insofern Geltung und Anwendungsvorrang des Unionsrechts im deutschen Rechtsraum auf dem im Zustimmungsgesetz enthaltenen Rechtsanwendungsbefehl beruhen, unterliegen sie auch den grundgesetzlichen Grenzen für die Öffnung der nationalen Staatsgewalt, wie sie sich aus der unverfügbaren Verfassungsidentität des Grundgesetzes ergeben. Im Rahmen der Identitätskontrolle prüft das BVerfG, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Union berührt werden. Während nach Maßgabe der Ultra-vires-Kontrolle jede entsprechend qualifizierte Kompetenzüberschreitung den Prüfungsvorbehalt des BVerfG auslöst, wird i.R.d. Identitätskontrolle eine Kompetenzüberschreitung nur am Maßstab der absoluten Grenze des änderungs- und damit integrationsfesten Kernbestands des Grundgesetzes geprüft. In eng begrenzten Einzelfällen kann sich auch insoweit und trotz Anwendungsvorranges die Unanwendbarkeit des Unionsrechts ergeben, wobei eine entsprechende Feststellung u.a. als Folge der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nur vom BVerfG selbst getroffen werden kann (BVerfGE 140, 317 [337] – Europäischer Haftbefehl).

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Prüfungsmaßstab sind die von der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG erfassten Garantien, namentlich also die in Art. 20 GG verankerten Staatsstrukturprinzipien, und davon in erster Linie das Rechtsstaats-, das Demokratie- und das Sozialstaatsprinzip, und die durch Art. 1 GG geschützte Menschenwürde einschließlich des daraus ableitbaren unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutzes im Einzelfall. Aus dem Demokratieprinzip, dem darin verankerten Grundsatz der Volkssouveränität und einem diesem korrelierenden „Anspruch auf Demokratie“ folgt insbesondere ein Schutz vor einer Erosion der Gestaltungsmacht des Bundestages und seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung, den das BVerfG i.R.d. Identitätskontrolle und neben der Ultra-vires-Kontrolle vornimmt; zu den wesentlichen Bereichen demokratischer Selbstgestaltung zählen zudem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, das Strafrecht und andere Formen des Freiheitsentzugs sowie kulturelle Fragen wie die Regelung von Sprache, Bildung, Familienordnung, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit und Bekenntnisfragen (vgl. BVerfGE 123, 267 [358, Rn. 249] – Lissabon).

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